Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rettungsdienst,
viele Menschen stellen sich die Arbeit als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter im Rettungsdienst spektakulär und wahnsinnig aufregend vor. Das ist sie sicherlich auch, aber eigentlich nur selten: Das meiste an Ihrem Dienst ist tägliche Routine. Das ist gut so, denn „Navy CIS“ kann keiner auf Dauer aushalten … Aber sicher kennen Sie auch die Gefahr des innerlichen „Abstumpfens“ im Angesicht von sich immer wiederholenden Bemühungen ohne messbare Besserung, von aussichtslosen Einsätzen und scheinbar wirkungslosen Hilfeleistungen. Um diese Gefahr soll es heute gehen.
Im Einsatz
Bereits über die Dauer von zehn Wochen haben die Kollegen vom Krankentransport Herrn F. (63 Jahre) dreimal die Woche aus dem vierten Stock mit dem Tragestuhl in die nahe gelegene Kreisstadt zur Dialyse gefahren. Seit seiner Jugend liegt bei Herrn F. ein insulinpflichtiger Diabetes vor. Inzwischen zeigen sich die Spätfolgen seiner langjährigen Grunderkrankung in ausgeprägter Weise. Das linke Bein musste vor zwei Jahren amputiert werden. Die Nieren arbeiten nicht mehr, und die Seh- und Hörkraft sind deutlich eingeschränkt. Die übel riechende Wunde am rechten Bein will einfach nicht heilen. Das Ganze läuft im Dienstbetrieb unter der Rubrik „Infektionstransport“, da bei dem Patienten ORSA nachgewiesen worden ist.
Die Gemütslage von Herrn F. ist sehr wechselvoll. Es fällt schwer, sich immer wieder neu darauf einzustellen. Einige Kollegen machen aber auch klar deutlich, dass es ihnen unangenehm ist, diese Transporte zu übernehmen. Sie könnten gut darauf verzichten.
Das wird doch alles nicht besser…
Bei solchen oder ähnlichen Patienten könnte einen der Mut verlassen: Scheinbar endloses Leiden, immer wieder das Gleiche, und keine Hoffnung auf Besserung. Was soll das alles, und was können wir denn schon tun? Selbst den motiviertesten Retter verlässt zwischendurch auch schon mal Mut.
Ein Blick in die Geschichte
Es gibt noch eine weitere Alternative, und die ist in der Geschichte der Malteser zu finden, und zwar bei ihrem Gründer, dem Seligen Gerhard.
Er hat bereits im 11. Jahrhundert etwas sehr Einfaches und doch unglaublich Wichtiges über das Wesen seiner ersten Gemeinschaft, die er Bruderschaft nennt, gesagt:
„Unsere Bruderschaft wird unvergänglich sein, weil der Boden, auf dem diese Pflanze wurzelt, das Elend der Welt ist und weil – so Gott will – es immer Menschen geben wird, die daran arbeiten wollen, dieses Leid geringer, dieses Elend erträglich zu machen.“
Das Leid, das Gerhard vor allem betroffen hat, war das Leid der Kranken und Verletzten. Ihnen widmete sich sein Hospital in Jerusalem mit aller Kraft, mit Professionalität und liebevoller Großzügigkeit. Schon in dieser Gründungszeit betrieben die Malteser einen Rettungsdienst, indem sie Kranke und Verletzte zu Hause abholten oder von der Straße auflasen und ins Hospital brachten.
Gerhard hat mit allem verfügbaren Einsatz geholfen – aber ist dabei realistisch geblieben: Er hat keinem versprochen, dass das Leid ganz aufhört, sondern er hat Menschen gesucht, die daran arbeiten wollen, das Leid und das Elend geringer und erträglicher zu machen.
Wirkungsvolle Medizin gegen das Abstumpfen!
900 Jahre sind seitdem ins Land gegangen, und noch immer stehen Menschen in diesem Dienst. Wenn dieser Dienst zur Routine zu werden scheint und wir keine Hoffnung auf Besserung mehr haben, dann können wir uns an die Grundsätze des Seligen Gerhard erinnern:
- Wir müssen nicht den Anspruch haben, das Leid ganz vernichten zu können. Das steht außerhalb unseres Könnens.
- Wir stehen in einer Tradition von Menschen, die daran arbeiten, dass Menschen gut und liebevoll versorgt werden, weniger leiden müssen, weniger einsam sind… Vor uns hat es diese Menschen gegeben, und nach uns wird sie es wieder geben. Wir sind ein Glied in einer langen Kette.
- Wir sind Teil einer Gemeinschaft, in der jeder an seinem Platz und mit seiner Aufgabe an der Erfüllung des Auftrags mitarbeitet. Nicht mehr und nicht weniger.
- Last but not least: Wir wissen Gott an unserer Seite. Er ist der, der uns sendet, immer wieder neu. Im Gebet kann ich sagen: Gott, ich bin müde und resigniert, zeige Du mir, was ich tun soll. Ich vertraue mich Dir an, Du wirst für Hilfe sorgen. Wir dürfen, nein: wir sollen ihn um Hilfe bitten, wenn wir sie selber nötig haben.
Unser Tipp für die nächste Zeit
Ein Gebet von Reinhold Niebuhr formuliert gut, worum es geht: Ich möchte das akzeptieren, was ich nicht ändern kann und Verantwortung übernehmen und mutig anpacken, was in meiner Macht steht. Die Kunst ist, das eine vom anderen zu unterscheiden – dass das immer besser gelingt, darum können wir Gott bitten:
Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Amen.