Impuls zum Welttag der Armen

  • Am Allerheiligenfest (1.11.) werden als Evangelium die acht Seligpreisungen gelesen, mit denen Jesus Christus seine berühmte „Bergpredigt“ eröffnet. (Das Malteserherz denkt dabei unwillkürlich an die acht Spitzen des Malteserkreuzes!) Die erste Seligpreisung lautet: „Selig, die arm sind vor Gott (wörtlich: Selig, die arm sind im Geist); denn ihnen gehört das Himmelreich.“ (Matthäus 5,3)
  • Am Allerseelentag (2.11.) wird für die „armen Seelen“ gebetet, also für alle Verstorbenen. (Vgl. den evangelischen Toten- bzw. Ewigkeitssonntag Ende November.)
  • Im Evangelium des vergangenen Sonntags (7.11.) spricht Jesus über die „arme Witwe“, die ihr letztes Geld noch als Opfergabe hergibt (vgl. Markus 12,38–44).
  • Am Martinstag (11.11.) denken wir an den heilige Martin, der im Winter seinen Soldatenmantel teilt und eine Hälfte einem armen, nur notdürftig bekleideten Bettler überlässt. In der Nacht erscheint ihm Jesus Christus, bekleidet mit der Mantelhälfte des Bettlers, und spricht zu Martin die Worte aus dem Evangelium: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Matthäus 25,40).
  • Vor fünf Jahren hat Papst Franziskus den vorletzten Sonntag im Kirchenjahr zum „Welttag der Armen“ erklärt. Dieses Jahr (14.11.) steht er unter dem Wort Jesu „Die Armen habt ihr immer bei euch“ (Markus 14,7).

Die Auflistung zeigt bereits ansatzweise, dass Armut nicht gleich Armut ist. Armut hat verschiedene „Gesichter“. Es gibt materielle bzw. wirtschaftliche Armut, soziale Armut, seelische Armut, emotionale Armut, moralische Armut und auch religiöse Armut. Und nicht selten sind Menschen von verschiedenen Formen der Armut gleichzeitig betroffen. Papst Franziskus spricht sich in seiner Botschaft zum Welttag der Armen einmal mehr für einen Perspektivwechsel im Umgang mit armen Menschen aus. Einen seiner Gedanken möchte ich aufgreifen, der auch unseren Malteserleitsatz „Bezeugung des Glaubens und Hilfe den Bedürftigen“ neu beleuchtet:

Idealerweise stehen die Bedürftigen selbst im Mittelpunkt unserer Dienste – „...weil Nähe zählt“. Papst Franziskus drückt das so aus: „Unser Einsatz besteht nicht ausschließlich in Taten oder in Förderungs- und Hilfsprogrammen; was der Heilige Geist in Gang setzt, ist nicht ein übertriebener Aktivismus, sondern vor allem eine aufmerksame Zuwendung zum anderen, indem man ihn als eines Wesens mit sich selbst betrachtet. Diese liebevolle Zuwendung ist der Anfang einer wahren Sorge um seine Person, und von dieser Basis aus bemühe ich mich dann wirklich um sein Wohl.“ Eine solche Zuwendung – der Papst spricht auch vom geschwisterlichen „Teilen des Lebens“ – bewahrt davor, nur die Rolle eines „Wohltäters“ einzunehmen, der doch immer irgendwie in der Versuchung steht, von oben herab zu agieren. Letztlich geht es darum, die Lebensweise und Lebenshaltung von Jesus Christus einzunehmen, in dessen Nachfolge wir gerufen sind. Franziskus betont: „Jesus steht nicht nur auf der Seite der Armen, sondern er teilt mit ihnen das gleiche Schicksal. Das ist eine eindringliche Lehre auch für seine Jünger aller Zeiten.“

Das alles steckt bereits in unserem Malteserleitsatz drin. Allerdings greift die deutsche Übersetzung der zweiten Hälfte obsequium pauperum – „Hilfe den Bedürftigen“ etwas zu kurz, so dass der volle Bedeutungsumfang nicht gänzlich hervortritt. Das Wort obsequium ist nämlich tiefergehender als „Hilfe“ und kann in diesem Kontext mit „Hingabe“ wiedergegeben werden. Obsequium pauperum heißt wörtlich übersetzt dann so viel wie „Hingabe an die Armen“. Das trifft sich mit dem Anliegen von Papst Franziskus!

Nun ist „Hingabe“ zugegebenermaßen ein Wort, das heute wohl nicht mehr zum alltäglichen Vokabular der meisten von uns gehören dürfte. Was genau ist also damit gemeint? Schauen wir auf das Bedeutungsspektrum dieses Begriffs:

  • etwas für jemanden hingeben: Das ist mehr, als etwas vom eigenen Überfluss abzugeben; es beinhaltet den bewussten Verzicht auf etwas, das ich selbst nötig habe, für jemanden, der es noch nötiger hat (vgl. die arme Witwe, über die Jesus spricht).
  • sich etwas hingeben: Der Ausdruck bedeutet, sich mit ganzem Herzen einer Sache zu widmen, etwas leidenschaftlich zu tun oder sich in eine Sache so richtig zu vertiefen – z. B. das Spielen eines Musikinstruments, die Pflege des Gartens, das Betreiben von Forschung.
  • sich an jemanden hingeben / sich jemandem hingeben: Hier betreten wir den Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen. Es geht darum, das eigene Ego hintanzustellen und die eine oder andere Einschränkung bewusst in Kauf zu nehmen, um sich anderer Menschen – z. B. Kindern oder den kranken Eltern – anzunehmen und sich aufopferungsvoll um sie zu kümmern. Auch Liebende geben sich einander mit Seele und Leib hin.
  • sich für jemanden hingeben: In letzter Konsequenz gibt der Mensch bei der Hingabe nicht etwas von sich, sondern sich selbst. Jesus Christus hat am Kreuz sein Leben für das Heil aller Menschen aller Zeiten hingegeben: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ (Johannes 15,13).

Vor diesem Hintergrund steht „Hingabe an die Armen“ als spezifischer Malteserauftrag dafür, neben konkreten Hilfeleistungen auch eine aufrichtige, intensive Beziehung zu armen Menschen aufzubauen: sie als Person zu würdigen und anzuerkennen, meine eigene Person ihnen zu öffnen, ihnen Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken, Nähe zuzulassen, verfügbar, erreichbar und ansprechbar zu sein. So wird eine echte, vertrauensvolle Begegnung von Herz zu Herz möglich.

Frederik Brand, Referent im Geistlichen Zentrum


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