Zivilcourage: So stehst du für andere Menschen ein

Sophie Scholl, Martin Luther King, Mahatma Gandhi und Rosa Parks haben alle eines gemeinsam: Zivilcourage. Mutig und lautstark haben Sie sich gegen Unrecht eingesetzt und damit etwas bewirkt. Schau nicht weg, sondern stärke unsere Gesellschaft mit Zivilcourage! Was Zivilcourage bedeutet und wie sie funktioniert, haben wir im Folgenden für dich zusammengefasst.

Darum geht's


Was ist Zivilcourage und warum ist sie wichtig?

Bei Zivilcourage geht es nicht um heldenhafte Taten von Menschen, die besonders stark sind oder einen speziellen Beruf haben. Es geht darum, dass jeder Mensch sich für den Schutz der Menschenwürde und die Wahrung der Menschenrechte einsetzt. Das ist leider nicht immer selbstverständlich, weil wir in einer Gesellschaft leben, in der viele Menschen nur die eigenen Interessen verfolgen. Doch als Teil einer Gemeinschaft tragen wir alle eine Mitverantwortung für eine menschenwürdige Gesellschaft, indem wir einschreiten, wenn wir Unrecht beobachten. Wer wegschaut oder schweigt, macht sich mitverantwortlich und unter Umständen sogar strafbar durch unterlassene Hilfeleistung. Mit Zivilcourage tust du aktiv etwas, wenn du Unrecht beobachtest und verteidigst damit letztlich auch deine ganz persönliche Würde und deine Rechte als Mensch. Wichtig ist, dass Zivilcourage nicht bedeutet, dass du andere körperlich verteidigen und dich selbst gefährden sollst. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, dich couragiert zu zeigen und anderen Menschen zu helfen.

Schau nicht weg!

Manchen Menschen fällt es leichter, Unrecht laut anzusprechen und einzuschreiten, wenn sich jemand inakzeptabel verhält. Andere Menschen dagegen sagen lieber nichts, weil sie sich zum Beispiel nicht in die Angelegenheiten anderer Leute einmischen wollen oder Angst haben, selbst zur Zielscheibe zu werden. Diese Hemmungen sind verständlich, aber sie helfen niemandem.

Zivilcourage bedeutet zum Beispiel, für eine Kollegin einzustehen, die von anderen gemobbt wird, es laut auszusprechen, wenn jemand benachteiligt wird, auf den Social-Media-Accounts gegen Hassreden vorzugehen oder dich politisch gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit zu engagieren. Du zeigst auch dann Courage, wenn du mitbekommst, dass Rettungskräfte in ihrer Arbeit behindert werden, zum Beispiel durch Gaffer oder ungeduldige Autofahrerinnen oder -fahrer, die keine Rettungsgasse bilden. Notiere die Nummernschilder und schicke die Gaffer weg, denn Gaffen wird hierzulande als Ordnungswidrigkeit oder sogar als Straftat bewertet. Leiste zudem Erste Hilfe und rufe umgehend den Rettungsdienst unter der Nummer 112.

Sicherlich setzt du dich mit deiner Zivilcourage immer dem Risiko aus, selbst zur Zielscheibe zu werden. Doch mit Schweigen legitimierst du das Unrecht und unterstützt indirekt die Täter und Täterinnen. Diese können ungehindert weitermachen mit ihrer Gewalt, dem Mobbing oder dem Fehlverhalten. Denke daran, dass wirklich jeder Mensch in eine Situation geraten kann, in der er oder sie ungerecht behandelt, bedroht oder angegriffen wird.

Das ist wichtig, wenn du jemandem hilfst

Ob eine Rangelei auf dem Bahnsteig, ein eskalierter Familienstreit in der Nachbarschaft oder eine Person, die von anderen gemobbt wird – jeder Mensch kann jederzeit in Schwierigkeiten geraten. Schreite ein, und zwar immer so, wie es dir möglich ist. Niemand erwartet von dir, dass du eigenhändig eine Prügelei auflöst oder einen Taschendieb niederringst. Ganz im Gegenteil! Du solltest dich niemals selbst gefährden. So lautet die erste von sechs Regeln, die die Polizei mit der AKTION-TU-WAS aufgestellt hat, einer Initiative für mehr Zivilcourage.

Regel Nr. 1: Hilf, aber bringe dich nicht in Gefahr!

Oft kannst du schon etwas erreichen, wenn du laut redest oder dich bewegst. Das verschreckt viele Täterinnen und Täter und sie lassen von ihrem Opfer ab. Sprich die Betroffenen an und hole sie möglichst aus der Situation heraus. Wird jemand im Bus angepöbelt, frage die betroffene Person, ob sie sich zu dir setzen möchte. Die Aggressoren solltest du nicht ansprechen, sie provozieren oder dich provozieren lassen. Duze sie auch nicht, weil die anderen Leute dann denken könnten, dass ihr einen persönlichen Streit habt. Halte Distanz zur Täterin oder zum Täter und das erst recht, wenn jemand offensichtlich stärker ist als du, sehr aggressiv auftritt oder sogar ein Messer oder andere Waffen hat. Rufe sofort die Polizei und bleibe vor Ort, um eine Zeugenaussage zu machen. In öffentlichen Verkehrsmitteln kannst du dich an die Fahrerin oder den Fahrer wenden. In den Fahrzeugen gibt es häufig eine Direktverbindung zur Polizei.

Regel Nr. 2: Rufe die Polizei unter der Nummer 110

Je schneller du Hilfe rufst, desto besser können die Täterinnen und Täter ermittelt werden. Falls du selbst kein Telefon hast, übergibst du diese Aufgabe einer anderen Person. Sag ganz konkret: „Sie mit der Brille und der roten Mütze. Rufen Sie die Polizei unter der 110“. Bist du selbst am Telefon, sag immer zuerst, wo du dich befindest und gib dann durch, was passiert ist, wer und wie viele Leute involviert sind und ob jemand verletzt ist.

Regel Nr. 3: Bitte andere um Mithilfe

Je mehr Leute genauer hinschauen, umso mehr Zeuginnen und Zeugen gibt es und damit machst du es den Täterinnen und Tätern schwerer, ungeachtet zu agieren. Sprich Leute an und versichere dich, ob du die Situation richtig verstanden hast: „Sehen Sie auch, dass die Frau belästigt wird?“ oder „Sehe ich das richtig, dass der Mann dort bedroht wird?“ Leider kannst du nicht davon ausgehen, dass die anderen schon irgendwie helfen werden, auch nicht, wenn etwas mitten am Tag auf offener Straße unter aller Augen passiert. Werde selbst aktiv und fordere die umstehenden Leute auf, zu helfen. Sprich sie direkt an: „Sie da mit dem grünen Mantel. Helfen Sie mir bitte!“

Regel Nr. 4: Präge dir Tätermerkmale ein

Oft geht alles ganz schnell. Versuche dir so viel wie möglich zu merken. Wie sahen die Täterin oder der Täter aus? Präge dir Details ein wie Geschlecht, Alter, Körpergröße, Frisur, Haarfarbe, Kleidung, Dialekte oder Akzente, Piercings, Tattoos oder andere Auffälligkeiten wie Bart, Glatze oder besonderer Schmuck. Welches Kennzeichen hat das Fluchtauto? In welche Richtung sind die Täter geflüchtet? Oft sind es Kleinigkeiten, die am Ende das Verbrechen aufklären können.

Regel Nr. 5: Kümmere dich um die Opfer

Ist jemand verletzt, dann leiste Erste Hilfe und rufe den Rettungsdienst unter der Nummer 112. Beruhige die Betroffenen und bleibe bei Ihnen, bis die Rettungskräfte bei euch angekommen sind und übernehmen. Achte außerdem darauf, dass alle Rettungskräfte schnell zum Ort des Geschehens durchkommen können. Schicke Schaulustige weg oder fordere sie aktiv zur Mithilfe auf, wenn noch Hilfe benötigt wird.

Regel Nr. 6: Sag als Zeugin und Zeuge aus

Die Polizei könnte die Schuldigen viel häufiger schnappen, wenn mehr Leute Zeugenaussagen machen würden. Tatsächlich verzichten viele Leute darauf aus Angst, Zeitmangel oder Bequemlichkeit. Darum solltest du am Tatort bleiben, bis die Polizei da ist und deine Zeugenaussage aufnehmen kann. Solltest du absolut mal keine Zeit zum Warten haben, dann gehe am nächsten Tag zur Polizei und mache deine Aussage. Jedes Detail ist wichtig!

Grundsätzlich gilt: Lieber einmal zu viel als zu wenig gemacht. Selbst wenn du eine Situation falsch einschätzt und die Polizei vielleicht umsonst gekommen ist, ist das noch besser als gar nichts zu machen.  

Das ist wichtig, wenn du selbst Hilfe brauchst

Wenn du selbst in eine brenzlige Situation gerätst, dann beherzige die folgenden Tipps der Polizei:

  • Stehe gerade und sicher und halte Abstand von der oder den Personen.
  • Sprich laut und deutlich und sage zum Beispiel: „Nein“, „Hören Sie auf“ oder „Lassen Sie mich in Ruhe“. Dadurch machst du andere Leute darauf aufmerksam, dass du in einer Situation bist, die dir nicht gefällt. Auch hier ist es wichtig, dass du den Aggressor oder Täter beziehungsweise die Täterin siezt. So wird deutlich, dass ihr euch nicht kennt.
  • Sprich nicht bedrohlich oder schimpfe nicht und greife nicht an, das ist gefährlich.
  • Bitte andere Leute konkret um Hilfe. Sprich sie direkt an und sage: „Ich brauche Ihre Hilfe“ oder „Das ist ein Notfall.“
  • Rufe die Polizei unter der Nummer 110 oder fordere eine Person in deiner Nähe auf, dies zu tun.
  • Manchmal kannst du der Situation entkommen, indem du den Überraschungseffekt nutzt. Das bedeutet, du tust etwas, womit der oder die Täter nicht rechnen. Ein Patentrezept gibt es leider nicht dafür, denn das ist von der Situation abhängig.

Paradoxes Phänomen: Verantwortlichkeitsdiffusion

Einer Person in Not wird seltener geholfen, wenn viele Personen anwesend sind. Klingt widersprüchlich, ist aber wissenschaftlich erforscht. Es handelt sich dabei um das psychologische Phänomen der Verantwortlichkeitsdiffusion. Je mehr Menschen anwesend sind, desto eher schieben wir die Verantwortung zu handeln auf andere und halten uns raus. Inzwischen haben Forschende allerdings herausgefunden, dass dies nicht für Situationen gilt, in denen Gewalt angewendet wird. Bei Gewalt sind glücklicherweise mehr Menschen motiviert, einzuschreiten und Zivilcourage zu zeigen. Doch ganz egal, ob Gewalt im Spiel ist oder nicht: Bemerkst du, dass eine Person deine Hilfe benötigt, sei die oder der Erste in einer Gruppe, die einschreitet und Zivilcourage zeigt!

Zivilcourage kannst du lernen

Es ist normal, dass Menschen in ungewohnten oder bedrohlichen Situationen überfordert sind und lieber wegsehen, statt einzugreifen. Das liegt unter anderem daran, dass vielen Menschen die Kompetenzen für Zivilcourage fehlen und sie nicht wissen, wie sie sich am besten zu verhalten haben. Außerdem ist die Hürde groß, den Mund aufzumachen und plötzlich im Mittelpunkt zu stehen, um dann vielleicht die einzige Person zu sein, die etwas sagt. Vereine wie der Weisser Ring, das Bundesnetzwerk für Zivilcourage und die Polizei bieten unter anderem Informationen, Workshops und Trainings zum Thema Zivilcourage für Schulen, andere öffentlichen Einrichtungen und Unternehmen an. Warum nicht mal so ein Training mit deinen Kolleginnen und Kollegen machen oder der Schulklasse?

Darüber hinaus gibt es Projekte wie den Schulsanitätsdienst der Malteser, die unter anderem Zivilcourage schon bei Kindern und Jugendlichen fördern. Generell ist auch ein Ehrenamt eine gute Möglichkeit, denn durch gezielte Aus- und Weiterbildungen wie in der Ersten Hilfe, lernen Menschen mit brenzligen Situationen gut umzugehen und Verantwortung für andere zu übernehmen.


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