Weihnachten im Flutgebiet
Vor fünf Monaten zerstörte das Hochwasser im Westen Deutschlands Tausende Gebäude, Existenzen und nahm auch einige Leben. Tausende Freiwillige kamen zur Hilfe, darunter auch die Malteser. Wie sieht es heute in den betroffenen Gebieten aus? Und wie geht es den Menschen dort? Eines steht fest: Dieses Weihnachtsfest wird anders. Ein Helfer und eine Helferin berichten.
Darum geht’s:
Dieses Weihnachtsfest wird anders
Wenn Marcel Drescher durch Mayschoß im Ahrtal fährt, freut er sich über die Weihnachtsbäume, die zu Beginn der Adventszeit im ganzen Dorf aufgestellt wurden. Abends, wenn die Lichter leuchten, dann wird es weihnachtlich und gemütlich. „Das gibt Vielen hier Kraft“, sagt Marcel. „Es sieht schön aus, obwohl es gerade nicht so schön ist.“ Er hatte Glück, sein Haus blieb von den Fluten verschont. Trotzdem hat er damals sofort mit angepackt: „Nach der Flutnacht war die Frage: 'Wo helfe ich jetzt?' Wir haben so viel zusammengeschippt, das ging sechs Wochen lang so.“ Als Marcel vor sechs Jahren von Köln nach Mayschoß zog, war er der Neue und kannte kaum jemanden. Heute kennt er alle im Dorf. „Durch die Flut sind wir zusammengerückt. Jeder hat jedem geholfen, selbst wenn man sich nicht ganz so grün war.“ Tag für Tag wurde beziehungsweise wird nach wie vor gearbeitet.
Viele Bewohnerinnen und Bewohner sind immer noch dabei, ihre Häuser zu trocknen. Wer nicht so stark getroffen wurde, kann schon renovieren. Allerdings mussten auch viele Häuser abgerissen werden, sagt Marcel: „Da bekommt man etwas Angst, wenn man hier eine Ruine sieht und dort das ganze Dach abgerissen wird. Wo heute noch ein Haus steht, kann es morgen weg sein. Das ist für uns schon normal. Ich persönlich kann manchmal gar nicht mehr sagen, wie die weggeschwemmten Häuser ausgesehen haben.“
Weihnachten im Tiny House
Weil viele Familien immer noch nicht in ihre Häuser zurückkönnen, wird bis Weihnachten Ersatz für sie aufgebaut. 20 Tiny Häuser stehen aufgereiht am Bahnhof Mayschoß und warten auf ihren Einsatz. „Die sollen bis Weihnachten an ihren Plätzen stehen“, sagt Marcel. „Schon seit ein paar Wochen sind wir damit beschäftigt, zu planen und die Zu- und Abflüsse für die Minihäuser zu verlegen“. Viele Familien wohnen gerade irgendwo zur Untermiete, weil ihre Häuser nicht bewohnbar sind. Für sie kommen die Tiny Houses genau richtig: „Gerade zu Weihnachten ist es schön, die eigenen vier Wände zu haben, auch wenn es klein ist“.
Wer in diesen Fluten alles verloren hat, blickt nicht unbedingt positiv in die Zukunft. Und trotzdem bemühen sich die Menschen sehr, weiß Marcel: „Die Mehrheit bei uns sagt: Es geht immer weiter. Das ist jetzt viel Arbeit, aber wenn das erledigt und Mayschoß wieder schön ist, haben wir alles richtig gemacht.“ Dazu gehören auch Verbesserungen wie neue Glasfaserkabel, beispielsweise für schnelleres Internet und ein verbessertes Hochwasserkonzept, um in Zukunft Überschwemmungen besser bewältigen zu können. Viele Menschen werden auch an den Feiertagen weiter aufräumen müssen, denn alle wollen möglichst schnell wieder ein Zuhause haben. Damit bei der ganzen Arbeit wenigstens etwas Weihnachtsstimmung aufkommt, wird zusammen gefeiert. „Bei uns in der Winzergenossenschaft haben wir eine kleine Kantine, in der wir ein Weihnachtsfest geben werden“, erzählt Marcel. „Alle werden zusammenkommen und als Dorf Weihnachten feiern.“
Mit vereinten Kräften helfen
Zwischen den Aufbauarbeiten und den Feiertagen kommen die Menschen so langsam zur Ruhe. Das klingt schön, ist es aber nicht wirklich. Denn wer in den vergangenen Monaten mit Aufräumen und Hilfsangeboten beschäftigt war, hatte kaum Zeit zum Nachdenken. Nun kommen die Gedanken und schrecklichen Bilder von der Flutnacht zurück. Viele sind traumatisiert und brauchen jetzt vor allem emotionale Unterstützung.
Hilfe bei der Verarbeitung von traumatischen Erlebnissen
Hilfe und Unterstützung hat in den ersten Stunden nach der Flut insbesondere die Psychosoziale Notfallversorgung der Malteser geleistet. Betroffene, die Hilfe bei der Verarbeitung ihrer Trauer benötigen, können sich zudem an die Angebote der Malteser Trauerbegleitung wenden oder auch die Online-Trauerberatung Via. in Anspruch nehmen.
Die Belastung wächst zusätzlich durch die Weihnachtszeit, in der für viele Menschen eigentlich alles besinnlich, fröhlich und gemütlich sein sollte. Darum wurde der Nikolaustag ausgewählt, um das Hilfszentrum Gemünd im Schleidener Tal in der Eifel zu eröffnen. Die Malteser haben ein großes Gebäude mitten in der Stadt gemietet. Hier werden in den kommenden Jahren verschiedene Angebote aller örtlichen Hilfsorganisationen gebündelt, um die Betroffenen bestmöglich zu unterstützen und auch die Hilfskräfte zu entlasten.
Zur feierlichen Eröffnung kam natürlich auch der Nikolaus mit kleinen Geschenken. Watfa Chouman leitet das Hilfszentrum vor Ort. „Gerade jetzt brauchen die Menschen – und vor allem auch die Kinder – ein warmes Haus und ein Ohr zum Zuhören“, sagt sie. „Es gibt sehr viele Leute in der Umgebung, die noch gar keine Hilfe bekommen haben. Wir unterstützen sie unter anderem bei den Anträgen für die staatliche Fluthilfe. Dabei unterstützen uns auch verschiedene andere Organisationen, weil diese Anträge sehr kompliziert und viele Menschen damit überfordert sind.“ Platz ist genug da. Darum finden auch diejenigen Hilfe, die eine neue Bleibe brauchen oder auch einfach nur Platz für beispielsweise einen Senioren- oder Frauentreffen. Es gibt auch eine Trauerabteilung mit speziell ausgebildeten Psychologinnen und Psychologen – auch für Kinder. „Es gibt genug Flächen und es sind genügend Räume vorhanden“, sagt sie. „Auch Menschen, die sich einfach nur etwas von der Seele reden möchten, sind jederzeit willkommen. Wir haben ein offenes Ohr für alle.“
Spenden werden weiterhin dringend benötigt
Die Spendenbereitschaft war nach der Katastrophe enorm. Und auch weiterhin hilft jede kleine und große Summe den Flutopfern. Mit einer Spende an die Hochwasserhilfe kannst du auch aus der Ferne die Helferinnen und Helfer vor Ort unterstützen. Der nachfolgende Link führt dich direkt zum Spendenformular der Malteser.
Alle Menschen sind willkommen
Die vierte Welle der Corona-Pandemie erschwert die Arbeit im Hilfszentrum. „Wir müssen noch schauen, wie wir alles am besten organisieren“, sagt Watfa. Zurzeit ist das Zentrum von montags bis freitags geöffnet. Alle 14 Tage sonntags findet das Café Lichtblick statt. „Wer kommen möchte, meldet sich am besten vorher an, damit wir alles coronakonform organisieren können. Es gibt Kaffee und Kuchen und man kann sich mit anderen Menschen unterhalten.“ Kurz nach der Eröffnung sind die Bewohnerinnen und Bewohner noch etwas zurückhaltend. Watfa weiß warum: „Es ist nicht einfach, einem Fremden die ganze Geschichte zu erzählen“, sagt sie. „Ich denke, die älteren Menschen haben es mit am schwierigsten, denn es gibt einige, die niemanden haben. Und dann spielt auch Corona eine sehr große Rolle.“
In der Region gilt aktuell die 2G-Regelung, teilweise 2G plus. „Wir müssen bei allen Veranstaltungen aufpassen, dass wir alles einhalten. Wir wollen ja auch niemanden wegschicken“, sagt Watfa. Für eines der Adventswochenenden ist ein kleines Konzert mit Adventslesung geplant. Auch das muss coronakonform sein. Generell erschwert die Pandemie die Planung für die Weihnachtsfeiertage natürlich. Konkrete Pläne sind noch in Arbeit. Watfa und ihr Team freuen sich im Hilfszentrum Gemünd über jeden Freiwilligen: „Ehrenamtliche können wir immer gut gebrauchen. Vielleicht möchte jemand bei einem Adventsbasar helfen oder an den Feiertagen etwas Gutes tun“. Wer helfen möchte oder selbst betroffen ist, findet auf folgender Website alle Informationen und Kontaktmöglichkeiten zur Flutopferhilfe der Malteser.
Die Flutkatastrophe auf einen Blick
Mitte Juli kam es im Westen Deutschlands und Europas zu heftigen Unwettern. Die Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz waren am stärksten betroffen. Am 15. Juli fielen dort bis zu 150 Liter Regen innerhalb von 24 Stunden. Etwa 180 Menschen kamen ums Leben. Es entstand ein Schaden in Milliardenhöhe. Fünf Monate nach der Katastrophe haben die Versicherungen nach eigenen Angaben mehr als ein Drittel der versicherten Schäden bezahlt. Und trotzdem haben tausende Menschen noch immer kein Zuhause oder können dort noch nicht wohnen. Verschiedene Hilfsorganisationen des Aktionsbündnisses Aktion Deutschland Hilft, wozu auch die Malteser gehören, unterstützten gemeinsam in Not geratene Menschen und tun dies nach wie vor mit vereinten Kräften.