Wege aus der Krise: Suizidprävention für ältere Menschen

Mehr als 9.000 Menschen nehmen sich hierzulande jedes Jahr das Leben, weil sie glauben, keinen anderen Ausweg mehr zu sehen. Besonders betroffen sind dabei ältere Menschen. Doch es gibt Hilfe – und viele Suizidgefährdete finden den Weg zurück aus der Krise. Die wichtigsten Infos zu dem oft verschwiegenen Thema Suizidgefährdung im Alter geben wir hier.

Suizid in Deutschland in Zahlen

Suizidalität ist hierzulande an manchen Stellen immer noch ein Tabuthema.
 

  • Laut Destatis, dem Statistischen Bundesamt, begingen 2021 insgesamt 9.215 Personen Suizid, das sind mehr als 25 Menschen pro Tag.
  • „Das bedeutet, dass die Zahl der Suizidtoten in Deutschland ungefähr dreimal so hoch ist wie die der Verkehrstoten“, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS).
  • Expertinnen und Experten gehen zudem davon aus, dass auf einen Suizid 10 bis20 Suizidversuche entfallen.
  • Etwa 75 Prozent der Suizidtoten waren Männer.
  • „In Deutschland steigt die Suizidrate mit dem Lebensalter“, erklärt das Nationale Suizid Präventionsprogramm und hält fest, „dass sich besonders die Suizide von Männern in das höhere Lebensalter verschieben“.

Das Suizidrisiko steigt im Alter signifikant

„Die Suizidrate steigt im Alter deutlich an, 42 Prozent aller Suizide wurden 2021 in Deutschland von Menschen begangen, die älter als 65 Jahre alt waren“, sagt Dr. Uwe Sperling, Diplomgerontologe am Universitätsklinikum Mannheim, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) und Sprecher der Arbeitsgruppe „Alte Menschen“ im Nationalen Suizidpräventionsprogramm (NaSPro). Bei den über 80-Jährigen steige die Rate sogar noch weiter an. Aber: „Suizidalität und Alter sind keine Geschwister“, stellt Sperling klar, „es gibt da soziale und gesellschaftliche Zusammenhänge.“ So herrschten teilweise immer noch negative Altersbilder vor und es stelle sich die Frage: Welche sozialen Rollen haben alte Menschen in unserer Gesellschaft? Wie vermitteln wir ihnen das Gefühl, dass ihre Rolle in unserer Gesellschaft wichtig ist? Und wie werden sie von unterschiedlichen Angeboten bestmöglich erreicht?

Was sind Faktoren, die Suizidalität im Alter begünstigen?

„Wer eine soziale Rolle in der Gesellschaft ausübt, ist häufig weniger einsam“, sagt Uwe Sperling, „in den höheren Altersgruppen sind viele Menschen lange am Tag allein. Sie haben wenig Anregungen.“ Da komme schneller die Frage auf: Wofür stehe ich auf? Wofür lebe ich? Doch neben Einsamkeit und Vereinsamung gibt es weitere Faktoren, die das Suizidrisiko im Alter erhöhen können – wie etwa:
 

  • Das Erlebnis eines Suizids im engsten Familien- oder Freundeskreis oder ein eigener Suizidversuch in früheren Jahren.
  • Der Verlust des Partners oder der Partnerin, Todesfälle im Freundeskreis.
  • Die Einschränkung der Mobilität.
  • Eine zunehmende Reduzierung der Selbstständigkeit bis hin zur Pflegebedürftigkeit.
  • Erkrankungen, die die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschweren – wie Schwerhörigkeit, Sehstörungen, Inkontinenz, sensorische Störungen.
  • Belastende Erkrankungen wie Krebs oder dauerhafte Schmerzzustände. 
  • Abhängigkeitserkrankungen (etwa Alkoholismus, Tablettensucht).
  • Selbstisolierung.
  • Psychische Erkrankungen wie etwa Depressionen.

 

„Vor allem ältere Menschen müssen sich mit diesen Faktoren auseinandersetzen“, sagt Uwe Sperling, „und vielen fällt das schwer. Aber die meisten finden einen Weg.“ Denn es gibt Hilfe und ein breites Angebot für Betroffene. Gerade Depressionen sind heute als Krankheit anerkannt und meist gut behandelbar. Auch Angebote der Malteser wie die der Hospizarbeit, Palliativversorgung und Trauerbegleitung können einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung des Zustands oder sogar zur Genesung von Betroffenen leisten. Auch die Besuchs- und Begleitungsangebote sowie die Demenzarbeit der Malteser unterstützen Betroffene und auch Angehörige in schweren Phasen des Lebens.

Hilfe ist möglich

In Deutschland gibt es eine Reihe von Hilfsangeboten für Menschen in einer Lebenskrise und mit Suizidgedanken, an die sich Betroffene wenden können – sei es telefonisch, per E-Mail oder auch im direkten Kontakt.

  • Die Deutsche Gesellschaft für Suizidpräventionen (DGS) hat auf ihrer Website Informationen rund um das Thema zusammengestellt, es gibt auch ein Verzeichnis der Hilfsangebote für Betroffene und Gesprächsempfehlungen für Menschen, die mit einer suizidgefährdeten Person in Kontakt stehen.
  • Die TelefonSeelsorge ist per Telefon, E-Mail und an 25 Standorten bundesweit vor Ort für Betroffene ansprechbar. Telefonisch ist sie anonym und rund um die Uhr unter  0800 / 111 0 111, 0800 / 111 0 222 oder 116 123 zu erreichen. Per E-Mail und Chat unter online.telefonseelsorge.de.
  • Nakos, die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen, bietet einen umfassenden Überblick über regionale Selbsthilfegruppen.

Was können Vorboten einer Suizidgefährdung speziell bei älteren Menschen sein?

Folgende Verhaltensweisen können auf eine Suizidgefährdung hindeuten:
Wenn die betreffende Person…

  • …sich zurückzieht, weniger Anteil am täglichen Leben und sozialen Beziehungen nimmt.
  • …niedergeschlagen ist.
  • …unerwartet ein Testament verfasst.
  • …Dinge verschenkt, die ihr oder ihm viel bedeuten.
  • …weniger isst, trinkt und/oder Medikamente nicht mehr regelmäßig einnimmt.
  • …sich dahingehend äußert, das Leben nicht mehr lebenswert zu finden, sie oder er sei lieber tot.
  • …konkrete Suizidgedanken oder -pläne äußert.


„Das alles können auch Anzeichen für eine beginnende Depression sein, die ernst genommen werden muss“, sagt Uwe Sperling, „wichtig ist es zu wissen, dass es fast immer Hilfe gibt und die Depression gebessert werden kann – auch im Alter.“ Sollten Sie selbst oder Menschen in Ihrem Umfeld depressive Gedanken äußern, zögern Sie nicht, eine Ärztin oder einen Arzt zu kontaktiert.

Was kann ich selbst präventiv tun?

„Wer bei sich selbst feststellt, dass die eigene Lebensfreude schwindet, sollte vor allem keine Scham empfinden“, sagt Uwe Sperling, „diese Gefühle kennt jede und jeder von uns in bestimmten Lebenssituationen. Und gerade viele ältere Menschen haben Probleme ihre Rolle zu finden und hadern mit der Situation“. Sein eindeutiger Rat: „Sprechen Sie mit anderen Menschen, reden Sie offen über Ihre Gefühle. Vielleicht merken Sie, dass Ihr Gegenüber schön Ähnliches erlebt und überstanden hat.“ Es sei wichtig, sich Rat zu holen und um Hilfe zu bitten – „denn die gibt es“.

Wie kann ich als Angehörige oder Angehöriger helfen?

„Viele Angehörige haben Sorgen, wenn sie das Thema ansprechen, den anderen Menschen erst auf Suizidgedanken zu bringen“, sagt Uwe Sperling, „aber diese Sorgen sind unbegründet. Es ist wichtig, das Thema anzusprechen und konkret nachzufragen.“

So können sich Angehörige unter anderem verhalten:

 

  •  Nehmen Sie die Sorgen und Nöte Ihres Gegenübers ernst. Ermahnungen wie „Reiß dich zusammen“ sind nicht angebracht.
  • Sprechen Sie über das Thema offen und hören Sie zu.
  • Zeigen Sie, dass sie da sind, den anderen Menschen begleiten und ihn in dieser schweren Zeit unterstützen.
  • Sagen Sie, dass Sie davon überzeugt sind, dass eine Veränderung möglich ist, auch wenn es im Augenblick nicht so aussehen mag.
  • Informieren Sie sich über Hilfsangebote und suchen Sie diese gemeinsam auf. 

An wen kann ich mich als selbst betroffene oder angehörige Person konkret wenden?

Es gibt eine ganze Reihe von Anlaufstellen, an die sich Menschen mit Suizidgedanken, ratsuchende Angehörige oder Freunde wenden können: Hilfsangebote, zu denen per Telefon, per E-Mail oder auch vor Ort Kontakt aufgenommen werden kann – wie etwa die TelefonSeelsorge. Weitere Hilfsangebote befinden sich weiter oben im Text in der Infobox. Vor Ort kann die Hausärztin oder der Hausarzt eine gute erste Anlaufstelle sein. Zudem gibt es psychosoziale Beratungsstellen, sogar teilweise mit Angeboten speziell für ältere Menschen. Uwe Sperling rät: „Wenn sich die Situation zuspitzt, sollten sich Betroffene an psychiatrische Kliniken und Notdienste wenden.“


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