Ahrweiler: Die Jahrhundertflut katapultiert die Stadt ins Chaos

In der Nacht zum 15. Juli 2021 rissen unvorstellbare Wassermassen Straßen, Autos, Häuser und Menschen mit sich. Der Pegel der Ahr stieg in ungewohnte Höhe an und zerstörte zahlreiche Existenzen. Im Ahrtal stehen alle unter Schock.

Darum geht’s:


La Perla: Das gemütliche Restaurant ist nach der Flut ein Trümmerhaufen

Seit 30 Jahren betreibt Familie Amanatidis das Restaurant „La Perla“. Vor etwa sieben Jahren übernahmen die Töchter Paddy und Nicki die Geschäftsleitung in der zweiten Generation. Paddy ist Restaurantfachfrau und kümmert sich um den Servicebereich, Nicki verantwortet als Köchin die mediterranen Köstlichkeiten. „La Perla“ ist das Herzensprojekt der gesamten Familie.

Nach den anstrengenden Monaten durch Covid-19 hatte es die Familie geschafft, ihr System auf die neuen Umstände der Pandemie-Hygienemaßnahmen einzustellen. Seit ein paar Wochen kamen die Gäste wieder ins Lokal. Die Stimmung war gut, denn die schlimmste Zeit schien überwunden! Dann kam die Nacht zum 15. Juli 2021: Die Jahrhundertflut im Ahrtal hat den Familienbetrieb mit voller Wucht erwischt!

Logbuch „La Perla“ Altstadt Ahrweiler 14. Juli 2021 – vor der Flut

Etwa 18:30 Uhr. Das „La Perla“ in der Altstadt von Ahrweiler ist ausgebucht. Paddy hält heute die Stellung und freut sich, dass die Gäste den Abend genießen. Gegen 19:00 Uhr kommt der Nachbar ins Restaurant und informiert die Gastronomin über drohendes Hochwasser, dass auch Ahrweiler erreichen soll. Paddy überlegt, was zu tun ist. Da das Restaurant voller Gäste ist, bleibt maximal Zeit, den Heizungskeller zu sichern. Das Ausmaß der kommenden Katastrophe ahnt zu diesem Zeitpunkt niemand – auch Paddy nicht: „Es gab die Info, dass die Ahr schon 4,50 Meter hoch sei, was ich aber nicht glauben konnte. Beim letzten Hochwasser 2016 war die Ahr nur 3,50 Meter hoch und da hatten wir etwas Wasser in der Straße. Am 14. Juli abends war davon nichts zu sehen. Ich war überzeugt, dass das Hochwasser an der Altstadt vorbeifließt!“

Die Feuerwehr warnt die Bürger mit beunruhigenden Durchsagen

Gegen 20:00 Uhr fährt die Feuerwehr durch Ahrweiler und informiert die Bürger, die Autos in die höher gelegenen Weinberge zu fahren und sich nicht mehr in Kellerräumen aufzuhalten. Jetzt bekommt auch Paddy ein mulmiges Gefühl. Auf Social-Media-Kanälen entdeckt sie erste Berichte, dass die Ahr zu einem wilden Fluss angeschwollen ist, der Autos und Wohnwagen mit sich reißt. Paddy erklärt später in einem Videobericht, warum sich die Gefahr so surreal anfühlte: „Die Ahr ist einen Kilometer von uns entfernt und eigentlich eher ein Bach als ein Fluss und auch nur drei Meter breit. Sie fließt zwar schnell, aber man kann da normal drinstehen. Sie ist auch nicht besonders hoch, das Wasser geht einem vielleicht bis zur Wade. Dass die Ahr einmal mit so einer Gewalt bis zu uns vordringt, – das hätte ich im Traum nicht gedacht!“

Die Sirenen heulen auf

20:30 Uhr. Nach den Durchsagen der Feuerwehr gehen plötzlich die Sirenen los. Paddy ruft ihre Schwester Nicki an, mit der Bitte umgehend nach Hause zu kommen. Nicki unterbricht ihren Ausflug mit der Familie und macht sich direkt auf den Weg, als Paddy am Telefon sagt: „Ich glaube, da kommt was ganz Dickes auf uns zu!“ Die Restaurantgäste zahlen und verlassen das Lokal. Paddy und ihr Mann fahren die Autos hoch in die Weinberge. Die Firmenwagen stehen in einer Garage am Marktplatz. Weil die Schranke nicht funktioniert, werden die Autos in höhere Ebenen gefahren. Als Nicki in Ahrweiler ankommt, bringen sie gemeinsam noch den geliebten Oldtimer (VW Käfer Cabrio) auf eine höhere Ebene. Alle sind überzeugt, dass die Autos in Sicherheit sind, weil das Gebäude sehr großflächig ist. Ein Irrtum: Alle Autos in der Garage werden später durch die Flut zerstört.

Die Ruhe vor dem Sturm

Etwa 21:00 Uhr. Es ist noch kein Wasser in Sicht! Das Team von „La Perla“ will noch einen Feierabenddrink nehmen. Plötzlich heulen wieder die Sirenen auf. Die Schwestern schließen gerade das Restaurant ab, als ein Mieter aus dem Haus zu ihnen kommt und berichtet, das Wasser im Keller aufsteigt. „Wir sind dann in den Keller, um noch ein paar Dinge zu sichern, doch das Wasser stieg schnell an. Innerhalb von zehn Minuten hoch bis zur Wade, dabei ist unser Kellergewölbe 350 qm groß! Dann plätscherte es überall durch das Gemäuer!“, berichtet Paddy später. Nicki ergänzt: „Dann kam auch schon unser Nachbar wieder in den Keller und rief uns zu, dass das Wasser jetzt die Straße hochkäme!“

Das Wasser kommt: Retten, was zu retten ist

Mit einem Blick in die Straße Richtung Marktplatz ist erkennbar, dass das Wasser zunächst langsam, aber stetig näherkommt. Die Schwestern und ihre Partner beschließen spontan, Müllsäcke mit Blumenerde zu füllen, um die Tür des Restaurants vor einem möglichen Wassereinlauf zu schützen. Paddy erzählt, dass ihr Mann die Idee mit der Blumenerde hatte: „Da im nächsten Jahr die Landesgartenschau bei uns geplant ist, wurde die Stadt bereits mit vielen Blumenkübeln geschmückt. Material war also genügend vorhanden! Wir stellten eine alte Holzplatte vor die Tür und nutzten unseren improvisierten Sandsäcken. Da wir nicht ausreichend gewarnt wurden, waren wir einfach nicht besser vorbereitet.“, erklärt Paddy weiter. Die Schwestern bringen wichtige Unterlagen und die Tageseinnahmen in Sicherheit.

Die Flut nimmt die Altstadt für sich ein

Das Wasser steigt innerhalb von 20 Minuten so stark an, dass die Erdgeschossebenen der Altstadt überfluten. Plötzlich steht eine Frau vor dem Restaurant mitten im Wasser - völlig apathisch. Nur mit Mühe kann sie über das Brett ins Restaurant gehoben werden. Ihre Schuhe hatte Sie bereits verloren. Nicky erinnert sich gut an die Situation, bevor sich alle in Sicherheit brachten: „Die Frau war komplett unter Schock. Wir mussten Sie regelrecht überreden, mit uns nach oben in die nächsten Etagen zu kommen. Sie wollte aber nur zu ihrem Mann. Unsere Männer unterstützten die Sandsäcke mit ihrem eigenen Körpergewicht, um das Brett an der Tür zu halten, während wir uns dann nach oben in den ersten Stock retteten. Wir hörten, wie die Männer bis drei zählten und dann losliefen. Wir haben es alle geschafft, nur unser Restaurant nicht!“

Ein Blick aus dem Fenster stockt allen den Atem

Etwa 22:00 Uhr. In der ersten Etage des historischen Gebäudes liegt die Wohnung von Nicki und ihrer kleinen Familie. Hier fühlen sich alle zunächst sicher, in der Hoffnung, dass das Wasser nicht weiter steigt. Der Strom ist bereits ausgefallen, also werden Kerzen angezündet. Der Blick aus dem Fenster lässt alle erschaudern. Mit geschätzten 2,80 Meter Höhe wütet die Ahr mit hoher Geschwindigkeit durch die Altstadt und zieht Massen an Treibgut mit sich. „Es ist unvorstellbar, was da alles mit durchgeschwommen ist – auch Autos mit Warnblinkern! Wir hatten keine Ahnung, ob da noch Menschen drin waren. Aber selbst, wenn, hätten wir nichts tun können!“, erzählen die Schwestern. Dann geben die großen Scheiben des Restaurants nach. Die Nachbarin von Gegenüber kommentiert das Geschehen in Echtzeit, wie Tische, Stühle und weitere Gegenstände aus dem Restaurant gespült und von der Flut verschluckt werden.

Bitte beachten Sie: Sobald Sie sich das Video ansehen, werden Informationen darüber an Youtube/Google übermittelt. Weitere Informationen dazu finden Sie unter Google Datenschutzerklärung.

Plötzlich wird es still

22:30 Uhr. Die zerstörerische Wut des Wassers lässt plötzlich nach. Doch der Pegel bleibt noch für etwa vier bis fünf Stunden bedrohlich konstant. Ein unangenehmer Geruch steigt in der Straße auf: Müll, Fäkalien, Chemische Stoffe, Benzin, Diesel, Öl, Lebensmittel, Tier- und Menschenleben hat die Flut mit sich gerissen – das toxische Gemisch macht sich nun bemerkbar. Die Gesamtsituation macht allen zu schaffen. Jeder versucht ein wenig zu schlafen, in der Hoffnung, dass sich das Wasser bis zum Morgen zurückzieht.

Eine Stadt im Schockmodus: Ahrweiler versinkt im Chaos

In der Nacht zum 15. Juli 2021 konnte vermutlich niemand in Ahrweiler wirklich schlafen. Und als sich das Wasser am nächsten Morgen langsam zurückzog, wurde das Ausmaß der Zerstörung immer deutlicher. Paddy und Nicky wagten einen ersten Blick ins Restaurant, als der Wasser-Pegel endlich unter der Empore des Eingangs stand! Nicki erzählt uns in einem Videobericht von den ersten Eindrücken.

Bitte beachten Sie: Sobald Sie sich das Video ansehen, werden Informationen darüber an Youtube/Google übermittelt. Weitere Informationen dazu finden Sie unter Google Datenschutzerklärung.

Das Wasser stand noch drei Tage in Ahrweiler. Wer konnte, begann umgehend mit den Aufräumarbeiten. Alle versuchten so schnell wie möglich den Schlamm aus den Häusern zu bekommen. Der braune Brei stinkt fürchterlich und brennt auf der Haut, wie Nicki berichtet. Mit dem Ausräumen durchtränkter Möbel und verschlammtem Mix an Unrat türmten sich Müllberge Meter hoch in den Straßen und wurden zunehmend zu einem ernsthaften Problem: Seuchengefahr! Kein Strom, kein Gas, kaum sauberes Wasser und kein funktionierendes Telefonnetz. Der Ausnahmezustand im Ahrtal ist auch von außen deutlich spürbar.

Was ist im Katastrophenfall zu tun?

Wie die Jahrhundertflut im Westen Deutschlands zeigt, kann jede und jeder von uns plötzlich und unvorbereitet in einen Katastrophenfall geraten und ist auf Hilfe angewiesen. In folgendem Artikel erklären wir, was ein Katastrophenfall ist und was dann zu tun ist. Wenn Du Dich im Katastrophenschutz engagieren möchtest, findest du in diesem Artikel alle wichtigen Informationen dazu.

La Perla: Wie geht es mit dem Restaurant weiter?

„Wir machen weiter!“, erzählt Nicki in einer Selbstverständlichkeit, die nach Aufbruch klingt und setzt nach: „Wir haben nicht einmal darüber nachgedacht aufzuhören und auch nicht darüber gesprochen, weil wir so unter Schock standen und dann in den Aufräumarbeiten steckten. Aufgeben ist für uns keine Option. Wir machen weiter und bauen das Restaurant wieder auf. Wir können das und wir schaffen das!“ Fünf Tage brauchte es, bis sie das Wasser aus dem Haus hatten. Sieben weitere Tage, bis das Restaurant und der Keller von Unrat und Dreck befreit waren. Jetzt müssen die Wände durchtrocknen, bevor es weiter gehen kann. Die Schwestern sind unendlich dankbar für die finanziellen Spenden und die Solidarität, die sie in den Tagen nach der Katastrophe von Freunden, Stammgästen und von Fremden erfahren haben: „Ohne unsere Familie, Freunde, Nachbarn und die Bauern mit ihren Geräten hätten wir das nicht geschafft. Auch die freiwilligen Helfer, die von weit angereist kommen und bei den Aufräumarbeiten helfen, sind einfach großartig - Danke!“

Die Not der Flutkatastrophe hat viele Gesichter

Das Leben der Flutopfer liegt im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße. Viele Menschen und Tiere haben die Katastrophe mit ihrem Leben bezahlt und Trauernde hinterlassen. Andere haben ihre Autos, ihr Zuhause und komplette Existenzen verloren. Sie alle stehen vor dem Nichts! Die Aufräumarbeiten und der Wiederaufbau werden teuer und vermutlich lange andauern. Nach den Aufräumarbeiten werden die Menschen seelische Unterstützung brauchen, um das Erlebte zu verarbeiten. Mit ausreichend finanziellen Mitteln können wir die Prozesse gemeinsam beschleunigen. Möchtest du die Opfer der Flutkatastrophe unterstützen, kannst du hier an die Malteser spenden.

Charity-Event zugunsten der Flutopfer

In einem Charity-Live-Event haben die Malteser bereits Spenden gesammelt, um den Menschen in den Katastrophengebieten finanziell und tatkräftig unter die Arme zu greifen. Hier erfährst Du, wie die Malteser vor Ort helfen. Auch die bekannte Köllner Band „Die Höhner“ haben das Charity-Event unterstützt, mit einem neuen Song, den sie den Opfern und Helfern der Flutkatastrophe gewidmet haben: „Sag mir, dass wir es schaffen!


#Helfer im Einsatz

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