Flight Nurse & Flight Doc: Medizinische Betreuung in der Luft

Patientinnen und Patienten werden aus dem Ausland manchmal mit Ambulanzflugzeugen in die Heimat zurückgebracht. Mit an Bord sind eine Pflegekraft (Flight Nurse) und eine Flugärztin oder ein Flugarzt. Gregor Schulz ist Fachkraft für Anästhesie und Intensivpflege in einer Klinik. Er arbeitet freiberuflich als Flight Nurse für den Rückholdienst der Malteser. Seine Kollegin Charlotte Stehn ist Anästhesistin in einer Klinik und ist ebenfalls für die Malteser in der ganzen Welt unterwegs als Flugärztin.

Darum geht's:


Was macht eine Flight Nurse?

Gregor: Es ist eine Kombination aus organisatorischen und medizinischen Aufgaben. Am besten kann man das anhand eines Einsatzes beschreiben: Zwischen 24 und 48 Stunden vor einem Flug bekommt man einen Anruf, in dem erst einmal die grundsätzlichen Informationen über die Patientin oder den Patienten vermittelt werden.

Dann spricht man sich mit dem Flugarzt oder der Flugärztin ab. Danach beginnt der Arbeitstag damit, dass ich zuerst alle Unterlagen einsammle und die nötigen Medikamente zusammenstelle. Am Flugplatz stelle ich die Materialien zusammen, die in den Flieger kommen. Das heißt, die Flieger sind selten komplett ausgerüstet. Wir müssen alles an Verbandsmaterial, Kanülen, Spritzen und so weiter einladen. Das machen wir meistens zusammen mit der Flugärztin oder dem Flugarzt. Dabei sprechen wir uns zusätzlich ab: Hat sich etwas verändert, zum Beispiel am Gesundheitszustand der Patientin oder des Patienten?

Was ist eigentlich der Rückholdienst?

Du möchtest mehr über den Rückholdienst der Malteser, seine Einsätze und Aufgabengebiete erfahren. Dann schau dir hier unseren Artikel über den Rückholdienst an.

Während des Fluges besprechen wir das Vorgehen am Einsatzort. Mal wird die betroffene Person zu uns zum Flugzeug gebracht und mal fahren wir ins Krankenhaus, um die Patientin oder den Patienten dort abzuholen. Gleichzeitig halten wir immer Kontakt zur Zentrale, damit alle genau wissen, wo wir sind, wann wir starten, wann wir wo landen. Und man überwacht natürlich die Patientin oder den Patienten während es gesamten Fluges.

Was sind deine Aufgaben als Flugärztin?

Charlotte: Meine Aufgabe beginnt schon, bevor wir das Flugzeug überhaupt sehen, nämlich mit der Meldung über die Patientin oder den Patienten. Da hat es im Vorfeld eine medizinische Abklärung gegeben, aber ich muss schauen, ob es vielleicht noch irgendwelche Dinge gibt, die geklärt werden müssen. Das sind manchmal organisatorische Sachen wie: Wir brauchen noch den Ausweis der Person. Oder die Patientin beziehungsweise der Patient sollte vielleicht noch einen Blasenkatheter bekommen oder benötigt noch ein Röntgenbild.

Der erste Patientenkontakt ist enorm wichtig, weil wir uns einen Eindruck verschaffen müssen. Ist der Zustand der Person so, wie wir das mitgeteilt bekommen haben? Es kann passieren, dass der Zustand sich seit dem letzten Gespräch verschlechtert hat. Wir reisen ja manchmal 24 Stunden an und in dieser Zeit kann einiges passieren. Dann müssen wir vor Ort entscheiden, wie wir den Transport realisieren können und welche Maßnahmen wir ergreifen. Manchmal müssen wir auch bis zum nächsten Tag abwarten, ob sich der Zustand verbessert. Wir bleiben in der Regel so lange vor Ort. Es kann aber auch passieren, dass wir unverrichteter Dinge wieder zurückfliegen. Aber in den meisten Fällen können wir die Patientinnen oder Patienten doch mitnehmen.

Wie wird man Flight Nurse?

Gregor: Die Voraussetzungen sind mindestens vier Jahre Berufserfahrung in der Fachpflege. Als Notfallsanitäterin oder Notfallsanitäter sollten auch mindestens vier Jahre Berufserfahrung in der Notfallmedizin oder im Rettungsdienst vorliegen. Dann macht man eine Fortbildung. Das ist einmal ein Kurs für Intensivtransport, wo die Grundlagen wiederholt werden: Welche Besonderheiten gibt es? Wie ist es mit Absprachen? Das ist Hintergrundwissen, was gar nicht so sehr auf das Thema Fliegen ausgerichtet ist, sondern vielmehr auf den Intensivtransport allgemein. Bei den Maltesern macht man noch ein weiteres Fortbildungswochenende. Da werden die theoretischen Inhalte vermittelt und dann geht es einen Tag auf den Flughafen. Hier lernt man alles zur Flugsicherheit: Welche Aus- und Eingänge gibt es? Wo sind die Notausgänge? Alles wird geübt, sodass man innerhalb von 60 Sekunden mit allem Drum und Dran aus dem Flieger rauskommt: Wie öffne ich die Notausgänge? Wie evakuiere ich einen Flieger? Anschließend gibt es drei praktische Flüge, bei denen man als dritte Person mitfliegt. Dann merkt man, dass vieles einfach Learning by Doing ist.

Wie wird man Flugärztin?

Charlotte: Die Voraussetzungen sind ganz ähnlich wie bei der Flight Nurse. In unserem Fall braucht man die Fachärztin beziehungsweise den Facharzt mit der Zusatzbezeichnung Notfallmedizin und einige Jahre Erfahrung in der Notfallmedizin. Und dann machen das ärztliche und das nicht-ärztliche Personal alle Schulungen gemeinsam. Wir machen den gleichen Intensivtransport-Kurs, den Gregor schon genannt hatte, und auch die gleiche Schulung bei den Maltesern mit dem Tag am Flughafen.

Was ist das Besondere an der Arbeit im Flugzeug?

Charlotte: In der Luft herrschen bestimmte physikalische Gesetze, die die Patientin oder den Patienten beeinträchtigen können. Das ist besonders. Und dass man mit den Möglichkeiten, die man dort in der Maschine hat, allein ist. Man hat niemanden, den man fragen kann. Manchmal hat man ein PDF-Dokument auf dem Handy oder auf dem Laptop. Das Internet kann ich ja nicht benutzen. Das heißt, ich muss gut vorbereitet sein. Das Gleiche gilt für diagnostische Optionen. Ich habe nur das an Bord, was ich mitgenommen habe. Da kann ich nicht sagen: Ach, jetzt hätte ich gerne einen Ultraschall oder ein Röntgenbild. Oder wenn mir mal der Sauerstoff ausgeht, kann ich nicht einfach die Leitstelle anrufen und die bringen mir neuen. Mein Material ist begrenzt und ich muss mit dem, was ich habe, haushalten. Das bedeutet auch, dass ich vorausschauend arbeite. Wenn ich denke, dass ich mehr brauchen könnte, dann muss ich auch von vornherein mehr mitnehmen.

Was sind die größten Herausforderungen in eurem Job?

Gregor: Das sind zum einen die Platzverhältnisse. Ich bin knapp 1,90 m groß. Das Flugzeuginnere misst im Durchmesser circa 1,60 m. Da muss ich schon sehr gebückt arbeiten. Eine weitere Herausforderung ist, dass man natürlich nicht unendlich Ressourcen hat, wie Charlotte schon gesagt hat. Die Anzahl an Medikamenten und medizinischem Material ist beschränkt. Und man muss nicht nur die Patientinnen und Patienten versorgen, sondern gleichzeitig immer mit der Pilotin oder dem Piloten Rücksprache halten: Wo sind wir gerade? Wo gibt es Flughäfen, auf denen wir im Notfall landen könnten? Wenn wir einen medizinischen Notfall haben, müssen wir uns immer fragen: Hilft es der Patientin oder dem Patienten, wenn wir jetzt notlanden? Es macht einen Unterschied, ob ich in Frankreich in einer Großstadt landen muss, wo mehrere Unikliniken sind oder in zum Beispiel Pakistan. Dann müssen wir uns überlegen, welche Möglichkeiten es noch gibt.

Charlotte: Wir haben eigentlich ständig Zeitdruck. Das haben wir im bodengebundenen Rettungsdienst auch, aber auf dem Flugplatz ist es nochmal anders. Die Zeit auf dem Flugplatz ist kostenintensiv und muss so gering wie möglich gehalten werden. Wir müssen die Patientin oder den Patienten also relativ schnell sichten und beurteilen können, ob sie oder er wirklich flugfähig ist. Gleichzeitig erklären wir der Person die Abläufe, kontrollieren Gepäck und Ausweise. Das sind relativ viele Dinge, die gleichzeitig zu tun sind. Die Patientin oder der Patient wird dann eingeladen, in der Regel liegend durch eine sehr schmale Tür. Da muss man noch mal um eine Kurve herum. Das ist ein kritischer Punkt. Wenn die oder der Betroffene beatmet wird oder viele Verletzungen hat, dann müssen die Handgriffe sitzen, damit nicht aus Versehen ein Schlauch herausgezogen wird. Da muss man sehr gut miteinander sprechen und arbeiten: Ist die Patientin oder der Patient gut gesichert? Sind die Zugänge gut gesichert? Ist alles stabil, was die Beatmung und die Vitalzeichen angeht? Eine gemeinsame Routine ist da natürlich von Vorteil, weil gleichzeitig das Take Off vorbereitet wird. Das alles passiert in einem Zeitablauf von unter zehn Minuten.

Was ist besonders wichtig für die Zusammenarbeit zwischen Flight Nurse und Flugärztin?

Gregor: Wie überall ist Kommunikation das A und O. Wir orientieren uns an den CRM-Leitsätzen (CRM steht für Crew Ressource Management). Das heißt unter anderem, dass wirklich jeder beziehungsweise jede jederzeit die Möglichkeit hat, alles laut mitzuteilen, wenn etwas auffällt. Wenn wir zum Beispiel die Patientinnen oder Patienten übernehmen, gucken wir uns beide die Person genau an und wenn uns etwas auffällt, wird das mitgeteilt. Das Schlimmste, was auf einem Flug passieren kann, ist, dass wir beide stumm nebeneinanderstehen. Die Patientin oder der Patient wird reingefahren, verkabelt und keiner spricht miteinander. Jeder Schritt, den wir machen, wird besprochen. Wenn die oder der Betroffene am Flughafen ankommt, dann gehen wir zusammen in den Rettungswagen, begrüßen die Patientin oder den Patienten und stellen uns vor.

Was tut ihr, wenn plötzlich Turbulenzen auftreten?

Gregor: Also grundsätzlich ist es so wie auch auf einem normalen Linienflug: Wir müssen angeschnallt bleiben. Die Patientin oder der Patient ist ja sowieso komplett angeschnallt und liegt auf seiner Trage. Dann versuchen wir auch ein bisschen, die Seiten mit Kissen abzupolstern. Alle Materialien müssen sowieso immer so verstaut sein, dass sie nicht herumfliegen können.

Und wenn es mal sein sollte, dass wir an der Patientin oder am Patienten etwas machen und uns abschnallen müssen, dann sprechen wir uns mit den Pilotinnen und Piloten ab. Die sehen natürlich, ob es Turbulenzen geben könnte oder hören es über Funk. Gerade im afrikanischen Äquatorgürtel hat man massive Turbulenzen und es kann vorkommen, dass wir plötzlich mehrere Meter hoch- oder runterfliegen. Das ist in so einer Nussschale nicht angenehm und darum ist es umso wichtiger, dass wir angeschnallt bleiben. Da sind die engen Räumlichkeiten wieder von Vorteil. Wir kommen auch angeschnallt an die Patientin oder den Patienten ran.


Grundsätzlich ist es ja so, dass wir im Ambulanzflugzeug quasi wie mit Blaulicht fliegen. Wenn eine Patientin oder ein Patient an Bord ist, weiß die Flugsicherung Bescheid und gibt uns Vorrang.

Charlotte


Charlotte: Wir müssen bei Starts und Landungen nicht in der Reihe warten wie andere Flugzeuge. Dass wir mit einer Patientin oder einem Patienten mal Warteschleifen drehen, passiert so gut wie nie. Na gut, ich habe es schon mal erlebt, dass wir nicht landen konnten, weil unten am Flughafen ein Problem bestand, aber das hatte organisatorische Gründe. Ansonsten haben wir immer Vorrang. Das gilt auch für den Flug selbst. Die Pilotinnen und Piloten dürfen die Höhe, in der wir fliegen, aussuchen. In der Regel wählen sie die Höhe, die am wirtschaftlichsten ist – mit dem meisten Rückenwind und geringsten Treibstoffbedarf. Wenn es sein muss, können wir Turbulenzen umfliegen.

Welche besonderen Fähigkeiten brauche ich für den Einsatz in der Luft?

Gregor: Eine Voraussetzung ist, dass man Englisch spricht, wenn man mehr Fremdsprachen beherrscht, umso besser. Außerdem muss man gut kommunizieren können; das ist wirklich das A und O. Und man muss teamfähig sein und sich auch mal unterordnen können. Im Flieger haben die Pilotinnen und Piloten das letzte Wort. Wir können nicht bestimmen, wann und wo wir landen, auch wenn es kritisch für die Patientin oder den Patienten wird. Das letzte Wort haben immer die Pilotinnen und Piloten.

Charlotte: Man muss auch ein bisschen Abenteuerlust haben. Natürlich hat man immer das Recht, eine Destination abzulehnen. Aber im Laufe der Zeit wird man resilienter. Ich wurde schon in einem geschützten Konvoi ins Hotel gefahren. Und man muss improvisieren können, aber gleichzeitig auch die Fähigkeit haben, das Improvisieren so gut es geht zu umschiffen. Das heißt, ich muss mich gut vorbereiten und antizipieren können, was alles geschehen könnte. Und man muss sich flexibel an alle möglichen Situationen anpassen. Sei es, dass die Patientin oder der Patient in einem anderen Zustand ist, als uns angekündigt wurde, oder das Land ist anders als man denkt. Oder man kommt im Krankenhaus an und dann ist die Patientin oder der Patient gar nicht da und du musst erst einmal suchen.

Was ist das Schönste an eurem Job?

Gregor: Für mich ist es genau das Abenteuer, von dem Charlotte gerade gesprochen hat. Und ich beruhige mit dem Job mein Fernweh. Ich habe einen großen Faible für die Fliegerei, das hat mich schon immer interessiert. Und ich liebe den Geruch von Kerosin. Ich kann als Flight Nurse zwei Dinge verbinden, die ich total gerne mache: die Fliegerei und das Medizinische. Man sieht andere Länder, man sieht andere Krankenhäuser. Das erdet einen auch. Gerade in den letzten Jahren war alles sehr stressig und man ist oft genervt von der ganzen Organisation. Und dann kommt man irgendwo auf eine kleine Insel in Griechenland, wo ein ganz, ganz kleines Krankenhaus mit rudimentärer Ausstattung ist. Die Leute dort sind aber trotzdem gut gelaunt und das, obwohl sie einen harten Job mit deutlich weniger machen als wir in Deutschland.

Charlotte: Ich bin gerne woanders und tauche auch gerne in andere Welten ein. Natürlich freue mich, irgendwohin zu reisen, wo ich noch nicht war. Es ist aber auch sehr schön, wenn man auf irgendeiner Insel oder irgendwo in Ägypten landet und die Leute dort einen schon kennen. Und Herausforderungen machen mir Spaß. Wir haben schon Leute mit einer Wirbelsäulenfraktur in der Ferienwohnung abgeholt und über irgendwelche Treppen herausgetragen und dachten nur: Ogottogott! Dann muss man das managen. Und ich arbeite auch sehr gerne im Team. Es macht Spaß, mit der Crew unterwegs zu sein.

Welche besonderen oder außergewöhnlichen Situationen habt ihr schon erlebt?

Gregor: Da gibt es sehr viele kleine Situationen. Ich erinnere mich an einen Flug auf die Kanaren. Es hieß, der Patient sei nicht kontaktierbar, ist im sogenannten Delir und wäre überhaupt nicht im Hier und Jetzt. Das war ein Bayer. Als wir dann ankamen, habe ich „Grüß Gott“ gesagt und da gingen seine Augen auf. Er hat richtig gestrahlt.

Charlotte: Für mich gibt es auch so viele rührende oder auch traurige Geschichten. Was mich aktuell beeindruckt hat: Wir haben im Jahr 2022 viele Kinder zusammen mit ihren Müttern von der polnisch-ukrainischen Grenze abgeholt und für Reha-Maßnahmen nach Irland geflogen. Dort ist eine Einrichtung extra für verletzte Kinder aus der Ukraine. Wenn wir die Kinder an der Grenze in Empfang genommen haben, war es sehr, sehr beeindruckend: die Organisation der Helfenden und das an einem Flughafen mit Flugabwehrraketen. Und dann die Emotionen in den Gesichtern der Mütter: Von Dankbarkeit über Angst und Unsicherheit spielte da alles mit. Das fand ich emotional am interessantesten, aber auch am anstrengendsten.


#Helfer im Einsatz

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