Erste Hilfe: Frauen werden seltener wiederbelebt
Eine Herzdruckmassage kann bei einem Herzstillstand das Leben der betroffenen Person retten. Aber: Laut Studien werden Frauen im öffentlichen Raum seltener reanimiert als Männer. Woran liegt das? Und wie kann sich das ändern? Wir haben bei einer Expertin nachgefragt.
Darum geht's
Herzdruckmassage: Gender-Gap bei der Wiederbelebung
Bei einem Herzstillstand kann eine Herzdruckmassage Leben retten. Die Wiederbelebungsmaßnahme funktioniert für Männer und Frauen gleich. Doch Studien zeigen, dass Frauen außerhalb von Krankenhäusern seltener als Männer reanimiert werden.
Ein kanadisches Forscherteam hat zum Beispiel 40.000 Fälle von Herzstillstand untersucht, die es im Zeitraum von 2005 bis 2015 in den USA und Kanada außerhalb von Krankenhauseinrichtungen gab. Anwesende Personen leisteten in über 60 Prozent der Fälle Erste Hilfe durch eine Herzdruckmassage.
Aber: Männer erhielten mit einer Wahrscheinlichkeit von 68 Prozent häufiger Hilfe als Frauen (61 Prozent). Andere Untersuchungen kamen zu ähnlichen Ergebnissen.
„Auch, wenn es bislang wenig Daten für Deutschland gibt, kann man die Ergebnisse der Studien durchaus auf Deutschland übertragen“, sagt Dr. Christina Heßling, Referentin Ausbildung bei den Maltesern. „Es gibt auch bei uns eine gewisse Angst, Frauen auf der Straße zu entkleiden – gerade unter Männern. Das kann dazu führen, dass Frauen seltener wiederbelebt werden.“
Prüfen, rufen, drücken: So reagierst du bei einem Herzstillstand richtig
Bei einem akuten Herzstillstand ist schnelle Hilfe wichtig. Für Ersthelferinnen und -helfer gilt: Ruhe bewahren, prüfen, ob die betroffene Person bei Bewusstsein ist und noch normal atmet – ist das nicht der Fall, den Notruf wählen und sofort mit der Wiederbelebung beginnen. Hier findest du eine einfache Anleitung für eine Herzdruckmassage.
Scham und Angst statt Erster Hilfe
Die Gründe für die Zurückhaltung sind vielfältig. „Zum einen gibt es unter Ersthelfenden generell Hemmungen, etwas falsch zu machen. Hat die Person wirklich einen Herzstillstand? Kann ich sie verletzen, wenn ich mit der Herzdruckmassage starte? Und wie geht die überhaupt nochmal? Das sind Dinge, die vielen durch den Kopf gehen – ganz unabhängig davon, ob vor ihnen eine Frau oder ein Mann liegt“, sagt Heßling. Ist die Person, die Hilfe benötigt, eine Frau, kommen oft weitere Faktoren hinzu. „Eine fremde, nackte Person zu berühren, ist eine gelernte Hemmschwelle. Männer können Angst haben, dass ihnen ein sexueller Übergriff unterstellt wird. Immerhin verlangen die Richtlinien zur Herzdruckmassage, dass man die betroffene Person am Oberkörper vollständig entkleidet, um den Druckpunkt finden zu können. Auch Scham oder kulturelle Befangenheit können eine Rolle spielen.“
Im Notfall: Immer Erste Hilfe leisten!
WICHTIG: Ihr könnt bei einer Wiederbelebung nichts falsch machen – schlimmer ist, wenn ihr nichts unternehmt, denn mit jeder Minute ohne Reanimation sinkt die Überlebenschance! In Deutschland ist jede und jeder grundsätzlich zur Ersten Hilfe verpflichtet. Wer nicht hilft, kann sich übrigens auch strafbar machen und eine Strafe wegen unterlassener Hilfeleistung erhalten. Dieses Vergehen kann mit einer Geldstrafe oder sogar einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr geahndet werden.
Sind weibliche Reanimationspuppen die Lösung?
In Erste-Hilfe-Kursen wird die Herzdruckmassage an speziellen Puppen, sogenannten „Phantomen“ geübt. Die wirken meist androgyn-männlich, haben in der Regel einen flachen Oberkörper. „Die Guidelines schreiben vor, Reanimation so einfach wie möglich zu unterrichten. Wie man den Druckpunkt für die Herzdruckmassage findet, wird bisher an diesen sehr standardisierten Puppen gezeigt“, erklärt Heßling. „In der Realität sehen Menschen aber natürlich oft ganz anders aus. Manche sind übergewichtig, manche haben Brüste – da kann es schwerer sein, den Druckpunkt für die Herzdruckmassage zu finden.“
Können Übungspuppen mit Brüsten eine Lösung sein und helfen, Scham abzubauen? „Ich denke schon“, sagt Heßling. „Es gab zwar eine Studie, die gezeigt hat, dass an solchen Puppen aus Scham im Erste-Hilfe-Kurs mitunter schlechter geübt wird. Gleichzeitig gibt es aber erste Studien, die darauf hindeuten, dass Puppen mit Brüsten in der Realität einen Unterschied machen würden.“ Wer ein paar Mal an so einer Puppe geübt hat, gewöhnt sich daran und entwickelt eine Routine. Das kann die Hemmschwelle, eine fremde nackte Person zu berühren, senken und helfen, den Druckpunkt zu finden. „Was ich mit den eigenen Händen lerne, lerne ich einfach besser“, erklärt Heßling. Ihr Wunsch wäre, dass in Erste-Hilfe-Kursen an verschiedenen Puppen geübt wird. „So etwas einzuführen, dauert, weil viele Regularien eingehalten werden müssen. Aber: Wir Malteser sind dran, wir ignorieren das Problem nicht.“
Mund-zu-Mund-Beatmung ist nicht mehr zwingend nötig
Gut zu wissen: Viele Maßnahmen der Ersten Hilfe wurden zuletzt vereinfacht. So ist es bei einer Herzdruckmassage zwar besser, aber nicht mehr zwingend nötig, eine Atemspende über eine Mund-zu-Mund-Beatmung zu geben. Du kannst stattdessen auch durchgängig die Druckmassage durchführen. Eine Wiederbelebung mit Beatmung ist immer besser als eine ohne und sollte von Personen durchgeführt werden, die dies zum Beispiel in einem Erste-Hilfe-Kurs gelernt haben. Bei einer zusätzlichen Mund-zu-Mund-Beantmung sollte die Herzdruckmassage jedoch so kurz wie möglich unterbrochen werden.
Leben retten kann jede und jeder!
Grundsätzlich appelliert die Expertin an alle Menschen, ihre Scham zu überwinden und im Notfall anderen zu helfen – ganz gleich, ob Kind, Frau oder Mann. Laut Statistik des Deutschen Reanimationsregisters erlitten im Jahr 2024 im Schnitt 370 Menschen pro Tag einen plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand außerhalb eines Krankenhauses. Bei etwa der Hälfte – rund 67.000 Patientinnen und Patienten – begann erst der Rettungsdienst mit Wiederbelebungsmaßnahmen. „Viele fühlen sich leider nicht zuständig. Dabei sollten Menschen sich um Menschen kümmern“, betont Heßling. Bei einem Herzstillstand zählt jede Sekunden, daher sollten Ersthelfende umgehend aktiv werden und mit den Wiederbelebungsmaßnahmen beginnen.
„Die Minuten, bis der Rettungsdienst eintrifft, sind bei einem Herzstillstand entscheidend.“
Dr. Christina Heßling über die Notwendigkeit, Erste Hilfe zu leisten.
Gewisse Berührungsängste kann sie nachvollziehen, wünscht sich aber, dass diese ausgeblendet werden. „Manchmal hilft es, sich in dem Moment zu überlegen, was man sich selbst erhoffen würde, wenn die eigene Frau, Tochter oder Mutter Hilfe bräuchte. Man wäre dankbar, wenn Fremde dann helfen und nicht aus Angst oder Scham davor zurückschrecken.“ Falsch machen könne man bei der Reanimation jedenfalls nichts, betont Heßling. „Die Minuten, bis der Rettungsdienst eintrifft, sind bei einem Herzstillstand entscheidend. Mit der geübten Wiederbelebung bleibt die Sauerstoffversorgung des Gehirns gewährleistet. Und damit bleibt die Hoffnung bestehen, im besten Fall ein Leben zu retten.“
Jetzt Erste-Hilfe-Kurs auffrischen
Die meisten machen einen Erste-Hilfe-Kurs mit 18, wenn sie ihren Führerschein machen – und danach nie wieder. Dabei gilt: Je öfter du übst, desto besser und routinierter kannst du im Notfall helfen. Mitunter ändern sich auch Maßnahmen und es gibt dir Sicherheit, auf dem neuesten Stand zu sein. Hier findest du einen Erste-Hilfe-Kurs der Malteser in deiner Nähe.