Senioren gamen im Altenheim an der Konsole: Wenn Opa zockt

Opa Karl fährt jetzt Motorrad – dafür hat das Start-up-Unternehmen RetroBrain gesorgt: Es hat eine Spielekonsole entwickelt, mit der Seniorinnen und Senioren wieder auf den Bock können, zumindest virtuell. An sich sind Konsolen nichts Neues, aber diese ist konzipiert für Demenzkranke und für körperlich eingeschränkte Menschen. Das bewegungsgesteuerte Videospiel kann das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen. Im Gegensatz zu anderen Maßnahmen ist es immer verfügbar. Und Spaß bringt es auch. Viele Einrichtungen haben es schon getestet und in den Alltag der Seniorinnen und Senioren integriert, darunter der Malteserstift St. Bonifatius.

Darum geht's:


Memore: Simples Prinzip mit großer Wirkung

Die Konsole lässt sich superleicht anschließen: Eine kleine Box kommt ans TV-Gerät und schon startet das Spiel per Knopfdruck. Ein Sensor am oberen Rand des Bildschirms erfasst die Bewegungen der Spielenden und überträgt sie auf den Monitor. Beim Kegeln brauchen die Senioren nur die Arme zu bewegen, um die Kugel ins Rollen zu bringen. Das gelingt sogar aus einem Rollstuhl heraus.

Endlich mal wieder Kegeln, lautet die einhellige Meinung der Senioren im Hamburger Hospital zum Heiligen Geist. Aber wie entstand die Idee, Senioren den Zugang zu Videospielen zu erleichtern?

Bitte beachten Sie: Sobald Sie sich das Video ansehen, werden Informationen darüber an Youtube/Google übermittelt. Weitere Informationen dazu finden Sie unter Google Datenschutzerklärung.

Die Idee für „Memore“ entsteht

Den Einfall für die Spielekonsole hatten die Macher von Retrobrain, als ein Familienmitglied im Freundeskreis von Manouchehr Shamsrizi (Erfinder der Box) an Demenz erkrankte. Schnell zeigte sich, wie wenig Angebote und Förderung es für Betroffene gibt. Da die Studenten zu der Zeit an der Humboldt-Universität Spiele entwickelten, kreierten sie auch Memore. Die Senioren sollten dabei animiert werden:

  • geistig und körperlich so lange wie möglich fit zu bleiben,
  • sich zu unterhalten und
  • jede Menge Spaß zu haben.

 

Gedacht ist die Gaming-Konsole als Ergänzung zu anderen Aktivitäten und für die stationäre Altenpflege.

Per Knopfdruck aufs Motorrad

Ein beliebtes Memore-Spiel ist das Motorradfahren: Einmal klicken und schon weht Opa Karl gefühlt der Wind um die Nase. Ob er es schafft, nicht von der Straße abzukommen? Hier sind spezielle Bewegungen erforderlich, damit das Spiel klappt. Das Gewicht muss nach rechts und links verlagert werden, um Baustellen zu umfahren. Diese Gewichtsverlagerungen trainieren neben dem Gleichgewichtssinn auch die Stand- und Gangsicherheit.  Sogar die geistige Förderung kommt nicht zu kurz: An einer Kreuzung entscheidet der Spieler, ob er rechts oder links abbiegen muss, um in die Hauptstadt zu fahren. Manouchehr stellt fest: „In diesem Moment haben wir den Spieler, wo wir ihn haben wollen. Er muss sich erinnern: Die Hauptstadt ist Berlin.“

Beim Briefträgerspiel kann ein zockender Spieler seinen nur schwer beweglichen rechten Arm trainieren, denn die Post muss im Briefkasten landen. Die anwesenden Damen feuern „den Briefträger“ an und applaudieren bei jedem gelungenen Wurf. Die alten Leute haben gemeinsam Spaß.

Alle Spiele – Kegeln, Motorradfahren, Briefträger und Tischtennis – lassen sich durch Gesten und Bewegungen steuern, die Spielenden schaffen das intuitiv. Am Anfang sind Betreuer dabei, die eine erste Orientierung geben, aber die Senioren lernen die digitale Technik schnell. „Entzückend. Ich habe selten so gelacht“, äußert sich eine Seniorin begeistert.

Studien belegen, dass das Spielen mit der MemoreBox sich auf die kognitive Leistung und auf das soziale Verhalten auswirkt. Die alten Damen und Herren trainieren neben Kraft und Gleichgewicht auch Kurzzeitgedächtnis und Aufmerksamkeit. Sie kommen in Form und üben auch gleichzeitig, sich länger auf etwas zu konzentrieren. Schön ist, dass die Senioren die Spiele nicht als Therapie wahrnehmen. Für sie sind die Spiele eine willkommene Abwechslung im Alltag. Wie das Ganze in der Praxis aussieht, erfährst du im Video.

So funktioniert’s: Paul zeigt wie es geht

Beim heiteren Spielenachmittag in der Else-Voss-Stiftung in Hamburg zeigt sich, wie leicht der Zugang zur MemoreBox auch im hohen Alter ist. Paul, ein Avatar, macht vor, wie sich der Mitspieler bewegen muss, um im Spiel zu bleiben. Angenehm für die Oldies: Alles läuft ohne grelle Grafiken und Technomusik. Stattdessen hören die Senioren vertraute Melodien, die sie ein Leben lang begleitet haben. Da fängt der ein oder andere schon mal zu summen an.

RetroBrain bekommt Auszeichnung

2013 erhält das Startup-Unternehmen den Rudi-Assauer-Preis für „den innovativen Ansatz in der stationären Pflege für Demenzkranke“ von der Stiftung des ehemaligen Fußballprofis und legendären Schalke-Managers Rudi Assauer, der selbst an Demenz erkrankt ist. Die MemoreBox gilt als Meilenstein der therapeutischen Spieleentwicklung. Die Macher arbeiten kontinuierlich daran, die Spiele zu verbessern. Vor Ort in Hamburg äußern die Senioren auch mal einen Wunsch: „Ich würde so gern mal wieder Ski fahren!“ RetroBrain will das umsetzen und hat noch weitere Spiele in der Pipeline.

Immer mehr Demenzkranke

Allein in Deutschland gibt es über 1,5 Millionen Demenzkranke, Tendenz steigend. Viele werden immer vergesslicher, teilweise verlieren sie ihre Sprach- und Rechenfähigkeiten. 2016 kam das neue Präventionsgesetz: Ziel ist es, Angebote für pflegebedürftige Menschen zu entwickeln, um deren Lebensqualität zu verbessern. Mit der BARMER untersucht das Start-up-Unternehmen in einem Modellvorhaben den therapeutischen Nutzen der MemoreBox und lässt ihn wissenschaftlich prüfen. Inzwischen nutzen etwa 40 Einrichtungen bundesweit die MemoreBox. Und es sollen mehr werden. Und wenn Opa Karl beim nächsten Besuch im Seniorenheim keine Zeit hat – dann fährt er wohl gerade wieder Motorrad.

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