Warum bist du Notfallsanitäterin geworden?

Es mag vielleicht kitschig klingen, aber ich wollte einfach Menschen helfen. Notfallsanitäterin bin ich geworden, weil ich etwas machen wollte, auf das ich ganz persönlich stolz sein wollte (und nun bin). Ich habe mich gefragt: Welche Berufe bewundere ich? Was würde mich abends gut und mit einem guten Gewissen einschlafen lassen? Dazu kommt, dass ich ein medizinisches Interesse habe und dass man als Notfallsanitäterin oder Notfallsanitäter sehr selbstständig arbeiten kann. Das ist anders als in anderen Gesundheitsberufen.

Die Serie „Rettung in Sicht“

Weiterführende Informationen zu der spannenden Info-Serie „Rettung in Sicht“ findest du hier in unserem Begleitartikel. Toni und Georg, der Notarzt ist, erklären dort zum Beispiel, warum das Blaulicht eigentlich blau ist und warum ein handelsüblicher Kfz-Verbandskasten in jedem Einsatzwagen zu finden ist.

Bitte beachten Sie: Sobald Sie sich das Video ansehen, werden Informationen darüber an Youtube/Google übermittelt. Weitere Informationen dazu finden Sie unter Google Datenschutzerklärung.

Wie kam es, dass du deine Ausbildung bei den Maltesern gemacht hast?

Das war ein Glücksgriff. Es ist nicht selbstverständlich, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, weil oft nur zwei bis drei Leute im Jahr in einem Unternehmen ausgebildet werden. Ich hatte die dreimonatige Ausbildung zur Rettungssanitäterin gemacht und an Tag zwei der Ausbildung gemerkt, dass das genau das ist, was ich machen möchte. Dann habe ich direkt angefangen, mich als Notfallsanitäterin zu bewerben.

Was ist für dich das Besondere an deinem Job? 

Man hilft Menschen in extremen Ausnahmesituationen. Das macht etwas mit einem und ist nichts Alltägliches. Wir sind draußen und drinnen im Einsatz. Wir wissen nie genau, was passiert, wo es passiert, wie es passiert. Das ist besonders an unserem Job und das schätze ich sehr.

Wir treffen auf alle möglichen Menschen und bei akuten und lebensbedrohlichen Situationen ist es nicht mehr wichtig, ob jemand arm oder reich, jung oder alt ist. Dann geht es nur noch um die Gesundheit der Menschen. Ich halte es generell für wichtig, dass alle Menschen gleich behandelt werden.

Ich habe in meinen jungen Jahren viele Erfahrungen gemacht, die man normalerweise sehr viel später im Leben machen würde. Ich habe Abschiede miterlebt, wunderschöne und ganz süße Liebeserklärungen von alten Pärchen, die seit vierzig Jahren verheiratet sind. Und manchmal hören wir auch große Geständnisse. Dann erzählen uns Patientinnen oder Patienten etwas, weil sie es loswerden und überhaupt einem Menschen erzählen möchten. Aber als medizinisches Personal dürfen wir davon ja nichts weitererzählen.

Wie gehst du mit stressigen Situationen um? 

Ich glaube, generell hat mich der Job sehr ehrfürchtig gemacht vor dem Leben und vor dem Leben anderer Menschen. Heutzutage betrachte ich Menschen anders. Wenn jemand im Supermarkt vor mir steht, ist mir klar: Dieser Mensch hat auch seine Geschichte. Wenn Situationen sehr emotional sind, dann hilft der Abstand. Es sind nie Dinge, die mir persönlich passieren. Ich bin in der Beobachterrolle. Man leidet zwar in dem Moment mit, aber dann mache ich mir klar: Das ist nicht meine Mama; das ist nicht meine Tante. Aber klar bleiben manche Dinge auch lange hängen. Das Wichtigste ist, darüber zu reden, zum Beispiel mit Kolleginnen und Kollegen. Gerade die Dienstälteren, denen die jeweiligen Begebenheiten auch schon einmal passiert sind, sind gute Ratgeberinnen und Ratgeber. Oder ich rede daheim mit meinem Partner darüber. Oft fragt man sich: Hätte ich etwas besser machen können? Dann hilft es, mit Kolleginnen und Kollegen oder Fachpersonal zu sprechen wie Ärztinnen oder Ärzten, die einem versichern können, dass man alles richtig gemacht hat und es nicht mehr in den eigenen Händen lag.

In der ersten Folge der YouTube-Serie „Rettung in Sicht“ sprichst du von anstrengenden praktischen Prüfungen. Was war daran so anstrengend?

Es sind insgesamt acht praktische Prüfungen. Das allein ist schon viel – auch körperlich, denn jeder Fall dauert eine halbe Stunde. Dann kommt die Aufregung einer Prüfung dazu, die bei mir ganz schlimm war. In der Notfallmedizin arbeiten wir immer nach einem Schema. Dieses Schema wird in der Prüfung anhand einer vorgespielten Patientin beziehungsweise eines Patienten überprüft. Es wird also geguckt, wie genau arbeitest du und wie gut kommst du zum Ziel. Gleichzeitig wird darauf geachtet, wie man seine Teampartnerin oder seinen Teampartner, aber auch die Patientinnen und Patienten selbst mit einbindet. Teilweise wurden noch Angehörige oder Kinder in der Prüfung vorgespielt, die man auch noch berücksichtigen musste. Man muss auf der kognitiven Ebene einfach viel abdecken, das ist wahnsinnig anstrengend.

Was sollte ich mitbringen, wenn ich mich im Rettungsdienst bewerben möchte?

Generell solltest du eine körperliche und mentale Fitness mitbringen. Du musst belastbar sein, auch psychisch. Zudem sollte dir der Mensch und die Gesundheit wichtig sein und du solltest ein medizinisches Interesse haben. Wenn du Blut zu sehen bekommst, solltest du nicht gleich umkippen, allerdings gewöhnt man sich im Laufe der Zeit auch an einiges. Es gibt Situationen, in denen selbst wir erfahrenen Sanitäterinnen und Sanitäter denken: „Uhh fies!“ Wie zum Beispiel bei offenen Kopf- und Gesichtsverletzungen. Aber wie in anderen Berufen auch, gewöhnt man sich an vieles.

Was war bei deinem Einstieg die größte Herausforderung? 

Die Verantwortung. Die größte Herausforderung ist die, dass es im Rettungsdienst um Menschen geht. Alles, was wir tun, hat Konsequenzen. Diese Herausforderung kann einem schon mal Angst einjagen. Bei einigen Dingen gibt es verschiedene Wege, um ans Ziel zu kommen. Es gibt aber Fälle, bei denen muss jeder Handgriff sitzen – und wenn nicht, dann kann es für jemanden gefährlich werden. Das muss einem einerseits immer bewusst sein, andererseits darf es einen nicht handlungsunfähig machen.

Gab es etwas, das dich bei deinem Einstieg in den Rettungsdienst überrascht hat oder das du dir ganz anders vorgestellt hast?

Es gibt etwas, über das ich tatsächlich negativ überrascht bin und was uns als Angehörige des Rettungsdienstes auch zunehmend ärgert: Die Hemmschwelle, den Rettungsdienst zu rufen und Selbstführsorge zu betreiben, sinkt immer weiter. Man fährt für kleinste Dinge zu Patientinnen und Patienten. Dazu hätten meine Eltern mir damals gesagt: „Das wird schon wieder“. Wir werden zu Erkältungen gerufen und gefragt, ob wir dagegen nicht eine Spritze geben könnten. Ganz ehrlich: Wir hätten auch gerne eine Spritze auf der „Wunderheilung“ steht, aber die gibt es nicht. Das sagen wir den Patientinnen und Patienten dann auch. Nichtsdestotrotz versuchen wir natürlich immer zu helfen und auf jede Situation einzugehen – manchmal eben mit einem Rat und Hausmitteln.

Könnte ein Notfall vorliegen? 112 wählen!

Toni hat recht: Wegen einer Schnupfnase oder leichtem Unwohlsein sollte niemand den Notruf wählen. Wenn jedoch ein Notfall vorliegt oder du dir nicht sicher bist, ob ein Notfall vorliegen könnte, zögere nicht, die 112 zu wählen. Für dringende, aber nicht lebensbedrohliche Fälle gibt es außerdem den ärztlichen Bereitschaftsdienst, den du unter der 116117 erreichst.

Du möchtest mehr erfahren? Wir erklären dir die wichtigsten Infos zum Thema in unserem großen Notrufnummer-Ratgeber.

Erinnerst du dich an einen bestimmten Einsatz noch genau? Und warum?

Ein Einsatz ist mir hängen geblieben und hat mich etwas ganz, ganz Wichtiges gelehrt. Das war ein alter Mann, der schwer vorerkrankt war. Akut kam dann noch ein Infekt dazu, mit dem wir ihn ins Krankenhaus gebracht haben. Zufällig habe ich später erfahren, dass der Mann drei Stunden später verstorben ist. Mir ist die Ehefrau nicht aus dem Sinn gegangen, weil wir ihr keinen richtigen Abschied ermöglicht haben. Darum mache ich es heute so, dass ich die Leute immer frage: Möchten Sie noch mal in den Rettungswagen reinkommen, noch etwas sagen oder sich verabschieden? Natürlich muss die Zeit dafür gegeben sein, aber ich mache das auch, wenn es nicht lebensbedrohlich ist. Die Patientinnen und Patienten bekommen das ja manchmal nicht mehr richtig mit, aber auch für die Angehörigen ist es wichtig. Wir wissen nicht, ob unsere Patientinnen und Patienten überleben und wie sie überleben, ob sie bei klarem Verstand sind, wenn sie aufwachen. Das wurde auch in meiner Schule gelehrt, aber manchmal geht das im Eifer des Gefechts doch auf einmal unter.

Was steht beruflich als Nächstes für dich an?

Auf jeden Fall möchte ich noch mehr medizinisches Wissen und Erfahrungen sammeln, darum mache ich Weiterbildungen und Lehrgänge. Momentan lerne ich, wie ich in bzw. nach akuten Notfallsituationen Psychosoziale Notfallversorgung leisten kann. Mein Wunsch ist es, eine sehr gute Notfallsanitäterin zu werden. Und mehr zu wissen, schadet ja nie.

Welche Tipps hast du für alle, die sich für den Rettungsdienst interessieren?

Wenn deine Motivation für den Job ist, mit Blaulicht und Martinshorn durch die Stadt zu düsen, dann mache das bitte nicht im Rettungsdienst! Deine Intention sollte sein, Menschen zu helfen. Zu schüchtern sollte man im Rettungsdienst ebenfalls nicht sein.

Wenn man in einem medizinischen Beruf arbeitet, dann gibt es immer etwas zu lernen. Dafür sollte der Wille auch da sein. Die Medizin entwickelt sich stetig weiter. Ich kann nur jedem ans Herz legen, egal ob im Praktikum oder später im Beruf: Unterschätze dich manchmal lieber, als dich zu überschätzen. Wer zu draufgängerisch ist, wird Probleme bekommen. Es ist besser, um Hilfe zu bitten oder nachzufragen, als zu denken: „Das wird schon“. Und wichtig ist auch für uns, nicht nur für unsere Patientinnen und Patienten, die Ruhe zu bewahren.


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