Hospiz: "Freude und Trauer zu gleichen Teilen.“


Du bist 25 Jahre alt, stehst mitten im Leben und bist täglich mit dem Tod konfrontiert. Wie kam es dazu, dass du im Hospiz arbeitest?

Ich bin jetzt seit einem Jahr als examinierte Pflegekraft im Hospizzentrum St. Raphael in Duisburg und habe schon vorher eine Zeit in der Onkologie und auf der Palliativstation gearbeitet. Schon in der Ausbildung merkte ich, dass ich gerne Patienten und deren Angehörige in der letzten Lebensphase begleite und mir diese Arbeit viel Freude macht. Die Zeit auf der Onkologie und Palliativstation hat dies bestätigt. Im Hospiz können wir den Menschen noch mehr Lebensqualität geben, ihnen etwas Gutes tun, für sie da sein, ihre Wünsche wahrnehmen und erfüllen – das ist ein befriedigendes Gefühl. Aber klar ist natürlich: Dieser Beruf erfordert ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen, Empathie und Leidenschaft.

Wie läuft ein normaler Arbeitstag bei dir ab?

Erst einmal zum Verständnis: Wir sind eine stationäre Einrichtung mit 12 Betten. Jeder Kollege betreut etwa 3–4 Patienten parallel. Zuerst setzen wir uns zusammen und sprechen über die Patienten – dabei betrachten wir sie ganzheitlich: Wer ist der Patient? Wo kommt er her? Wie viele Angehörige begleiten ihn? Welche Krankheit hat er? Welche Beschwerden? Welche Beschwerden könnten im Laufe der Zeit auftreten? Dann kümmern wir uns um die Patienten und da verläuft jeder Tag ein bisschen anders, eben weil wir uns individuell auf die Menschen einstellen, die bei uns sind. Wir sprechen mit den Patienten und ihren Angehörigen, achten auf Symptome, lindern Schmerzen, pflegen, kümmern uns mit ums Essen und Trinken, halten mit den Hausärzten Rücksprache. Wichtig ist es auch, für Ordnung zu sorgen. Die Patienten sollen sich entspannen können und sich wohl fühlen, auch die Angehörigen sollen dies vermittelt bekommen. Natürlich machen wir auch Krisenintervention und Trauerbegleitung der Patienten und Angehörigen. Im Team zu arbeiten ist hier sehr wichtig.

Welche Momente empfindest du bei deiner Arbeit als besonders wertvoll?

Es sind alle Momente wertvoll, die wir mit diesen schwerkranken Menschen verbringen dürfen. Ich bin ihnen ja in diesem Lebensabschnitt sehr nahe. Dass ich das darf, dass sie dieses Vertrauen in mich haben, ist mir sehr wichtig und nicht selbstverständlich. Jedes Lächeln, jedes kleine Dankeschön bedeutet mir sehr viel.

Mit welchen Herausforderungen hast du zu kämpfen?

Jeder Patient ist mit seiner Geschichte in gewisser Weise eine Herausforderung. Manche Patienten kommen alleine, andere haben Familien, die fest zusammenhalten – jeder geht mit dieser Situation anders um. Wir versuchen auch, den Angehörigen ihre Ängste und Sorgen zu nehmen und ihren Ballast mit ihnen zu teilen. Manche Patienten sind ganz klar und ausgesöhnt mit ihrer Situation, für andere kam die Diagnose, todkrank zu sein, überraschend. Wir versuchen, ihnen das Leiden erträglich zu machen, ihnen dabei zu helfen, sich wohlzufühlen am Ende ihres Lebens. Den letzten Abschnitt mit Leben zu füllen. Das ist die tägliche Herausforderung.

Den Hospizalltag stellen sich Außenstehende vor allem beklemmend vor. Was überwiegt im Hospiz: Freude oder Trauer?

Es gibt tatsächlich beides zu gleichen Teilen. Die Menschen haben oft eine falsche Vorstellung von einem Hospiz, dass dort alles düster und dunkel ist und sehr bedrückend. Das stimmt nicht – bei uns ist alles hell, sehr familiär und alle sind sehr fröhlich. Das ist uns wichtig. Wir lachen viel, auch mit den Patienten. Wir versuchen, einen möglichst unbeschwerten Alltag zu ermöglichen, die positive Grundstimmung ist dabei entscheidend. Aber natürlich gibt es auch viele traurige Situationen. Trauer ist bei uns kein Tabu – und sie zuzulassen ist entscheidend, auch für die Verarbeitung. Natürlich trauern wir auch mit den Angehörigen um ihre Lieben.

Gibt es Menschen oder Momente, die dich in deiner Zeit im Hospiz besonders bewegt haben?

Mich bewegt jede einzelne Geschichte und jeder Patient berührt mich auf seine Art. Sonst könnte ich diesen Job auch gar nicht machen, wenn ich nicht eine hohe Empathie hätte und mich auf die Menschen, die ich betreue, einlassen und sie wahrnehmen würde. Aber es gibt Fälle, die einen manchmal besonders bewegen oder nahegehen. Etwa wenn junge Menschen betroffen sind – ob sie nun 30 oder 50 sind. Wenn Eltern zu uns kommen und ihren Kindern beim Sterben zusehen müssen. Wenn ein Patient eine tragische Lebensgeschichte hatte. Ich erinnere mich an einen jungen Mann, er war 31, hatte ein kleines Kind. Seine Frau, seine Mutter und das Kind kamen jeden Tag, das hat uns alle sehr berührt. Wir hatten aber auch mal einen Patienten bei uns, der nur noch im Bett lag und zu Hause leider vor sich hinvegetierte. Seine Mutter war schon gestorben und er war alleine. Solche Fälle sind traurig. Aber ich weiß auch, dass wir diesen Menschen helfen können, sie dabei zu unterstützen, einen würdevollen Abschied zu finden.

Wie motivierst du dich?

Ich versuche immer das Positive zu sehen. Jedes Lächeln motiviert mich. Hier bei uns haben wir verglichen mit Krankenhäusern sehr viel Zeit für die Patienten und deren Angehörige. Ich kann mich wirklich kümmern und auch noch einige Wünsche, die bestehen erfüllen, auch wenn es nur kleine Wünsche sind, wie z.B. Bratkartoffeln oder einen Kakao zum Abendessen. Dafür erfahre ich von den Patienten viel Dankbarkeit. Viele Menschen kommen zu uns mit starken Schmerzen. Die Dosierung ihrer Tabletten ist oft nicht die richtige oder es besteht noch gar keine Schmerztherapie. Häufig können wir die Schmerzen lindern oder erreichen, dass der Patient schmerzfrei ist. Es ist schön zu sehen, wie wir helfen können und die Patienten auch wieder für eine gewisse Zeit aufblühen. Ich habe wirklich das Gefühl, etwas Gutes zu tun – und das jeden Tag.

Warum sollten sich junge Menschen in der Hospizarbeit engagieren?

Ich finde, das ist eine wirklich gute und wichtige Sache. Das Thema Tod ist in unserer Gesellschaft immer noch so tabuisiert. Allein das Wort Hospiz löst Ängste bei vielen Menschen aus. Wir sollten viel offener mit dem Thema Tod und Sterben umgehen, schließlich gehört es zu unserem Leben dazu. Wir alle müssen sterben und keiner weiß vorher, wie. Wir sollten von klein auf lernen, das zu akzeptieren und uns diesem Thema zu stellen. Dies könnte man z. B. durch Vorträge erreichen, durch die die Gesellschaft an das Thema herangeführt wird. Wer sich im Hospiz engagieren möchte, sollte ehrlich zu sich sein und sich fragen, ob dies wirklich das richtige für einen ist und man das gerne machen möchte. Man braucht schon eine gewisse Einstellung, zum Leben, zu Gott, zum Tod. Und das wichtigste ist: Man muss mit dem Herzen dabei sein.


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