Geburtskrankenhaus Bethlehem: „So retten wir Leben“

Das Holy Family Hospital liegt an einem Ort, der geschichtsträchtiger kaum sein könnte: Bethlehem. Es ist ein katholisches Krankenhaus in einer Region, in der Christen eine kleine Minderheit sind. 1990 von den Maltesern gegründet ist es das modernste und gefragteste Geburtskrankenhaus des gesamten Westjordanlandes. Dr. Micheline Al Qassis berichtet von dem oft dramatischen Alltag auf der Neugeborenen-Intensivstation, bewegenden Fällen und den Folgen der aktuellen Corona-Krise.

Darum geht's


Was genau ist Ihre Aufgabe im Holy Family Hospital? 

Ich bin Neonatologin auf der Neugeborenen-Intensivstation. Meine Aufgabe als Ärztin besteht darin, mich um neugeborene Babys zu kümmern, insbesondere diejenigen, die krank sind oder zu früh geboren wurden. 

Wie sind Sie in dieses Krankenhaus gekommen?

Nun, zunächst einmal bin ich selbst hier geboren. Und als Medizinstudentin habe ich später ein zweimonatiges Praktikum im Holy Family Hospital gemacht. Ich liebte es schon damals und es war mein Traum, einmal hier zu arbeiten. Und dieser Traum wurde wahr, als der Krankenhausvorstand mich anrief und mir eine Stelle in der Neugeborenen-Abteilung anbot. Es ist ein tolles Gefühl, dort zu arbeiten, wo ich geboren wurde.

Möchtest du die Arbeit der Malteser mit einer Spende unterstützen, gelangst du hier direkt zum Formular.

Was sind die größten Herausforderungen in Ihrem Job?

Mein Beruf, ich nenne es lieber meine Berufung, gibt mir sehr viel. Aber es ist nicht einfach, auf der Neugeborenen-Intensivstation zu arbeiten. Es ist ein Job, bei dem es auf jedes Detail ankommt und der einen hohen Spezialisierungsgrad und einen intensiven Umgang mit Daten voraussetzt. Andererseits ist es eine Abteilung voller Liebe, Unterstützung und positiver Geschichten. Es ist eine Arbeit voller Herausforderungen und Wunder. Ich würde sie für nichts in der Welt eintauschen.

Wie belastbar muss man für diese Arbeit sein?

Als Ärztin hier auf der Intensivstation hat man es ja nicht nur mit den kleinen Patienten zu tun, sondern auch mit ihren besorgten Familien, die über jeden unserer Schritte informiert sein wollen. Für Frühgeborene zu sorgen, die so klein sind, dass sie gerade einmal 500 Gramm wiegen und ums Überleben kämpfen, ist in vielerlei Hinsicht herausfordernd. Das erfordert Mut und extreme Belastbarkeit. Aber am Ende dann gesunde Babys nach Hause zu schicken, ist die schönste Belohnung, die ich mir vorstellen kann.

Wie sieht ein typischer Tag auf der Station aus?

Zunächst einmal ist jeder Arbeitstag hier auf der Intensivstation emotional anspruchsvoll. Es ist nicht vorhersehbar, welcher Tag überwältigend und schön endet und welcher nicht. Wir erleben hier viele Höhen und Tiefen. Zum Glück überwiegen die positiven Tage deutlich und wir können uns oft über Happy-Ends für kranke Babys freuen. Bei Neugeborenen, die zwischen der 23. und 25. Schwangerschaftswoche auf die Welt kommen, besteht das Risiko, dass sie bleibende Schäden erleiden, die später ihre Lebensqualität erheblich beeinflussen können. Das bedeutet, dass wir uns hier auch immer wieder mit ethischen Fragen beschäftigen müssen, die ebenfalls eine große Herausforderung darstellen. Der schwierigste Teil des Jobs ist es, dass wir bangenden Eltern nicht versprechen können, dass wir ihnen am Ende der Behandlung ein gesundes Baby übergeben können. Ein Neugeborenes zu verlieren, ist für Eltern unglaublich hart und das ist es auch für uns Ärztinnen und Ärzte. Wir sind immer an der Seite der Eltern, geben ihnen Hoffnung und Kraft und – soweit es uns möglich ist – inneren Frieden.

Wie belastend sind solche Momente für Sie?

Ich habe hier, trotz aller oft schwierigen Aufgaben, die Gewissheit, dass meine Arbeit hilft und dauerhaft etwas bewirkt. Besonders, wenn ich einige dieser winzigen Neugeborenen dann wiedersehe. Wenn sie ein paar Jahre später bei uns im Krankenhaus über den Flur rennen und mich umarmen! Das sind meine emotionalen Lieblingsmomente und zum Glück erlebe ich sie hier oft.  

Wie hat die Corona-Pandemie Ihre Arbeit verändert?

Der aktuelle SARS-CoV-2-Ausbruch bringt erhebliche Einschränkungen für unser Krankenhaus mit sich: Wir haben zu wenig Personal, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich infiziert, wir haben große Probleme, Schichten zu besetzen, und müssen in Doppelschichten arbeiten. Darunter leidet natürlich die Qualität der Betreuung für die Neugeborenen. Dazu kommen Versorgungsengpässe bei den Medikamenten. Und wir tragen den ganzen Tag während der Arbeit Masken. Das macht nicht nur das Atmen anstrengend, sondern erschwert auch den Kontakt mit den Babys, die von Geburt an darauf konditioniert sind, in ein Gesicht mit zwei Augen, einer Nase und einem Mund zu schauen.

Erkranken auch Babys an Corona?

Ja, aber zum Glück zeigen die infizierten Säuglinge in der Regel nur milde Krankheitssymptome und überstehen Corona gut. Inzwischen haben viele Krankenhäuser weltweit drastische Maßnahmen ergriffen, um den Zugang von Erwachsenen zu reglementieren. Aber bei uns auf der Neugeborenen-Intensivstation haben wir die Präsenz der Eltern nicht eingeschränkt, weil wir davon überzeugt sind, dass die Gegenwart der Eltern und das damit verbundene Gefühl von Geborgenheit und Schutz wesentlich dafür sind, dass ein Leben gesund und sicher beginnt. Die frühestmögliche Bindung, die Nähe und auch die Möglichkeit, die Milch der Mutter zu trinken, reduzieren den Stress und sind im Übrigen auch wichtig für das Wohlbefinden der Eltern. Bei all dem achten wir sorgfältig auf Hygieneregeln, nutzen Schutzausrüstung und halten die notwendigen Sicherheitsabstände ein. 

Gibt es einen Fall, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Vor fünf Jahren kam eine junge Frau zu uns, sie war Mitte 20, erwartete Zwillinge, ihre erste Geburt. Sie befand sich erst in der 25. Schwangerschaftswoche, aber ihre Fruchtblase war geplatzt und sie hatte sich deswegen eine Infektion zugezogen. Die Wehen hatten bereits eingesetzt. Aber zu der Zeit war die Intensivstation voll belegt und wir hatten keine Beatmungsgeräte mehr, nur noch ein altes mechanisches und ein defektes Gerät. Also rief ich mitten in der Nacht einen Techniker, der trotzdem umgehend kam und das zweite Beatmungsgerät wieder instand setzte. Die Babys, ein Junge und ein Mädchen, wogen nur 800 Gramm und waren sehr krank. Beide mussten lange intubiert werden. Der Junge entwickelte dann ein Loch in den Verdauungsorganen und musste sofort operiert werden. Doch kein Krankenhaus im Westjordanland akzeptierte ihn. Er sei viel zu klein und leicht und würde während der Operation sterben, hieß es. Aber ich gab nicht auf, weil ich fest daran glaubte, dass Gott ihn retten würde. Nach vielen Bemühungen haben wir dann ein Krankenhaus in Jerusalem gefunden, das ihn operierte. Drei Wochen später war er zurück auf unserer Intensivstation. Auch seine Schwester musste operiert werden, aber sie war zu dem Zeitpunkt schon etwas stabiler und kam eine Woche nach ihrer Operation in Hebron zurück zu uns. Inzwischen sind die beiden fünf Jahre alt und gehen hier in Bethlehem in den Kindergarten. Wir sehen die Zwillinge oft und sie sind voller Energie und Leben. Sie sind unsere Helden.

Helfen Ihnen solche Geschichten gegen den täglichen Stress?

Hinter den Türen der Neugeborenen-Intensivstation kämpfen die kleinsten Menschen den größten Kampf der Welt. Diese Station ist das beste Beispiel für einen Ort, an dem man überleben kann, wenn man hart genug dafür kämpft. Unsere Arbeit besteht oft vordergründig nur aus kleinen Schritten und Erfolgen. Doch diese kleinen Siege führen am Ende zu gesunden und glücklichen Babys.

Pro Jahr erblicken im Geburtskrankenhaus in Bethlehem über 4.400 Kinder das Licht der Welt. Um Leben zu retten und den Babys einen gesunden Start ins Leben zu ermöglichen, ist das Geburtskrankenhaus der Malteser auf Spenden angewiesen. Hilf jetzt mit!


#Engagement

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