Sucht erklärt: Hintergründe, Risiken und Wege aus der Abhängigkeit


Tabletten, Alkohol, Zigaretten – Millionen Deutsche sind süchtig

Sucht ist kein Randproblem in unserer Gesellschaft, sondern betrifft viele Millionen Menschen in Deutschland. Dabei sind nicht etwa illegale Substanzen das Hauptproblem, sondern Tabak, Alkohol und frei zugängliche Medikamente.

  • Laut Bundesministerium für Gesundheit rauchen rund 12 Millionen Bundesbürgerinnen und Bundesbürger.
  • Geschätzte 2,3 Millionen Deutsche sind von Tabletten abhängig.
  • 1,6 Millionen Menschen hierzulande gelten als alkoholsüchtig. Allerdings: Noch deutlich mehr Deutsche konsumieren Alkohol in bereits gesundheitsgefährdender Weise – nämlich 7,9 Millionen Menschen, so ermittelte es die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) im „Jahrbuch Sucht 2023“.
  • Etwa 600.000 Menschen haben einen problematisch hohen Konsum von Cannabis und anderen illegalen Drogen. Cannabis wird dabei nach wie vor am meisten genutzt – und künftig sollen Kauf und Besitz von bis zu 25 Gramm für Menschen ab 18 Jahren straffrei sein.
  • Eine halbe Millionen Deutsche zeigen ein pathologisches Glücksspielverhalten (zuletzt gab es vor allem Zunahmen bei Sportwetten).
  • Ebenfalls eine halbe Millionen Menschen gelten als internetsüchtig.

Was genau versteht man unter Sucht?

Der Begriff ist abgeleitet von dem Wort „siechen“, also an einer Krankheit leidend. Süchtig werden kann grundsätzlich jeder Mensch. Klassisch bezeichnet man als Sucht die Abhängigkeit von einer Substanz wie etwa Alkohol, Nikotin, Cannabis, Kokain, Schmerz- oder Schlafmitteln und Co. Die Sucht ist also stoffgebunden und trotz negativer Auswirkungen gibt es ein wiederkehrendes, drängendes Bedürfnis nach der Einnahme der Substanz. Doch auch Tätigkeiten können Abhängigkeiten auslösen und werden als Verhaltenssucht bezeichnet. Betroffene spüren einen extremen Wunsch beziehungsweise Zwang, etwas zu tun oder eine Substanz zu konsumieren. Ein weiterer Indikator für Sucht ist, dass immer größere Mengen konsumiert werden (müssen). Und das, obwohl finanzieller, sozialer, gesundheitlicher und psychischer Schaden droht.

Was für Süchte gibt es?

Folgende Suchterkrankungen gibt es unter anderem:

  • Alkoholsucht
  • Nikotinsucht
  • Bulimie (Ess-Brech-Sucht)
  • Drogensucht (Kokain, Ecstasy, Cannabis und Co.)
  • Internetsucht (Computerspiele und andere Medien)
  • Tablettensucht
  • Magersucht
  • Sportsucht
  • Spielsucht (Glücksspiel, Sportwetten)
  • Kaufsucht
  • Sexsucht

Suchtmittel Nummer 1: Alkohol

Deutschland ist weiterhin ein Hochkonsumland für Alkohol: Rein statistisch trinkt jede oder jeder Deutsche laut „Jahrbuch Sucht 2023“ ab 15 Jahren zehn Liter Reinalkohol im Jahr. Zwar sinkt der Konsum seit Jahren kontinuierlich, dennoch liegt Deutschland laut Bundesministerium für Gesundheit im weltweiten Vergleich im oberen Zehntel. Jeder sechste Erwachsene gilt als Risikotrinker.

Durch seine Anpassungsfähigkeit kann unser Körper auch über lange Zeit hohe Mengen Alkohol verarbeiten, obwohl diese ihm schaden. Bei regelmäßigem Trinken setzt ein Gewöhnungseffekt ein, die Wirkung wird geringer, die Mengen und der körperliche Schaden des Giftes größer. Neben den Straftaten und Unfällen, die durch Alkoholeinfluss gefördert werden, sind die körperlichen Folgen von dauerhaft hohem Konsum verheerend: Alkohol ist an der Entstehung von mehr als 200 Krankheiten ursächlich beteiligt, insbesondere das Gehirn, das Herz und die Leber werden stark in Mitleidenschaft gezogen. Das Bundesministerium für Gesundheit geht anhand von Analysen von „jährlich etwa 74.000 Todesfällen durch Alkoholkonsum allein oder bedingt durch den Konsum von Tabak und Alkohol aus“.

Das Nervengift Nikotin und seine Wirkung


Neben Alkohol ist das Nervengift Nikotin die am weitesten verbreitete legale Droge in Deutschland. Nikotin fördert die stimulierende Ausschüttung von Adrenalin, Dopamin und Serotonin und macht damit stark psychisch abhängig.

Die wichtigsten Infos zum Nikotinkonsum im Schnellcheck:

  • Allein in Deutschland sterben jedes Jahr rund 120.000 Menschen an den Folgen von Nikotinkonsum. Zigarettenrauch enthält über 4800 Substanzen, von denen 250 giftig oder krebserzeugend sind.
  • Die gute Nachricht: Der Trend zum Tabakkonsum ist rückläufig. 2022 wurden laut DHS in Deutschland pro Kopf 791 Zigaretten geraucht. 22,7 Prozent der 18- bis 64-Jährigen hierzulande rauchen, das entspricht 11,6 Millionen Menschen.
  • Gerade unter Jugendlichen ist der Anteil der Rauchenden eigentlich seit Jahren deutlich zurückgegangen. Allerdings: Laut der wissenschaftlichen Befragung über das Rauchverhalten (DEBRA) stieg der Anteil von Rauchenden (Tabakprodukte, E-Zigaretten, Sisha) in der Altersgruppe zwischen 14 und 17 Jahren im Jahr 2022 sprunghaft an – auf 15,9 Prozent (im Vorjahr waren es 8,7 Prozent).
  • In den Altersgruppen 18 bis 24 Jahre waren es allein in dem Jahr sogar 40,8 Prozent. Als mögliche Ursachen werden der Stress durch Corona, der Ukrainekrieg und die Klimakrise genannt.
  • Die Ansicht von vielen, dass E-Zigaretten unschädlich sind, ist laut Expertinnen und Experten ein Irrglaube. Sie gelten als weniger schädlich als Tabakzigaretten, aber das Chemikaliengemisch, das beim Rauchen von E-Zigaretten inhaliert wird, birgt ebenfalls ein Gesundheitsrisiko. Die verschiedenen Inhaltsstoffe und ihre Langzeitfolgen werden derzeit noch erforscht.

Schleichender Prozess: Die psychische Abhängigkeit von Cannabis

Cannabis ist die lateinische Bezeichnung für die Hanfpflanze. Sie wird als Oberbegriff für Haschisch (gepresstes Harz) und Marihuana (getrocknete Blüten) verwendet. Cannabis macht nicht körperlich abhängig wie Alkohol oder Heroin, aber es kann eine starke psychische Abhängigkeit entstehen. Ob und wie schnell jemand eine Cannabis-Sucht entwickelt, hängt von vielen Faktoren ab. Insbesondere von der Häufigkeit und Menge des Konsums. Eine Abhängigkeit entwickelt sich häufig schleichend, weil Betroffene unbewusst immer häufiger schwierige Alltagssituationen und damit verbundene negative Gefühle durch das Kiffen ausblenden.

Cannabis-Konsum in Zahlen

Laut dem Epidemiologischen Suchtsurvey of Substance Abuse (ESA) von 2021 konsumierten 4,5 Millionen Erwachsene (8,8 Prozent der Deutschen) mindestens einmal im Jahr Cannabis. Bei den Jugendlichen nehmen die Anteile in den vergangenen Jahren zu: 2021 nutzten 6,2 Prozent der Jugendlichen zwischen 15 und 17 Jahren gelegentlich Cannabis, bei den 18–24-Jährigen sind es 15,6 Prozent. Studien zeigen, dass fünf bis zehn Prozent der Cannabis-Konsumenten die Kriterien von Abhängigkeit erfüllen.

Verhaltenssüchte: Die Gefahren von Handy, Essen und Internet

Viele Tätigkeiten, mit denen wir uns täglich beschäftigen, können süchtig machen. Das gilt für Shopping genauso wie für Essen oder den Umgang mit Smartphone, Computer und dem Internet. Auch, wenn diese Abhängigkeiten (im Gegensatz zum Missbrauch von Substanzen) zunächst oft noch keine körperlichen Folgen haben, gibt es erhebliche Auswirkungen auf die Betroffenen. Auch die sogenannten stoffungebundenen Suchtmittel können im Gehirn rauschähnliche Zustände auslösen, es kann zu exzessiven Verhaltensweisen und Kontrollverlust kommen.

Handy- und Computer: Mediensucht nimmt durch Corona zu

Expertinnen und Experten schlagen Alarm: Laut einer gemeinsamen Studie von DAK und Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) hat sich die Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen während der Corona-Pandemie verdoppelt. Demnach seien inzwischen „mehr als sechs Prozent der Minderjährigen abhängig von Computerspielen und sozialen Medien“. 600.000 Jungen und Mädchen sind von dem „pathologischen Suchtverhalten“ in Sachen Medien betroffen. So soll allein die Zahl der Kinder und Jugendliche, die nach Computerspielen süchtig sind, von 2,7 Prozent (2019) auf 6,3 Prozent (2022) gestiegen sein. Im Bereich Social Media habe sich das Suchtverhalten im gleichen Zeitraum von 3,2 Prozent auf 6,7 Prozent der Minderjährigen erhöht. Insgesamt nutzten bereits 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche „Gaming, Social Media oder Streaming problematisch“. Pathologisches Gaming ist bei Jungen (3,7 Prozent) deutlich ausgeprägter als bei Mädchen (1,6 Prozent).

Essstörungen: Vor allem Mädchen leiden darunter

Bei Mädchen deutlich ausgeprägter sind dagegen Essstörungen. Laut Robert Koch Institut (RKI) sollen 2019 mehr als 20 Prozent der Heranwachsenden unter Essstörungen wie Magersucht, Bulimie oder Binge-Eating gelitten haben – Mädchen waren und sind doppelt so oft betroffen wie Jungen. Besonders gefährdet seien Kinder und Jugendliche „mit emotionalen Problemen, einem niedrigen familiären Zusammenhalt oder niedriger Selbstwirksamkeitserwartung und solche, die sich als zu dick oder zu dünn wahrnehmen“. Laut einer Datenerhebung der KKH Kaufmännische Krankenkasse hat diese Problematik während der Corona-Pandemie deutlich zugenommen. Einer der Gründe dafür sei auch der Konsum sozialer Medien – unrealistische Fotos durch Beauty-Filter und Co. können das Risiko der Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper erhöhen.

Sind Jugendliche besonders suchtgefährdet?

Ja, Jugendliche gelten sogar als Risikogruppe in Sachen Suchtgefährdung. Die Pubertät ist eine Phase, in der junge Menschen sich von der Familie abnabeln und eigenständigere Wege im Leben gehen. Dazu gehört es auch, Neues auszuprobieren und Risiken einzugehen. Gleichzeitig ist in diesem Alter die Fähigkeit, diese Risiken realistisch einschätzen zu können, noch nicht vollständig ausgeprägt.

Grundsätzlich gibt es eine ganze Reihe von Faktoren, die das Risiko einer Sucht erhöhen können. Zu den wichtigsten zählen:

  • Genetische Veranlagung, also nahe Verwandte, die süchtig waren oder sind.
  • Ein belastetes familiäres Umfeld, in dem Drogenmissbrauch oder Alkoholismus verbreitet sind.
  • Missbrauchs- und Gewalterfahrungen.
  • Stress, Depressionen oder Angstzustände.
  • Ein Freundeskreis mit einer positiven Grundeinstellung zu Suchtmitteln.
  • Wenig sozialer Zusammenhalt, kaum Freundschaften.
  • Frustration aufgrund anhaltender Überforderung in der Schule.

Woran erkenne ich, dass ich süchtig bin?

Die Übergänge von gelegentlichem zu regelmäßigem Konsum und dann Abhängigkeit und Sucht sind fließend. Das macht es so schwer, das Konsumverhalten richtig einzuordnen. Diese sechs Anzeichen können eine Sucht hindeuten:

  • Starkes Verlangen (Craving) nach einem Suchtmittel oder einer Verhaltensweise.
  • Kontrollverlust, also Schwierigkeiten, das Konsumverhalten zu unterbrechen oder zu beenden.
  • Toleranzbildung: Um den gewünschten Effekt zu erzielen, müssen immer größere Mengen einer Substanz oder einer Verhaltensweise konsumiert werden.
  • Vernachlässigung des Soziallebens oder anderer Interessen und Aktivitäten zugunsten des Konsumverhaltens.
  • Fortgesetzter Konsum trotz des Wissens, dass dieser schädlich ist und das eigene Leben (negativ) beeinträchtigt.
  • Entzugserscheinungen: Psychische oder körperliche Symptome, die einsetzen, wenn das Suchtmittel oder die Verhaltensweise nicht verfügbar sind.


Wichtig: Das Auftreten von einer oder einiger dieser Symptome bedeutet nicht automatisch, dass eine Sucht vorliegt. Wenn du aber mehrere dieser Anzeichen bei dir oder einer Freundin oder einem Freund feststellst, ist es ratsam, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es gibt auch einige Anlaufstellen, bei denen man sich anonym beraten lassen kann.

Sucht?! Hier findest du Hilfe

Wie kann ich helfen, wenn jemand in meinem Umfeld süchtig ist?

Das Wichtigste zuerst: Als Freundin, Freund, Verwandte oder Verwandter kannst du keine professionelle Therapie ersetzen. Diese Verantwortung kannst und solltest du nicht übernehmen. Aber mit deiner Fürsorge kannst du einen wertvollen Beitrag zur Genesung der betroffenen Person leisten und die Motivation zur Bekämpfung der Sucht unterstützen. Der erste Schritt sollte immer sein, dass du dir selbst Hilfe suchst: Informiere dich bei Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen oder Suchtberaterinnen und Suchtberatern, um Rat und professionelle Unterstützung zu bekommen. Nur Fachleute können dir (und der oder dem Betroffenen) helfen, mit der Situation umzugehen und angemessene Lösungen zu finden. Dies gilt vor allem, wenn die oder der Süchtige kein oder nur wenig einsichtiges Verhalten zeigt.

Was kann ich noch konkret tun?

Wenn du Anzeichen dafür siehst, dass jemand in deinem Umfeld süchtig ist, kannst du folgende Schritte unternehmen:

  • Informiere dich über die Suchterkrankung, um besser zu verstehen, was der oder die Betroffene durchmacht.
  • Lerne mehr über die Anzeichen der Sucht, von der du vermutest, dass sie vorliegt. Je besser du informiert bist, desto besser kannst du die Situation verstehen und angemessen reagieren.
  • Direkte Ansprache: Wenn du genügend Vertrauen hast, sprich die betroffene Person auf deine Bedenken an. Sei dabei einfühlsam, nicht beschuldigend, drücke deine Besorgnis aus.
  • Mache klar, dass du für die Person da bist und helfen möchtest.
  • Unterstützung anbieten. Zeige dem oder der Betroffenen, dass du aktiv unterstützen möchtest und biete Hilfe bei der Suche nach Fachleuten und Anlaufstellen an.
  • Grenzen ziehen: Es ist wichtig, deine eigenen Grenzen zu kennen und das dem oder der Süchtigen gegenüber auch deutlich zu machen.
  • Wenn die Sucht euer Verhältnis belastet oder dich überfordert, solltest du dich selbst schützen und unbedingt Unterstützung für dich suchen.

Angebote der Malteser

Auch die Malteser haben konkrete Angebote für Betroffene – zum Beispiel in Frankfurt und in Hamburg. Auch ehrenamtlich kannst du dich bei den Maltesern für Suchtkranke einsetzen.


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