Ehrenamtlich auf Events: Wie Menschen mit und ohne Behinderung zusammen feiern

Stell dir vor, du willst auf ein Konzert gehen und niemand möchte dich begleiten. Immerhin könntest du alleine gehen. Wenn es deine Lieblingsmusik ist, hält dich wahrscheinlich nichts auf. Anders ist es, wenn du blind bist oder im Rollstuhl sitzen würdest oder in einer großen Menschenmenge Panikattacken bekommst. Wenn dich dann niemand begleitet, musst du wohl oder übel zu Hause bleiben. Vor dem Problem stand auch Ron Paustian. Er ist Metal-Fan und liebt Konzerte, allerdings bekommt er wegen einer psychischen Erkrankung in großen Menschenmengen Panikattacken. Bleibt er deshalb zu Hause? Nein. Stattdessen hat er vor zehn Jahren sein inzwischen europaweites BUDDIE-Netzwerk gegründet. Ehrenamtliche Helfer begleiten Menschen mit Behinderung auf Konzerte, Festivals, ins Theater oder in Museen.

Darum geht’s:

 


So kommen Musikfans mit und ohne Behinderung zusammen

„Ich wollte nach zehn Jahren endlich mal wieder ein Metal-Konzert besuchen, aber ich musste auf meine eigene Behinderung achten“, erzählt Ron Paustian, der Gründer der Initiative Inklusion muss laut sein. Auf der Webseite des Veranstalters findet Ron keine Informationen darüber, ob die Location behindertengerecht ist. Er ruft dort an und es heißt: zu uns kommen gar keine Behinderten. „Ich hab mir den Laden dann mal angesehen und dann wusste ich auch warum: viele Stufen und nichts war barrierefrei.“ Ron selbst findet Begleiter. Aber was ist mit all den anderen, die auch gerne auf ein Konzert möchten und niemanden haben? Kurzer Hand organisiert Ron in seiner Freizeit ehrenamtliche Begleiter für Menschen mit Behinderung, damals noch hauptsächlich für Metal- und Rockkonzerte. Die meisten Helfer kommen aus seinem Freundes- und Bekanntenkreis. Sieben Jahre lang bringt Ron Musikfans mit und ohne Behinderung zusammen. Dann meldet er sich für den Wettbewerb Start Social an. Einmal im Jahr werden soziale Initiativen ausgewählt, deren Gründer ein Beratungsstipendium bekommt. Ron gewinnt 2015 das Stipendium: „Ich habe zwei Coaches an die Seite gestellt bekommen. Daraus ist dann Inklusion muss laut sein entstanden.“ Inzwischen sind sie ein 3er-Team, das sich regelmäßig um die Initiative kümmert: Cathleen Münzberg ist ehrenamtliche Projektleiterin, Patrick Seidl kümmert sich um die Zusammenarbeit mit den Veranstaltern und Ron leitet die Initiative. Nach dem gewonnenen Wettbewerb bekommen sie viel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, sowie  durch das Open-Air-Festival in Wacken. Ron selbst begleitet und betreut einen Metal-Fan, der das Festival nur liegend und mit Beatmungsgerät besuchen kann. Anschließend melden sich 450 Freiwillige innerhalb von drei Wochen. Inzwischen sind es über 1500 ehrenamtliche BUDDIES für alle möglichen kulturellen Veranstaltungen.

Ron setzt auf das temporäre Ehrenamt

Die freiwilligen Helfer kommen aus ganz Europa: Deutschland, Österreich, Schweiz, Luxemburg, Dänemark und Großbritannien. Jeden Tag kommen zwischen fünf und zehn neue Helfer dazu. Bis Ende des Jahres will Ron 10.000 BUDDIES zu seinem Netzwerk zählen. Er ist zuversichtlich, denn die Helfer sollen ihr Ehrenamt möglichst flexibel gestalten können: „Ich glaube, dass viele Leute Bock auf ein Ehrenamt haben, aber das Ehrenamt setzt ja darauf, dass die Helfer regelmäßig kommen. Gerade die jungen Leute wollen sich nicht so lange binden. Du musst auch im Beruf flexibel sein, da ist niemand mehr 20 Jahre lang am selben Ort. Darum gibt es bei uns temporäre Einsätze.“

Das funktioniert sehr gut. Wer Lust hat, auf Konzerte, Festivals, ins Theater oder Museen zu gehen, kann sich als Begleiter melden. Die Kosten für Tickets werden übernommen, entweder von dem, der sich begleiten lässt oder vom Veranstalter. Viele Veranstalter bieten bei Vorlage eines Schwerbehindertenausweises kostenfreien Eintritt für die Begleiter an.

Rund 30 Millionen Ehrenamtliche gibt es in Deutschland

Sportvereine, freiwillige Feuerwehr, Lesepaten - mehr als jeder Dritte in Deutschland engagiert sich ehrenamtlich. Die meisten sind Mitglied in einem Verein. Der gesellschaftliche Wandel wirkt sich auch auf die Tätigkeiten im Ehrenamt aus. Zum Beispiel fallen durch die Digitalisierung neue Aufgaben an, wie Programmierung von Websites oder die Betreuung von Social Media-Kanälen. Wer das kann ist genauso gefragt, wie der ehrenamtliche Fußballtrainer oder der Lesepate.

Begleiter oder Assistenz-BUDDIE – wer macht was?

Begleiter kann jeder werden. Um einen Blinden zu führen oder einen Rollstuhl zu bewegen, brauchst du keine speziellen Kenntnisse. Du gibst an, für welche Art von Musik oder kulturellen Veranstaltungen du dich interessierst. Beim BUDDIE-Netzwerk geht es nämlich darum, Menschen mit gleichen Interessen zusammenzubringen: die Metal-Fans untereinander sowie die Fans moderner Kunst untereinander.


Freunde begleiten Freunde, das ist das Prinzip.

Ron Paustian, Gründer von Inklusion muss laut sein


Je öfter du Zeit hast, desto besser. Aber selbst wenn du nur einmal im Jahr Zeit hast, jemanden zu begleiten, dann ist das auch völlig in Ordnung. Für Ron ist es wichtig, dass sich niemand verpflichtet fühlt, immer da sein zu müssen. Wenn du allerdings als Begleit-BUDDIE zusagst, dann bist du verpflichtet, das zu machen. Ein anderer verlässt sich auf dich und ist auch auf dich angewiesen.

Wer ein sogenannter Assistenz-BUDDIE werden möchte, braucht Erfahrungen mit bestimmten physischen Reaktionen wie beispielsweise Panikattacken oder speziellen Gerätschaften wie Sauerstoffflaschen. Auch als Assistenz füllst du den Fragebogen aus, es kommen dann aber noch ein paar Gespräche mit den Organisatoren dazu, um genau herauszubekommen, für welche Assistenz du dich am besten eignest. Dein Profil wird dann anonymisiert an diejenigen geschickt, die eine Begleitung suchen. Dabei wird darauf geachtet, dass eure Interessen übereinstimmen.

Du willst BUDDIE werden? So geht´s:

Grundsätzlich brauchst du keine speziellen Kenntnisse, um dich als Begleiter zu engagieren. Dennoch solltest du das vorher wissen, beziehungsweise mitbringen:

  • Du liebst Musik, Festivals, Konzerte, Kinobesuche, Theater oder andere kulturelle Veranstaltungen
  • Du unternimmst gerne etwas mit Menschen
  • Du hast keine Berührungsängste im Umgang mit Menschen
  • Wenn du etwas zusagst, dann kann man sich auch auf dich verlassen.

 

Bewerbungsmöglichkeiten:

Schreib eine E-Mail mit dem Betreff „Inklusion muss laut sein“ an info@i-m-l-s.com oder fülle das Kontaktformular aus. Folgende Daten werden für deine Bewerbung gebraucht:

  • dein Alter
  • deine Stadt oder Region
  • deine Interessen mit Schwerpunkten (zum Beispiel Musik & Konzerte: Rock & Pop)
  • ein Foto von dir

Das nächste Projekt wird ein riesiger Schritt für die Inklusion

Wenn man mit Ron spricht, fragt man sich, wann dieser Mann eigentlich schläft. Neben dem BUDDIE-Netzwerk und einer Arbeitsvermittlung für Menschen mit Behinderung, berät Ron im Rahmen der Initiative Inklusion muss laut sein auch Veranstalter von Events bezüglich der Barrierefreiheit. „Ich habe in diesem Jahr schon so viele leere Festivalgelände gesehen. Das Bewusstsein für Barrierefreiheit ist da, aber die Umsetzungsmöglichkeiten sind noch begrenzt. Vor allem ist es teuer“, erzählt Ron. Aber er weiß, wo es Fördergelder gibt und was bei den Anträgen zu beachten ist. Das tut er größtenteils ebenfalls ehrenamtlich, denn die kleinen Festival- und Eventveranstalter haben häufig kein Geld: „Ich sehe nicht einen Pfennig dafür. Da gibt es dann aber die ganz großen Festivals, die bezahlen für die vielen kleinen mit. Aber es bleibt im Grunde immer ehrenamtlich, weil alle Gelder, die reinkommen, gleich wieder verwendet werden.“ Darum ist die Initiative auf Spendengelder angewiesen. Wenn du mit deiner Spende unterstützen möchtest, dann kannst du das hier.

Im Herbst beginnt das nächste Projekt für Ron und das wird riesig: „Alle Veranstaltungsclubs in Hamburg sollen barrierefrei gemacht werden. Wir schauen uns über 180 Locations an. Dann geht es um Fördergelder, billige Kredite und Sachspenden wie Rampen“ erzählt Ron begeistert. Hamburg soll nur der Anfang sein. Allerdings werden die Umbauten einige Jahre lang dauern. Nach Rons Ansicht kann jeder selbst etwas für die Inklusion tun: „Wir differenzieren viel zu viel nach Geschlecht, Herkunft, Behinderung, Sexualität. Wenn wir das irgendwann mal aufgeben, dann würden wir viel friedlicher zusammenleben.“

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