Ungewöhnliche Ehrenämter: Als Schöffe in Strafprozessen

Harriet ist Schöffin. Uns hat sie erzählt, wie sie ehrenamtliche Richterin wurde, welche Aufgaben sie hat und mit welchen Herausforderungen sie am Schöffengericht konfrontiert ist.

Darum geht's:


Was ist eigentlich ein Schöffe beziehungsweise eine Schöffin?

Schöffinnen und Schöffen sind ehrenamtliche Richterinnen und Richter, die bei bestimmten Verhandlungen am Amts- oder Landesgericht mitwirken. Jugendschöffinnen und -schöffen engagieren sich am Jugendgericht. In jedem Fall sind sie ganz normale Bürgerinnen und Bürger, die neben ihren regulären Jobs tageweise am Gericht tätig sind und den Berufsrichterinnen und -richtern zur Seite stehen, damit es zu einem fairen Urteil kommt. Ein Ehrenamt mit viel Verantwortung – denn sie nehmen aktiv an den Verhandlungen teil, dürfen Fragen stellen, wirken an der Urteilsfindung mit und sind der Berufsrichterin oder dem Berufsrichter für die Zeit der Verhandlung in vollem Umfang gleichgestellt. An einem Verfahren nehmen immer zwei Hauptschöffen teil. Über die Schuldfrage und die Art und Dauer der Strafe wird dann mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit abgestimmt. Bedeutet: Gegen die Stimmen der beiden Schöffen kann niemand von der Richterin oder vom Richter verurteilt werden.

Wie kommst du in dieses Amt?

In der Regel wirst du per Brief zum Schöffen beziehungsweise Schöffin berufen. Das Schöffenamt ist ein staatsbürgerliches Ehrenamt. Das heißt, jede und jeder Deutsche, die/der die Voraussetzungen erfüllt, kann berufen werden und darf das Amt dann auch nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen ablehnen. Schöffinnen und Schöffen müssen zum Beispiel mindestens 25 und höchstens 69 Jahre alt sein und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen (mehr zu den Voraussetzungen liest du hier ). Du kannst dich aber auch freiwillig zum Schöffendienst melden.

So wie Harriet aus Hamburg. Als ihr Freund per Brief berufen wurde, hat sie das inspiriert. „Ich hatte ohnehin gerade gelesen, dass es in Hamburg zu wenig Schöffen gibt und Freiwillige gesucht werden“, erzählt die 39-Jährige. „Ich war neugierig, außerdem wollte ich etwas tun, mit dem ich der Gesellschaft etwas zurückgeben und anderen helfen kann. Also habe ich mich gemeldet – und wurde genommen.“ Seit Januar 2019 ist die PR- und Werbetexterin nun ehrenamtliche Richterin am Amtsgericht Hamburg.

Dein Arbeitgeber muss dich für Verhandlungen freistellen

Schöffinnen und Schöffen werden immer für einen Zeitraum von fünf Jahren berufen. Pro Jahr sollen durch das Gericht dabei nicht mehr als zwölf Verhandlungstage angesetzt werden. Die aktuelle Amtszeit läuft noch bis 31.12.2023. An den Tagen, an denen eine Schöffin beziehungsweise ein Schöffe vom Gericht geladen wird, hat sie beziehungsweise er Anwesenheitspflicht. Zieht sich eine Hauptverhandlung über mehrere Tage, muss sie oder er die gesamte Zeit anwesend sein. Arbeitgeber müssen Schöffinnen und Schöffen für die Verhandlungstage freistellen und erhalten dafür eine finanzielle Entschädigung. Auch die Schöffin beziehungsweise der Schöffe selbst bekommt für den Einsatz eine Aufwandsentschädigung.  

Schöffinnen und Schöffen sind voll in die Verhandlung involviert

An ihren ersten Verhandlungstag erinnert sich Harriet noch genau. „Ich war total aufgeregt. Man bekommt zwar vorab viel Infomaterial, das einen auf die Abläufe und Aufgaben vor Gericht vorbereitet. Auch Kurse und Schulungen werden angeboten, aber dann stehst du plötzlich im Gerichtssaal und wirst vereidigt – das ist schon ein besonderes Gefühl. Da wurde mir erst richtig klar, welche Tragweite dieses Ehrenamt hat.“ Drogenhandel, Beschaffungskriminalität, Betrug, Körperverletzung – das sind die klassischen Straftaten, die im Schöffengericht verhandelt werden.

Bei Harriets erstem Einsatz ging es um einen Überfall auf eine Spielbank. „In der Regel werden die zwei Hauptschöffen der Verhandlung vorab vom Richter gebrieft: Was ist passiert? Welche Zeugen oder Zeuginnen werden gleich gehört? Denn Schöffen haben keinen Einblick in die Akten“, erklärt sie. „Wir machen uns unser Bild einzig und allein anhand dessen, was wir im Gerichtssaal hören und sehen.“ Dafür dürfen die Schöffen auch selbst Fragen stellen. Und das sind oft ganz andere und durchaus auch kritischere, als die, die der Berufsrichter hat. „Viele Richter kommen von der Uni direkt ans Gericht“, weiß Harriet. „Sie bewerten das Gehörte ausschließlich in ihrem juristischen Kontext. Da sind Lebenserfahrungen wie die von einer unternehmerisch tätigen Selbstständigen eine weitere, wichtige Perspektive. Deshalb ist die Arbeit der Schöffen so wichtig. Es ist ein tolles Gefühl, gleichberechtigt mit dem Richter zu kommunizieren.“

Bei Gericht treffen Lebensrealitäten aufeinander

Im Gerichtssaal begegnet Harriet oft Menschen, die sie sonst in ihrem Alltag wohl nicht kennenlernen würde. „Vor Gericht treffen völlig verschiedene Lebensrealitäten aufeinander. Und mitunter sind die Geschichten, von denen man erfährt, schwer auszuhalten“, sagt sie. Eine der größten Herausforderungen für Schöffinnen und Schöffen ist, neutral zu bleiben und nicht vorzuverurteilen. Disziplin ist wahnsinnig wichtig. „Jeder Schöffe hat seine persönlichen Themen und wird Verhandlungen erleben, die nicht einfach sind. Da ist es manchmal schwer, die Fassung zu bewahren. Aber man darf einfach nicht emotional werden“, sagt auch Harriet. Ein Ehrenamt also, das einem einiges abverlangt. Aber eines, das Harriet trotzdem mit Leidenschaft ausübt. „Ich helfe einfach gern“, sagt sie. „Auch wenn die Dinge manchmal leicht in schwarz und weiß einzuteilen sind, versuche ich immer, mir auch ethische Fragen zu stellen. Was wirklich das Beste für den Angeklagten ist etwa. Danach urteile ich dann.“

Ein Ehrenamt mit viel Verantwortung

Mit den typischen Gerichtsverhandlungen, die man aus Filmen und Serien kennt, haben die Verhandlungen wenig zu tun. „Nein, es ist nicht so aufregend wie im Fernsehen!“ sagt Harriet und lacht. „Aber für die Menschen ist es ein entscheidender Moment. Das muss man sehr ernst nehmen, es ist alles andere als ein Larifari-Ehrenamt.“ Harriet würde sich wünschen, dass noch mehr Menschen sich freiwillig zum Schöffendienst melden. „Man erlebt und lernt so viel. Über Menschen, Kulturen, Sorgen, Lebenswelten. Die Arbeit bereichert das eigene Leben einfach ungemein.“

So wirst du Schöffin beziehungsweise Schöffe

Alle fünf Jahre stellen die Gemeinden für die Schöffinnen und Schöffen Vorschlagslisten aus, aus denen ein Schöffenwahlausschuss beim Amtsgericht die Schöffen wählt. Die nächste Schöffenwahl steht 2023 an. Wenn du dich freiwillig für den Schöffendienst melden möchtest, kannst du dich direkt bei deiner Gemeinde bewerben, die dann deine Voraussetzungen für dieses Ehrenamt prüft.


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