Hospizarbeit inklusiv: Trauerbegleitung für Menschen mit Behinderung
Sterben ist ein sensibles Thema – auch für Menschen mit Behinderung. Die Malteser in Hannover haben deshalb „Hospizarbeit inklusiv“ gestartet, ein Projekt zur besseren palliativen Begleitung. Unterstützt wird es von der Aktion Mensch. Benja Posselt, Teamleiterin in der Hospizkoordination der Malteser in Fulda, und Leonie Siahatgar, Heilpädagogin, berichten aus ihrem Projektalltag.
Darum geht's
- Was ist das Ziel des Projektes Hospizarbeit inklusiv?
- Warum ist es nötig, dass man Hospizarbeit inklusiv denkt?
- Was unterscheidet die Hospizarbeit für Menschen mit Behinderung und für Menschen ohne Behinderung?
- Wieso fehlt das Wissen darüber, wie man Menschen mit Behinderung beim Sterben begleitet?
- Was sind die Herausforderungen, wenn Menschen mit Behinderung sterben?
- Welche Möglichkeiten gibt es, Menschen mit Behinderung das Thema Tod und Sterben nahezubringen?
- Welche Kompetenzen braucht ein Team, damit Inklusion in der Hospizarbeit in Zukunft besser gelingen kann?
- Das Projekt Hospizarbeit inklusiv ist 2023 gestartet. Welches Zwischenfazit könnt ihr aus den letzten zwei Jahren ziehen?
- Welche Visionen oder Wünsche habt ihr für die Hospizarbeit in der Zukunft?
Was ist das Ziel des Projektes Hospizarbeit inklusiv?
Benja: Aktuell sind es nur Einzelfälle, wenn wir in den Hospizdiensten Menschen mit Behinderung begleiten. Die Relevanz wird aber steigen und wir sehen, dass Handlungsbedarf besteht. Und eigentlich ist das Thema auch gesetzlich verankert.
In der Förderung der Hospizarbeit ist jetzt schon klar festgeschrieben, dass Menschen in Einrichtungen der Eingliederungshilfe auch Sterbebegleitung erhalten sollen durch ehrenamtliche Hospizbegleiterinnen und -begleiter. Auch in der bundesweiten Vereinbarung zur Begleitung schwerstkranker und sterbender Menschen steht, dass jeder Mensch Anspruch auf eine würdevolle Sterbebegleitung hat – auch Menschen mit Behinderung. Aber in der Praxis sehen wir das nur in Einzelfällen. Darum haben wir das Projekt ins Leben gerufen, mit dem Ziel, die Hospizarbeit und die Eingliederungshilfe näher zueinander zu bringen.
Wir wollen mit dem Projekt Wissen übereinander und miteinander gewinnen und Unterstützung bieten – sowohl für Menschen mit Behinderung und ihre An- und Zugehörigen als auch für die Mitarbeitenden der Eingliederungshilfe, aber auch für die Mitarbeitenden der Hospizdienste und natürlich für die ehrenamtlichen Sterbebegleiterinnen und -begleiter.
Alle Infos zum Projekt
Der nachfolgende Link führt dich direkt auf die offizielle Seite des Projekts Hospizarbeit Inklusiv. Dort findest du unter anderem Kontaktmöglichkeiten, das mit dem Projekt verknüpfte Spendenkonto, einen informativen Flyer und allerlei Wissenswertes rund um das Projekt.
Zur besseren Lesbarkeit des Textes wird von „Menschen mit Behinderung“ gesprochen und auf die eigentlich politisch korrekte Schreibweise „Menschen mit Behinderung und/oder Beeinträchtigung“ verzichtet. Letzteres ist aber gemeint.
Warum ist es nötig, dass man Hospizarbeit inklusiv denkt?
Leonie: Inklusiv wäre es eigentlich, wenn es das Projekt gar nicht gäbe, das ist der Witz dabei. Aber wir brauchen dieses Projekt, weil in den Köpfen noch viele Barrieren und Berührungsängste bestehen.
Es ist oft leider so, dass nicht so viel Kontakt zwischen Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung stattfindet. Auch bei unseren Ehrenamtlichen oder bei uns Koordinatorinnen gibt es noch viele Ängste, Befürchtungen und Fragen:
- Was muss ich beachten?
- Wie gehe ich damit um?
Diese Unsicherheit führt oft dazu, dass der Kontakt gar nicht aufgenommen wird.
Was unterscheidet die Hospizarbeit für Menschen mit Behinderung und für Menschen ohne Behinderung?
Benja: Das Sterben ist nicht anders für Menschen mit oder ohne Behinderung. Und auch das Begleiten des Sterbeprozesses ist nicht anders, sondern es ist das, was uns eint. Das Problem sitzt eher bei uns in unseren Vorurteilen und Annahmen, dass es einen großen Unterschied gäbe oder auch in den Ängsten, dass wir das vielleicht nicht schaffen könnten. Daran müssen wir arbeiten.
Was genau meint Eingliederungshilfe?
Menschen mit Behinderung sind häufig nicht in der Lage, ihren Alltag selbstständig zu bestreiten. Deshalb gibt es die sogenannte Eingliederungshilfe, die gesetzlich auch verankert ist. Menschen mit körperlicher und/oder geistiger Behinderung haben so Anspruch auf Unterstützung in unterschiedlichen Lebensbereichen. Mit dem Ziel, ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen zu können. Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe zählen Leistungen zur sozialen Teilhabe, zur Teilhabe an Bildung und am Arbeitsleben sowie Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.
Leonie: Letzten Endes ist es ja so, dass auch sterbende Menschen ohne Behinderung, die wir begleiten, mit ihrer Krankheit und auch mit dem Alter Behinderungen bekommen. Und dann sind viele Dinge gleich, wie zum Beispiel, dass es mit der Sprache schwieriger wird oder gar keine Sprache mehr vorhanden ist. Bei einer Demenz wird nicht mehr verstanden, was gerade passiert. Genauso ist es auch bei Menschen mit geistiger Behinderung, aber aktuell gibt es noch sehr große Unterschiede in der Begleitung, einfach wegen dieser Barrieren und weil wir so wenig voneinander wissen. In der Eingliederungshilfe fehlt oft das Wissen darüber, dass es die ambulanten Hospizdienste gibt und dass bei uns Hilfe angefragt werden kann. Das heißt, es wird oft zu spät oder gar nicht um Hilfe geben, weil die Hospizarbeit und die Eingliederungshilfe noch nicht gut genug miteinander vernetzt sind. Es gibt bisher zu wenige Schnittpunkte und zu wenig Wissen voneinander, darum wollen wir mit dem Projekt Hospizarbeit inklusiv die Verbindung schaffen und Aufklärung anbieten.
Wieso fehlt das Wissen darüber, wie man Menschen mit Behinderung beim Sterben begleitet?
Leonie: Das Thema Tod und Sterben ist immer noch ein Tabuthema in der Gesellschaft, darum wollen die Leute sich gar nicht damit beschäftigen. Das Thema ist ja auch gar nicht in der breiten Öffentlichkeit und darum fehlt das Wissen darüber, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt und wo ich mich hinwenden kann. Deshalb ist ein Teil unserer Arbeit – die bei uns die Koordinatorinnen machen – die palliative Beratung und Aufklärung. So wissen Betroffene, wohin sie sich wenden können.
Benja: Für Menschen mit Behinderungen haben wir noch zusätzlich die Herausforderung, dass wir uns aufgrund unserer deutschen Geschichte jetzt das erste Mal mit einer Generation beschäftigen, die alt wird und eines natürlichen Todes stirbt. Insbesondere die Mitarbeitenden der Eingliederungshilfe haben hier noch keine großen Erfahrungswerte. Das ist in den Einrichtungen der Altenhilfe anders, wo sie sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Auch hier gibt es die Hospizarbeit, die schon lange gute Arbeit leistet, aber auch immer wieder von vorne anfangen muss, weil die Menschen sich ungern diesem Thema widmen und die wenigsten Menschen sich mit ihrer eigenen Sterblichkeit auseinandersetzen möchten.
Was sind die Herausforderungen, wenn Menschen mit Behinderung sterben?
Leonie: Das sind mehrere Dinge. Zum einen haben wir festgestellt, dass die Strukturen und örtlichen Gegebenheiten in der Eingliederungshilfe gar nicht da sind, um auf sterbende Menschen eingehen zu können. Zum Beispiel ist für Menschen, die in WGs wohnen und arbeiten gehen, tagsüber gar keine Betreuung da. Wenn dann jemand im Sterben liegt und weiterhin in seiner eigenen Häuslichkeit bleiben möchte, dann ist das in einer WG oder in einem Wohnheim gar nicht möglich, weil dort tagsüber niemand ist oder weil es diese medizinisch-pflegerischen Möglichkeiten gar nicht gibt. Da müsste mal geschaut werden, wie man das strukturell verbessert. Da könnte ein Springer die Betreuung ergänzen oder vielleicht geht ein Pflegedienst mit rein.
Und dann gibt es ja ganz unterschiedliche Auffassungen vom Tod. Unsere Ehrenamtlichen haben oft die Fragen: Wissen Menschen mit geistiger Behinderung überhaupt, was Tod ist? Wie gehe ich damit um? Und wie wird mit dem Verlust umgegangen? Das betrifft auch die Menschen mit Behinderung, die nicht unbedingt selbst sterben, sondern bei denen zum Beispiel die Eltern sterben. Wie erkläre ich es dem Menschen, dass seine Mutter gestorben ist? Wie gehe ich mit der Wahrheit um? Was kann ich dem Menschen zumuten? Das sind ganz viele Fragen, die auftauchen und die wir gemeinsam besprechen müssen.
Welche Möglichkeiten gibt es, Menschen mit Behinderung das Thema Tod und Sterben nahezubringen?
Leonie: Aktuell hören wir noch oft von Geschichten, in denen den Betroffenen aus einer Überforderung heraus nicht die Wahrheit gesagt wird. Wir empfehlen aber immer, dass alle ein Anrecht auf die Wahrheit haben und auch das Anrecht auf das Wissen. Wenn bei jemandem die Eltern gestorben sind, ist es doch schlimmer, wenn die Person denkt: Meine Eltern besuchen mich jetzt nicht mehr, als wenn die Person versteht, dass die Eltern gestorben sind.
Man muss natürlich immer schauen, wie man das sprachlich rüberbringt und an die Menschen anpasst. Es gibt ganz viele tolle Bücher in einfacher Sprache, die erklären, was passiert, wenn ein Mensch stirbt und was mit dem Körper passiert. Wir geben sogenannte Letzte Hilfe Kurse in leichter Sprache, in denen wir genau diese Frage nach dem Sterben besprechen. Einmal hat eine Teilnehmerin gefragt, ob der Körper sofort kalt wird, wenn der Mensch tot ist. Wir haben eine Wärmflasche mit Körpertemperatur auf den Tisch gelegt und sie konnte während der Schulung immer wieder fühlen, wie sich die Wärmflasche langsam abkühlt. Wir haben ihr dann erklärt, dass es bei einem Menschen genauso passiert, eben ganz langsam. So können wir auf die Menschen eingehen und dafür sorgen, dass der Tod für sie begreifbarer ist und sie das Thema gut aufnehmen können.
Welche Kompetenzen braucht ein Team, damit Inklusion in der Hospizarbeit in Zukunft besser gelingen kann?
Benja: Ich kann zumindest von unserem Team sprechen: Wir alle haben verschiedene berufliche Hintergründe und vereinen Bereiche aus der Sozialen Arbeit, aus der Heilpädagogik und der Gesundheits- und Krankenpflege. Dadurch gucken wir von verschiedenen Seiten auf das Thema. Einige unserer Kolleginnen haben in der Eingliederungshilfe gearbeitet und bringen die entsprechenden Erfahrungen mit. Es ist auch wichtig, dass wir alle im Team gucken: Wie ist es eigentlich mit meinen eigenen Berührungsängsten? Die bringe ich ja auch mit. Ich komme aus der Gesundheits- und Krankenpflege und habe wenig zu tun gehabt mit der Lebenswelt der Eingliederungshilfe. Das heißt, wir fangen immer bei uns an, indem bei uns zum Beispiel zuerst die Koordinatorinnen des Hospizdienstes geschult werden. Dabei stellen auch wir fest: Aha, das habe ich gar nicht gewusst und so könnte man das also kommunizieren. Das machen wir genauso für unsere Ehrenamtlichen, die sich für den Hospizdienst für Menschen mit Behinderung interessieren.
Grundsätzlich sollte man eine Offenheit mitbringen – zum einen für den Bereich Sterben, Tod und Trauer und zum anderen sollte man auch den Wunsch haben, Berührungsängste abzubauen, auch gegenüber Menschen mit Behinderung. Man sollte sehr selbstreflektiert sein, egal, ob im Hauptamt oder im Ehrenamt.
Das Projekt Hospizarbeit inklusiv ist 2023 gestartet. Welches Zwischenfazit könnt ihr aus den letzten zwei Jahren ziehen?
Benja: Das, was wir bislang sagen können, ist, dass es in den Einrichtungen der Eingliederungshilfe einen großen Bedarf an Schulungen und Workshops gibt. Darum liegt darauf aktuell unser Hauptfokus. Wir müssen mit den Mitarbeitenden ins Gespräch kommen und deren Ängste in Bezug auf Tod und Sterben erstmal aufgreifen. Der andere Schwerpunkt ist, in den Einrichtungen Angebote für Menschen mit Behinderung zu schaffen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, über das Thema zu sprechen. Wir haben den sogenannten Lebendigen Nachmittag entwickelt, wo ein Austausch zwischen Menschen mit Behinderung, aber auch ohne Behinderung zu den relevanten Themen Trauer, Tod und Sterben stattfindet. Wir selbst lernen gerade sehr viel über die Bedarfe. Es ist ein permanenter Prozess, bei dem wir immer ein kleines Stück vorgehen, Erfahrungen machen, die dann wiederum evaluieren und vielleicht etwas anpassen müssen.
Welche Visionen oder Wünsche habt ihr für die Hospizarbeit in der Zukunft?
Benja: Wie Leonie es schon eingangs erwähnt hat, ist eigentlich das Ziel, dass wir keinen inklusiven Hospizdienst oder ein Projekt mehr dafür brauchen, sondern dass es normal ist, dass wir inklusiv denken und arbeiten. Ich wünsche mir, dass wir es im ersten Schritt schaffen, beide Lebenswelten miteinander zu verzahnen. Aktuell existieren wir parallel und unser Auftrag ist es, dafür zu sorgen, dass die Hospizdienste und die Eingliederungshilfe miteinander ins Gespräch kommen.
Leonie: Ich wünsche mir auch, dass beide Bereiche voneinander lernen. Ich habe zum Beispiel in meiner vorherigen Arbeit eine Kommunikationsmöglichkeit genutzt, die nennt sich PECS, also Picture Exchange Communication System. Das sind Bildkarten, die man übergibt, um zu kommunizieren. Das ist etwas, was wir auch bei sprachlichen Barrieren im Hospizdienst nutzen könnten. Wenn in Zukunft ein reger Austausch stattfindet, können beide Bereiche voneinander lernen.