Der 104 Jahre alte Supergeiger aus Travemünde

Professor Valdemar Prukner ist 104 Jahre alt und spielt jede Woche für die Bewohner eines Seniorenheims in Travemünde Geige. Wir haben den wohl ältesten Violinisten der Welt an der Ostsee besucht.

Darum geht's:


Travemündes ältester Bewohner – und der wohl älteste Geigenspieler der Welt

Mit über 100 Jahren, könnte man meinen, ist es Zeit, sich zur Ruhe zu setzen. Nun, das mag für andere gelten – nicht aber für Professor Valdemar Prukner. Er ist 104 Jahre alt, Travemündes ältester Einwohner und mit großer Wahrscheinlichkeit auch der älteste Geigenspieler der Welt.

Als wir den emeritierten Musikprofessor im Malteserstift St. Birgitta in Travemünde besuchen, trauen wir unseren Augen kaum: Prukner sieht keinen Tag älter als 80 aus. Erst mit 99 Jahren zog er hier ins Seniorenheim. Aber nicht, weil er sich alt fühlte oder Hilfe brauchte. Er wollte bei seiner Frau sein, die seit einer Weile hier lebte. „Möchten Sie ein Lied hören?“ fragt er nach wenigen Minuten unseres Gespräches. Geige spielen, das ist nun mal sein Leben.

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Ein Leben ohne die Musik? Undenkbar!

Prukner wurde 1915 in Rijeka, einer Hafenstadt im heutigen Kroatien, als Sohn eines Kroaten und einer Italienerin, geboren. Er wuchs in Zagreb auf und spielt – das muss man sich mal vorstellen – seit inzwischen 98 Jahren Geige. Ein Leben ohne die Musik? Für ihn undenkbar. „Ich habe mit sechs Jahren angefangen, Geige zu spielen“, erzählt er. „Mein Vater hat es mir beigebracht. Er war technischer Zeichner, aber er hatte Musik im Blut, war sehr talentiert!“ Prukner machte sein Abitur und besuchte die Musikhochschule in Zagreb.

Die Geige hat ihm die Welt eröffnet

Die Geige, die mit Valdemar Prukner hier ins Seniorenheim eingezogen ist, hat ein italienischer Geigenbauer für ihn gebaut. Das war 1942. „Die hat auch schon viel gesehen und erlebt“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Und beginnt zu erzählen: Von seinen Konzerten auf der ganzen Welt, den 16 Jahren als erster Geiger bei den Hamburger Symphonikern, von seiner Zeit als Solist beim Rundfunk, wo er jeden Mittag live für die Hörer spielte.


"Meine Geige hat mir die Welt eröffnet."

- Valdemar Prukner, Violinist


Er erzählt von einem Jahr, das er auf dem Schiff „Europa“ verbracht hat und für die Kreuzfahrtgäste spielte. Davon, wie er mit 20 Jahren nach Istanbul ging und von den Wintern in St. Moritz, wo er für Millionäre spielte und heimlich Ski gefahren ist. „Das war eigentlich zu gefährlich, ich hätte mir ja die Hand brechen können. Aber ich konnte es einfach nicht lassen“, sagt er und lacht. Er erinnert sich an das Jahr, in dem er mit einem 10-Mann-Orchester im Libanon spielte. „Vor Scheichen und Animierdamen!“ Da gab es dann auch mal Champagner als Trinkgeld für das Orchester. „Meine Geige hat mir die Welt eröffnet“, sagt er stolz, aber ohne Wehmut. Bescheiden wirkt er, und sehr zufrieden.

Prukner spielte für Stars wie Sophia Loren

Wenn Prukner spielt, braucht er keine Noten. Er kennt alle Lieder auswendig. Im Hintergrund läuft lediglich als Begleitung eine CD von einem seiner Auftritte vor vielen Jahren. „Weil ich ohne Noten spiele, konnte ich bei Auftritten immer durch den Saal laufen und Kontakt zum Publikum aufnehmen“, erzählt er. Die Kellner verrieten ihm vorher die Namen der anwesenden Gäste. „Die fanden das toll, wenn ich zu ihnen kam und sie angesprochen habe. Ich habe so auf der ganzen Welt viele faszinierende Menschen kennengelernt.“ Eine davon: Sophia Loren. Die italienische Filmdiva war zu Besuch in Travemünde, wo Prukner regelmäßig im Casino auftrat. „Ich sprach italienisch mit ihr, das hat ihr gefallen. Sie war sehr sympathisch“, sagt er und lächelt verschmitzt. „Für nette Damen spiele ich ohnehin am liebsten!“

Im Seniorenheim hat er eine riesige Fangemeinde

Am Meer fühlt sich Valdemar Prukner am wohlsten. In den mehr als 20 Jahren, in denen er regelmäßig im Casino in Travemünde auftrat, lernte er seine kürzlich verstorbene Frau Hildegard kennen – und verliebte sich auch in das kleine Städtchen an der Ostsee. Heute ist er hier bekannt wie ein bunter Hund. Jeden Donnerstag gibt er ein Konzert im Seniorenheim. Dann versammeln sich die Bewohner des St. Birgitta im Speisesaal des Hauses und Prukner spielt für sie. Begleitet wird er von Frau Gisela Wegener am Klavier, einer über 80-Jährigen Dame, die sich ehrenamtlich hier im Seniorenheim engagiert. Auch Pastor Johannes Zehe spielt regelmäßig mit. „Das ist wirklich toll, so etwas gab es bei uns noch nie“, erzählt Hausleiterin Karin Lonnemann, die seit 30 Jahren in St. Birgitta arbeitet. „Er hat eine riesige Fangemeinde hier und genießt die Auftritte sehr. Wir haben ihm extra ein Zimmer gegeben, das etwas abseits liegt, damit er immer spielen kann, wenn er möchte – auch nachts.“

Musik hält jung

Prukners Repertoire ist breit gefächert – von klassischer Musik bis zu traditioneller Tanzmusik spielt und mag er alles. Sein absolutes Lieblingslied aber ist „Ave Maria“. Sobald er die Geige zur Hand nimmt, passiert etwas mit ihm: Seine Mimik verändert sich, er strahlt, schaut immer wieder, ob man auch zuhört und hinschaut. Und das tut man. Sein Geigenspiel zieht alle hier in den Bann. „Wo hat dieser Mann bloß schon überall gespielt?“ schießt es einem durch den Kopf. Kaum vorstellbar. 104 Jahre, zwei Weltkriege, unzählige Reisen. Was er alles erlebt haben muss. Es stimmt also wirklich: Musik hält halt jung. Professor Valdemar Prukner ist der beste Beweis dafür.

Titelbild © Nicole Benke


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