Studieren mit Behinderung: So geht Inklusion an Hochschulen
Stell dir vor, du sitzt im Hörsaal deiner Uni. Schaue dir deine Kommilitoninnen und Kommilitonen an: Kannst du dir vorstellen, dass mehr als jeder Zehnte eine Beeinträchtigung hat, die das Studium erschwert? Das hat die jüngste Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks ergeben. Nicht immer sieht man den Studentinnen und Studenten ihre Behinderung an. Trotzdem oder gerade deswegen ist Inklusion an Hochschulen so wichtig.
Darum geht's:
Was bedeutet Inklusion an Hochschulen?
Inklusion bedeutet, dass Menschen mit und ohne Behinderung ganz selbstverständlich miteinander leben, lernen und arbeiten. In einer inklusiven Gemeinschaft ist es normal, anders zu sein. Damit behinderte Menschen gleichberechtigt Teil unserer Gesellschaft sind, hat Deutschland gemeinsam mit anderen Staaten ein Abkommen der Vereinten Nationen (UN) unterzeichnet, die UN-Behindertenrechtskonvention. Sie soll dafür sorgen, dass Menschen mit Behinderung nicht mehr benachteiligt werden und genauso am gesellschaftlichen Leben teilhaben können wie Personen ohne Behinderung. Auch Universitäten sind dazu verpflichtet, die Konvention umzusetzen und Inklusion an Hochschulen zu fördern.
Mit welchen Behinderungen kann man studieren?
Behinderung und Studium schließen sich nicht aus. Es gibt viele verschiedene Arten von Beeinträchtigungen, mit denen das Studieren möglich ist:
- körperliche Behinderungen, die zum Beispiel einen Rollstuhl erfordern
- Sehbeeinträchtigungen, die eine Brille nicht korrigieren kann
- Hörbeeinträchtigungen bis hin zur Taubheit
- Sprechbeeinträchtigungen, die beispielsweise Referate erschweren
- psychische Erkrankungen wie Essstörungen und Depressionen
- chronische Krankheiten wie Morbus Crohn (Darmerkrankung) und Diabetes
- Teilleistungsstörungen wie Legasthenie
- Autismus und ADHS, die die soziale Entwicklung beeinträchtigen
Sozialerhebung: Umfrage unter Studenten
Das Deutsche Studentenwerk (DSW) erhebt alle drei Jahre Zahlen zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen von Studenten. Das sind die Ergebnisse aus dem Sommer 2016:
- Elf Prozent der befragten Studenten geben eine oder mehrere Krankheiten oder Behinderungen an, die das Studium erschweren.
- Bei sechs Prozent der Studenten wirken sich die Behinderung stark oder sehr stark auf das Studium aus.
- Vergleicht man die einzelnen Beeinträchtigungen, leiden die meisten betroffenen Studenten (55 Prozent) unter psychischen Erkrankungen, die Hälfte von ihnen sogar sehr stark.
Durch ihre Behinderungen unterbrechen die Studenten deutlich häufiger ihr Studium als Kommilitonen ohne Beeinträchtigungen. Studenten mit Behinderung wechseln häufiger die Hochschule oder den Studiengang oder benötigen mehr Zeit bis zum Abschluss.
Nicht immer ist der Bedarf für Inklusion an Hochschulen sichtbar
Jede Behinderung wirkt sich anders auf Studienverlauf und Leistung aus und macht eine unterschiedliche Betreuung erforderlich. Inklusion an der Universität bedeutet auch, dass Betroffene selbst aktiv werden müssen, da eine Beeinträchtigung nicht immer für andere erkennbar ist. Selbst wenn es schwerfallen mag: In Vier-Augen-Gesprächen können Studenten die Dozenten über ihre Schwierigkeiten aufklären und gemeinsam nach Lösungen suchen. Behindertenbeauftragte und Beratungsstellen helfen, sie vermitteln zwischen Studenten und Lehrpersonal. Sogar, bevor das Studium angefangen hat.
Das Problem: Viele Studierende mit einer unauffälligen Behinderung sehen sich nicht als behindert an, verzichten deshalb auf Vorteilsbehandlungen. Andere schämen sich und nehmen Beratungs- und Hilfsangebote nicht wahr. Dabei hat jeder Studierende mit Behinderung Anspruch auf einen sogenannten Nachteilsausgleich.
Inklusion fordern: An der Universität einen Nachteilsausgleich beantragen
Nachteilsausgleiche helfen bei der Organisation und Durchführung des Studiums und erleichtern Prüfungen und Leistungsnachweise. Auch wenn der Anspruch auf Nachteilsausgleich nicht in der Satzung oder Studienordnung einer Hochschule vermerkt ist, hat jeder Student das Recht, einen Antrag zu stellen.
Für den Antrag ist in der Regel kein spezielles Formular notwendig. Er ist rechtzeitig vor Studienbeginn oder Prüfungsphase zu stellen und muss Folgendes enthalten:
- einen beglaubigten Nachweis über die jeweilige Beeinträchtigung, etwa ein ärztliches Attest
- eine Darstellung, wie sich die Behinderung auf das Studium auswirkt und welche Nachteile sich dadurch ergeben
Ein Schwerbehindertenausweis allein reicht nicht aus. Antragsteller müssen immer nachweisen, wie die Behinderung das Studium erschwert.
Inklusion an der Uni Kiel
Die Uni Kiel schreibt mit dem angegliederten Institut für Inklusive Bildung Inklusionsgeschichte. Wer in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung gearbeitet hat, wird hier nach umfassenden Qualifizierungsmaßnahmen als Bildungsfachkraft in der Uni eingesetzt. Darüber hinaus beraten und unterstützen die Mitarbeitenden andere Hochschulen bei der Umsetzung von Inklusionsmaßnahmen.
Wie Inklusion an Hochschulen aussehen kann
Der Antrag soll keine Sonderrechte einräumen, sondern Nachteile ausgleichen und Inklusion ermöglichen. Hochschulen können Studenten mit Behinderung das Studium erleichtern, beispielsweise indem sie
- Betroffene von der Anwesenheitspflicht in Seminaren und Vorlesungen entbinden,
- individuelle Stundenpläne und gesplittete Praktika erlauben,
- Vorlesungsmaterialien und Bücher auch online zur Verfügung stellen,
- Bearbeitungs- und Prüfungszeiten verlängern,
- Hausarbeiten statt Referate und Einzel- statt Gruppenprüfungen zulassen,
- Rechtschreibung und Interpunktion nicht bewerten sowie
- Studienassistenzen für Mitschriften, Vorlesen, Recherchieren und Gebärdensprache bewilligen.
Weitere hilfreiche Maßnahmen betreffen die Infrastruktur in der Uni:
- Installation von Rampen, Fahrstühle und Behindertentoiletten,
- barrierefreie Eingänge mit Türöffnern ausstatten,
- Schilder mit Blindenschrift versehen sowie
- Ruhe- und Rückzugsräume anbieten.