Willkommensklasse: Trotz allem voll konzentriert

Für Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine richtet das Malteser Antoniuskolleg in Neunkirchen-Seelscheid wieder eine Willkommensklasse ein. Wie geht es den vor dem Krieg geflohenen Jugendlichen hier?

Darum geht's:


Was ist anders in Deutschland?

Was fällt einem 16-Jährigen als Erstes auf, wenn er aus dem Krieg in der Ukraine ins friedliche Deutschland kommt? Mischa überlegt ein wenig: „Die Müllsortierung“, sagt er dann und lässt uns schmunzeln, und: „Die Leute machen häufig die Fenster auf, weil sie lüften wollen, auch wenn’s draußen kalt ist.“

„Die Menschen hier sind sehr offen, sie lächeln, sagen immer Hallo, und ich mag auch die schönen Häuschen hier“, ergänzt Varia, in deren Pass „Varvara“ als Vorname steht, die ukrainische Form von „Barbara“.

Die heute 16-Jährige stammt aus Kiew, ist im März vergangenen Jahres mit ihrer älteren Schwester nach einer Station in Lwiw und einem 17-stündigen Fußmarsch über die Grenze nach Polen mit Bus und Auto hier ins nordrhein-westfälische Neunkirchen-Seelscheid gekommen, wo ein Freund ihres Vaters wohnt. Mischa ist von seiner südukrainischen Heimat Saporischschja aus mit Eltern und Schwester aufgebrochen und hat per Zug über Polen im Juli die 20.000 Einwohner zählende Gemeinde im Rhein-Sieg-Kreis erreicht. Verwandte im nahen Siegburg haben ihnen dabei geholfen.

Deutsch zu lernen ist das Wichtigste

Wir treffen die beiden im Antoniuskolleg, einem Gymnasium der Malteser im Ortsteil Neunkirchen, und können uns fließend auf Deutsch mit ihnen unterhalten. „Ich mag diese Schule schon sehr“, gerät Varia fast ein wenig ins Schwärmen, „die anderen Schülerinnen und Schüler sind sehr hilfsbereit, und ich kann mich mit ihnen unterhalten.“ Und Mischa betont: „Ich finde es sehr gut, dass die Schule eine Klasse zum Deutschlernen organisiert.“ Das Antoniuskolleg hat in diesem Schuljahr wieder eine „Willkommensklasse“ für Schülerinnen und Schüler aus dem Ausland eingerichtet – wie bereits in 2015 und den Folgejahren. Derzeit sind es 15 Schülerinnen und Schüler, 13 aus der Ukraine, ein Junge aus Afghanistan und ein alleingereister 14-Jähriger aus Syrien.

„Deutsch zu lernen ist für die Jugendlichen das A und O“, weiß Barbara Altmann, „denn nur so können sie die überall hemmende Sprachbarriere abbauen und so auch Anschluss zu den anderen Schülerinnen und Schülern finden.“ Die stellvertretende Schulleiterin hat schon 2015 die Willkommensklasse betreut, die jetzt einfach mit „IVK“ (Internationale Vorbereitungsklasse) abgekürzt wird. 21 eigene Unterrichtsstunden umfasst dieser Intensivkurs Deutsch. Sieben Stunden davon findet Unterricht für Fortgeschrittene sowie Schülerinnen und Schüler mit Grundkenntnissen getrennt statt, zwei Stunden sind als Förderunterricht für Anfängerinnen und Anfänger im Lesen und Schreiben reserviert. In den übrigen Schulstunden besuchen die ausländischen Schülerinnen und Schüler den Regelunterricht.

Ukrainisches Abitur in Klasse 11

Ein Spezialfall ist Danylo. Er ist mit seiner Mutter nach Neunkirchen gekommen, arbeitet allein in der Mediothek, dem Bibliotheks- und Selbstlernzentrum des Antoniuskollegs, und macht hier in ukrainischem Online-Unterricht sein ukrainisches Abitur, das dort bereits in der 11. Klasse absolviert wird. „So hat er wenigstens diesen Abschluss, der in Deutschland als mittlerer Schulabschluss gilt“, begründet Altmann die Sonderbehandlung aus Überzeugung. „Denn hier Abitur zu machen, ist für die meisten Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine, allein schon wegen der deutschen Sprache, unglaublich mühsam. Wir sind schon froh, wenn sie hier einen mittleren Abschluss bekommen können.“

Auch menschlich ist viel nötig

„Ich finde das so stark, was die jungen Leute hier leisten“, sagt Jennifer Enns, die Klassenlehrerin der Willkommensklasse. „Sie kommen ja nicht nur nach Deutschland und müssen eine schwierige Sprache lernen. Sie haben meist auch etwas zu verarbeiten. Jeden Tag sehen sie in ihrem Newsticker: Das und das passiert gerade in der Ukraine. Und trotzdem sitzen sie voll konzentriert hier.“ Dass in diesem Unterricht von der Grundschule mit Lesen- und Schreibenlernen bis zur Oberstufe alles abgedeckt werden muss, ist nicht das einzig Besondere. „Wenn es hier jemandem nicht gut geht, dann ist noch mehr Gefühl nötig als im Regelunterricht. Man muss seine Antennen ausfahren und schauen, was wird gebraucht: Sowohl sprachlich als auch menschlich“, nimmt die engagierte 31-jährige Lehrerin für Deutsch und Geschichte die besondere Situation ihrer Schülerinnen und Schüler wahr.

Heimweh und Dank

Haben sie – ein schwieriges Wort – Heimweh, fragen wir Mischa und Jennifer. Sie stutzen ein wenig, dann haben sie es übersetzt und stimmen beide zu: „Ja!“ Und was fehlt ihnen hier am meisten? „Mir fehlt die Atmosphäre“, sagt Mischa, „dass alle meine Sprache sprechen, und auch die Freunde.“ Varia telefoniert fast jeden Tag mit ihren Eltern. „Mir fehlen hier auch Freundinnen und Freunde, die Luft, die Atmosphäre und einfach Kiew, ich mag Kiew sehr!“ Die zwei wirken im Gespräch reifer, als man es vielleicht von 16-Jährigen erwarten würde. So erklärt Mischa zum Schluss von sich aus: „Wir möchten der Schule danken für die Organisation des Deutschkurses für uns ukrainische Schülerinnen und Schüler und überhaupt die Möglichkeit für ukrainische Menschen, hier zu lernen!“

Fakten zum Malteser Antoniuskolleg

  • Gymnasium in Trägerschaft der Malteser in Neunkirchen-Seelscheid
  • Breites Bildungsangebot: Sprachen (einschl. Latein), Mathematik/Naturwissenschaften, Gesellschaftswissenschaften; Bigband, Orchester, Chor, Sport und vieles mehr
  • 1.200 Schülerinnen und Schüler 85 Lehrkräfte
  • 120 Mitarbeitende insgesamt

#Engagement

#Flüchtlingshilfe

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