Sexualität im Alter: ein Tabuthema, das keines sein sollte

Sexualität hört im Alter nicht auf. Auch wenn sie sich verändern kann, bleiben Nähe, Zärtlichkeit und Intimität wichtige Grundbedürfnisse. Warum das Thema Sexualität im Alter oft tabuisiert wird und warum Betroffene, Angehörige und Fachpersonen versuchen sollten, offener damit umzugehen.  

Sexualität im Alter: Völlig normal und doch (noch) ein Tabuthema 

Sex ist etwas ganz Natürliches. Das Bedürfnis nach Sexualität ist menschlich und verschwindet nicht einfach, weil man alt wird. Lediglich der Stellenwert kann sich im Alter verändern. Oft geht es dann weniger um den Akt an sich als vielmehr um Intimität, Nähe und Zuneigung. Doch vielen älteren Menschen fehlen die Partnerin oder der Partner, mit denen sie ihre Bedürfnisse ausleben können. Gleichzeitig fällt es den meisten schwer, offen über ihre sexuellen Bedürfnisse zu sprechen – aus Scham und weil das Thema in der Gesellschaft kaum Platz hat. „Viele Jüngere denken, Sexualität sei im Alter kein Thema mehr. So ist ein gesellschaftliches Tabu daraus geworden, und das macht es für ältere Menschen noch schwerer, sich auszudrücken. Das erlebe ich in meiner Arbeit jeden Tag“, sagt Friederike Börner, Kriminologin, Traumapädagogin und Präventionsbeauftragte der Malteser Wohnen & Pflegen

„Ältere Menschen verlieren nicht das Bedürfnis, berührt zu werden,  
sondern verlieren die Mitmenschen, die sie berühren.“ 

Dr. Martin Grond, Geriater, 1991 

Studie zeigt: Sex bleibt auch im Alter wichtig

Wissenschaftliche Studien wie die Berliner Altersstudie II zeigen: Auch im Alter sind sexuelle Gedanken, Wünsche und Aktivitäten ein wichtiger Teil des Lebens. Für die Studie wurden über 1.500 Menschen zwischen 60 und 82 Jahren befragt. Die Ergebnisse: Ältere Erwachsene sind zwar insgesamt seltener sexuell aktiv als Jüngere, doch Nähe und Intimität bleiben genauso wichtig wie in jungen Jahren. Ein Drittel der 60- bis 80-Jährigen ist sogar sexuell aktiver als viele Befragte im Alter von 20 bis 30 Jahren. Entscheidend für eine erfüllte Sexualität sind weniger körperliche Voraussetzungen, sondern vor allem soziale und emotionale Faktoren.

Darum fällt das Sprechen über Sexualität so schwer

Viele Menschen, die heute über 70 sind, wurden in Bezug auf Sex nie wirklich sprachfähig gemacht. Sie sind in einer Zeit aufgewachsen, in der über Sexualität kaum oder gar nicht gesprochen wurde. Homosexualität war strafbar, Aufklärung ein Tabu. Diese Prägungen wirken bis heute nach. „Früher wurde einfach nicht über Sex gesprochen. Dann ist es natürlich umso schwerer, im Alter damit anzufangen“, erklärt Friederike Börner. Auch kulturelle oder religiöse Aspekte können das Schweigen verstärken. Für Menschen, die nicht heterosexuell leben oder queere Beziehungen führen oder führen möchten, ist der offene Umgang oft noch schwerer. Manche haben in jungen Jahren Diskriminierung erlebt und tun sich deshalb auch im Alter schwer, offen über ihre Wünsche zu sprechen. Andere entdecken erst im Alter eine andere sexuelle Orientierung, die vorher vielleicht auf gesellschaftlichen Druck hin unterdrückt wurde.  

Sexualität: auch im Alter ein Grundbedürfnis

Sexualität bedeutet nicht nur Sex. Es geht auch um: 

  • Nähe und Körperkontakt 
  • Zärtlichkeit und Berührung 
  • Intimität und Vertrauen 


Auch Selbstbefriedigung oder die bewusste Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper sind wichtige Formen, Sexualität zu leben – besonders, wenn kein Partner oder keine Partnerin (mehr) da ist. „Es ist wichtig, dass ältere Menschen sich ihrer Bedürfnisse bewusst werden und sie auch ausdrücken dürfen“, sagt Börner. „Für viele jüngere Menschen ist Sexualität in all ihren Formen heute ganz normal. Sich das vor Augen zu halten, macht es vielleicht etwas leichter, den Mut zu fassen und auszusprechen, dass man bestimmte Bedürfnisse hat.“ Erste Ansprechpersonen sind der Partner oder die Partnerin, Angehörige und in Wohneinrichtungen auch das Pflegepersonal. Wichtig ist, die persönlichen Grenzen der Gesprächspartner und -partnerinnen zu wahren. „Pflegepersonal ist nicht da, um sexuelle Wünsche zu befriedigen, kann aber bei Bedarf zum Beispiel den Kontakt zu Beratungsstellen herstellen“, betont Friederike Börner.  

Krankheiten und Medikamente können die Sexualität beeinflussen

Doch nicht nur Scham erschwert den Umgang mit Sexualität im Alter. Auch gesundheitliche Aspekte spielen mitunter eine Rolle: Krankheiten wie ein Schlaganfall oder eine Demenz können das Bedürfnis nach körperlicher Zuneigung verändern, Medikamente können die Libido mindern oder steigern. Hinzu kommen körperliche Veränderungen wie trockene Schleimhäute, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr oder Erektionsstörungen. Hilfsmittel wie Gleitgel, spezielle Medikamente oder auch eine ärztliche Beratung können dann sehr hilfreich sein. 

Gut zu wissen

Eine veränderte Libido im Alter ist häufig medizinisch erklärbar. Sprechen Sie mit Ärztinnen und Ärzten, wenn Sie Veränderungen bemerken, auch wenn Ihnen diese vielleicht unangenehm sind. 

Räume für Gespräche und Nähe schaffen

Sexualität im Alter ist also ein ganzheitliches Thema, das von vielen Faktoren abhängt. Wie kann man es aus der Tabuzone holen? „Es braucht mehr Angebote für die älteren Menschen und ihr soziales Umfeld. Wir müssen mehr über Sexualität im Alter reden und Räume schaffen – nicht nur für Gespräche, sondern auch ganz praktisch im Sinne von Rückzugsmöglichkeiten, um Sexualität überhaupt ausleben zu können“, sagt Friederike Börner. Das ist gerade für Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen eine Herausforderung. Sie haben zwar ein eigenes Zimmer – aber in das kann theoretisch auch jederzeit jemand reinkommen. „Das hemmt natürlich total“, sagt Friederike Börner. Ihr praktischer Tipp: Ein „Bitte nicht stören“-Schild an der Tür. „Es sind manchmal ganz einfache Lösungen, die die nötigen Freiräume schaffen.“   

Angehörigen, Pflegefachkräften und Mitarbeitenden der sozialen Dienste rät sie, auch auf (nonverbale) Signale zu achten – häufig zeigen ältere Menschen ihre Bedürfnisse indirekt. „Dann hilft Verständnis. Oft ist es leichter, wenn Außenstehende den ersten Schritt gehen und das Thema ansprechen.“ Angehörige, denen das unangenehm ist, können sich ans Fachpersonal wenden. „Das ist idealerweise geschult und weiß damit umzugehen“, sagt Börner. Sie selbst gibt bei den Maltesern regelmäßig Fachvorträge für das Personal der Malteser Wohnen & Pflegen-Einrichtungen zum Thema Sexualität im Alter. „Dort besprechen wir auch, welche Anlaufstellen es für die Menschen gibt, die niemanden mehr haben, um ihre Bedürfnisse auszuleben.“  

Praktische Wege für mehr Nähe im Alter 

  • Für Paare: Wenn das Sexualleben nicht mehr befriedigend ist, kann eine Sexualtherapie helfen.  
  • Für Alleinlebende: Gruppenaktivitäten, Vereine oder gemeinsame Ausflüge können neue Kontakte ermöglichen. „Manchmal entsteht daraus auch eine Liebesbeziehung“, sagt Friederike Börner. Auch Dating-Apps werden zunehmend von älteren Menschen genutzt, die Zuneigung oder Partnerschaft suchen.  


Für Angehörige gilt: Gespräche über Sexualität sollten immer behutsam begonnen werden, etwa indem man zunächst allgemein über „Nähe und Zärtlichkeit“ spricht. Wer unsicher ist, kann Fachkräfte oder Beratungsstellen hinzuziehen. „Wichtig ist, die Bedürfnisse der älteren Menschen ernst zu nehmen und nicht mit Scham oder Abwehr zu reagieren“, sagt Friederike Börner. „Denn Sexualität ist ein Grundbedürfnis, für das sich niemand schämen muss.“ 


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