Sarkopenie: Muskelschwund erkennen und entgegenwirken
Im fortgeschrittenen Alter lässt bei jedem Menschen Kraft und Beweglichkeit nach. Bei einigen fällt dieser Kraftverlust drastisch aus. Dahinter kann sich eine Erkrankung verbergen: Sarkopenie – der übermäßige Abbau von Muskeln. Doch es ist möglich, dem entgegenzuwirken und so auch im Alter stark und unabhängig zu bleiben.
Darum geht’s:
- Was ist Sarkopenie?
- Wie unterscheidet sich Sarkopenie von normalem, altersbedingtem Muskelschwund?
- Ursachen und Risikofaktoren von Sarkopenie
- Hat Sarkopenie etwas mit Multipler Sklerose zu tun?
- Was sind erste Symptome von Sarkopenie?
- Wie wird Sarkopenie diagnostiziert?
- Was kann man gegen Sarkopenie tun?
- Bewegung wirkt am besten gegen Muskelschwund
- Was kann man noch tun?
- Welche Bewegungen kann man in den Alltag einbauen?
- Was für eine Rolle spielt die Ernährung?
Was ist Sarkopenie?
Sie möchten auch im Alter aktiv, selbstständig und voller Lebensfreude bleiben? Beweglich Treppen steigen, Spaziergänge genießen und den Alltag ohne Hilfe meistern? Damit dieser Wunsch in Erfüllung geht, ist es wichtig, die eigene Muskelkraft zu erhalten, denn sie ist die Grundlage für Stärke, Balance und Unabhängigkeit bis ins hohe Alter.
Eine Tatsache ist allerdings, dass jeder Mensch im Laufe des Lebens Muskeln abbaut; das ist ein normaler, physiologischer Prozess. Doch wenn der Abbau übermäßig stark ist, sprechen Fachleute von Sarkopenie: einer eigenständigen Erkrankung, die seit 2016 von der WHO offiziell anerkannt wird. Sie kennzeichnet den fortschreitenden, übermäßig starken Verlust von Muskelmasse und -kraft. Der Begriff kommt übrigens aus dem Griechischen und setzt sich aus den Wörtern Sarx (Fleisch) und Penia (Verlust) zusammen. Fachleute schätzen, dass jede und jeder zehnte über 60-Jährige und sogar fast 50 Prozent der über 80-Jährigen in Deutschland darunter leiden. Die Folgen sind gravierend: Betroffene wirken gebrechlich, ihre Mobilität und ihre Lebensqualität sind eingeschränkt und das Risiko für Stürze, Knochenbrüche und Pflegebedürftigkeit steigt deutlich.
Muskelabbau im Alter
Schon ab dem 30. bis 40. Lebensjahr nimmt die Muskelmasse langsam ab, zunächst kaum spürbar. Ab 50 bis 60 Jahren beschleunigt sich der Prozess: Pro Jahr gehen etwa ein Prozent Muskelmasse und bis zu drei Prozent Muskelkraft verloren. Mit 80 Jahren können bereits 40 Prozent der ursprünglichen Muskulatur verschwunden sein.
Wie unterscheidet sich Sarkopenie von normalem, altersbedingtem Muskelschwund?
„Beim physiologischen Altern kommt es zu einem langsamen, natürlichen Abbau der Muskeln, der bei aktiven Menschen aber lange kaum Einschränkungen verursacht“, erklärt Dr. Rainer Löb, Bundesarzt der Malteser. Bei der Sarkopenie handele es sich hingegen um einen beschleunigten, krankhaften Abbau, der durch Krankheiten oder einen ungesunden Lebensstil begünstigt wird.
Ursachen und Risikofaktoren von Sarkopenie
Es gibt eine Reihe von Risikofaktoren, die zu einem krankhaften Muskelschwund führen können. Dazu gehören:
- Bewegungsmangel: Wer sich wenig bewegt, verliert schneller Muskeln.
- Mangelernährung: Besonders Eiweißmangel kann die Muskulatur schwächen.
- Chronische Erkrankungen: Herzschwäche, COPD, Niereninsuffizienz, Krebs oder Diabetes beschleunigen den Prozess.
- Hormone und Stoffwechsel: Sinkende Hormonspiegel (zum Beispiel von dem männlichen Sexualhormon Testosteron oder dem weiblichen Hormon Östrogen) können den Muskelabbau begünstigen.
- Entzündungen und Medikamente: Chronische stille Entzündungen (wie etwa beim Entzündungsaltern, auch „Inflammaging“ genannt) oder zum Beispiel Kortisonpräparate können den Muskelabbau zusätzlich beschleunigen.
Hat Sarkopenie etwas mit Multipler Sklerose zu tun?
Auch, wenn es in den Symptomen Überschneidungen gibt (wie Muskelschwäche, eingeschränkte Mobilität und erhöhtes Sturzrisiko): Multiple Sklerose (MS) und Sarkopenie haben völlig unterschiedliche Ursachen. MS ist eine chronische Autoimmunerkrankung, bei der das eigene Abwehrsystem die Nerven im Gehirn und Rückenmark angreift, in der Folge können Signale nicht mehr richtig weitergeleitet werden. Die Krankheit beginnt oft schon im jungen Erwachsenenalter und verläuft häufig in Schüben. Sarkopenie hingegen ist der übermäßige Abbau von Muskelmasse und Muskelkraft im Alter. Die Erkrankung entsteht vor allem durch Alterungsprozesse, Bewegungsmangel oder unzureichende Ernährung.
Was sind erste Symptome von Sarkopenie?
Sarkopenie entwickelt sich schleichend. Typische Warnzeichen sind:
- nachlassende Kraft in Armen und Beinen,
- Schwierigkeiten beim Aufstehen, Gehen oder Treppensteigen,
- unsicherer Gang, häufige Stürze,
- zunehmende Mühe bei alltäglichen Aufgaben wie etwa Einkäufe nach Hause zu tragen,
- schnelle Ermüdung nach körperlicher Tätigkeit.
Wichtig: Auch, wenn diese Symptome den Alltag anfangs nur leicht einschränken, ist es ratsam, schnell zu handeln. „Wer diese Signale ernst nimmt und gleich ärztlichen Rat sucht, hat die besten Chancen, gegenzusteuern“, sagt Dr. Rainer Löb.
Wie wird Sarkopenie diagnostiziert?
Ob hinter nachlassender Kraft wirklich Sarkopenie steckt, kann eine Ärztin oder ein Arzt prüfen. Erste Hinweise geben einfache Tests, etwa ein Handkraft-Messgerät oder die Zeit, die man braucht, um mehrmals vom Stuhl aufzustehen. Um die Muskelmasse genauer zu bestimmen, können zusätzlich Messungen mit speziellen Geräten durchgeführt werden. Auch die Gehgeschwindigkeit wird oft getestet. So lässt sich erkennen, ob es sich um normalen Muskelabbau im Alter handelt oder um eine behandlungsbedürftige Sarkopenie.
Was kann man gegen Sarkopenie tun?
Es gibt eine „gute Nachricht“, betont Dr. Rainer Löb: „Wir sind Muskelschwund nicht hilflos ausgeliefert.“ Dabei gilt: Je früher eine Einschränkung durch schwindende Muskeln erkannt wird, desto effektiver kann man gegensteuern. „Mit gezieltem Training, ausgewogener Ernährung und bewusster Lebensgestaltung können wir den Muskelabbau verlangsamen – und teilweise sogar umkehren“, so Dr. Rainer Löb. Sein Rat: „Wer gut und fit alt werden möchte, muss etwas tun. Und zwar Kraft, Ausdauer und Gleichgewicht trainieren. Muskeln sind auch eine Altersvorsorge – wer früh einzahlt, profitiert später.“ Dennoch gelte: „Es ist nie zu spät, anzufangen!“
Bewegung wirkt am besten gegen Muskelschwund
Für den Bundesarzt der Malteser ist klar: „Die wichtigste Maßnahme gegen Muskelschwund ist Training.“ Und das sollte möglichst regelmäßig absolviert und in den Alltag integriert werden. Der Mediziner rät zu einer Kombination folgender Trainingsformen:
- Krafttraining: 2- bis 3-mal pro Woche, 3 Sätze, mit je 10 Wiederholungen, mit einfachen Übungen wie Aufstehen vom Stuhl, Kniebeugen, Wandliegestütze, Rudern mit Theraband, Hantelübungen oder Hüftheben.
- Ausdauertraining: Mindestens 150 Minuten pro Woche – zum Beispiel ein flotter Spaziergang, Radfahren, Schwimmen oder Tanzen. Bei geringerer Belastbarkeit sind auch 3 Mal 10 Minuten pro Tag effektiv. Nebenbei: „Tanzen ist auch ein positiver Punkt im Blick auf demenzielle Erkrankungen – weil es komplex ist und Körper und Hirn fordert.“
- Balanceübungen: 3-mal pro Woche je 10 bis20 Minuten, etwa Einbeinstand, Tandemgang oder Tai-Chi.
- Beweglichkeitstraining: Sanfte Dehnungen 2- bis 3-mal pro Woche fördern Gelenkigkeit und beugen Verletzungen vor.
Der Trainingsplan des Bundesarztes erscheint Ihnen vielleicht sehr ambitioniert zu sein, aber Bewegung ist eben der Schlüssel für Muskelerhalt sowie Fitness im Alter. Aber natürlich sollte jede und jeder in ihrem beziehungsweise seinem Ermessen und Tempo Bewegung in den Alltag einbauen und eventuell auch Rücksprache mit der Hausärztin oder dem Hausarzt halten.
Übrigens: Gezieltes Krafttraining wirkt sich auch positiv auf die Heilungschancen nach Krankheiten aus und verringert das Risiko für chronische Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Leiden, Diabetes und Übergewicht. Viele Expertinnen und Experten empfehlen die Kombination mit Ausdauertraining und Bewegungsspielen zur ganzheitlichen Förderung von Gesundheit, Beweglichkeit und Balance.
Wochen-Trainingsplan
Dieser beispielhafte Wochenplan kann Muskelschwund entgegenwirken und damit die Beweglichkeit erhalten:
Montag: Ganzkörper-Krafttraining (45 Minuten) + 30 Minuten flotter Spaziergang
Dienstag: 30 Minuten Radfahren + 10 Minuten Balanceübungen
Mittwoch: 30 Minuten lockere Bewegung (Spaziergang, Dehnen)
Donnerstag: Ganzkörper-Krafttraining + 10 Minuten Dehnen
Freitag: 30 Minuten Schwimmen oder Gehen + 10 Minuten Balanceübungen
Samstag: Längere Aktivität, zum Beispiel Wandern oder Radtour (60 Minuten)
Sonntag: 30 Minuten Spaziergang + 15 Minuten Beweglichkeitstraining
Was kann man noch tun?
So wichtig ein gezieltes Training ist – auch kleine, in den Alltag integrierte Übungen können schon spürbare Erfolge bringen und selbst Hochbetagte können so ihre Muskeln wieder kräftigen. Wichtig ist dabei, sich bei Unsicherheiten von Trainerinnen und Trainern oder Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten beraten zu lassen, um Verletzungen zu vermeiden und motiviert zu bleiben. „Jede Form von Bewegung sei grundsätzlich kostbar“, weiß der Bundesarzt der Malteser. Sein Tipp: „Vermeiden Sie zu langes Sitzen, alle 30 Minuten sollten Sie aufstehen, umhergehen und kleine Bewegungen einbauen.“
Welche Bewegungen kann man in den Alltag einbauen?
Es gibt eine Reihe von kleinen Übungen im Alltag, die dabei helfen, die Muskeln zu aktivieren und zu erhalten. Dazu gehören:
- Gezielt Aufstehen ohne Abstützen,
- Treppensteigen statt Aufzug nehmen,
- kurze Spaziergänge,
- Balanceübungen,
- Dehn- und Mobilitätsübungen wie Armkreisen,
- auch kleine Kraftübungen, wie das Heben von Wasserflaschen, können integriert werden.
- Letztlich gilt: „Erhalten Sie sich die Freude an Bewegung: Tanzen, Gartenarbeit, Spaziergänge oder Gymnastik – alles zählt.“
Wichtig: Gerade Untrainierte sollten es anfangs nicht übertreiben. Bei Balance- und Kraftübungen ist es etwa ratsam, einen Stuhl zum Abstützen bereitzustellen und die Muskeln mit moderaten Übungen aufzuwärmen.
Gemeinsam statt einsam aktiv bleiben
Nicht nur Bewegung und Ernährung zählen – auch das Miteinander spielt eine wichtige Rolle. Wer viel allein ist, bewegt sich oft weniger, isst unregelmäßiger und verliert leichter die Motivation, dranzubleiben. Umgekehrt kann gemeinsames Training Wunder wirken, wie sie auch in unserem Artikel "Sport im Alter" nachlesen können: ob Seniorensport, betreute Trainingskurse, Tanzgruppe, Spaziergänge mit Freundinnen oder Freunden oder ein Online-Bewegungskurs. In Gesellschaft fällt es leichter, aktiv zu bleiben und Vorsätze durchzuhalten. Das wirkt sich positiv auf die Mobilität und die Lebensfreude aus.
Was für eine Rolle spielt die Ernährung?
Eine ausgewogene, abwechslungsreiche Ernährung mit viel Obst und Gemüse ist gerade auch im Alter wichtig. 10 Tipps für eine gesunde Ernährung finden Sie hier. Eine besondere Rolle spielt dabei das Eiweiß. Denn mit steigendem Alter benötigt der Körper mehr Protein, um die Muskeln zu erhalten. Auch essenzielle Aminosäuren wie Leucin, sowie Vitamine und Mineralstoffe (Vitamin D, Omega-3-Fettsäuren und Calcium) unterstützen den Muskelerhalt. Eine abwechslungsreiche Ernährung mit Fleisch, Fisch, Eiern, Milchprodukten und Hülsenfrüchten ist dabei hilfreich. Gegebenenfalls kann auch ärztlich verordnete Trinknahrung sinnvoll sein.