Rosenheim/Traunstein/Berchtesgadener Land. In Deutschland nimmt sich etwa jede Stunde ein Mensch das Leben – im Jahr 2023 waren es mehr als 10.000 Menschen. Und mindestens sechsmal so viele Menschen im persönlichen Umfeld sind indirekt betroffen. Hinter diesen Zahlen des Statistischen Bundesamtes stehen ebenso viele individuelle Schicksale.
Grund genug, das Thema Prävention stärker in den Blick zu nehmen, findet Claudia Hanrieder. Sie ist seit zwei Jahren Leiterin eines Projektes, mit dem die Malteser insbesondere schwer erkrankten, auf Dauer pflegebedürftigen oder einsamen Menschen mit Todeswunsch und deren Angehörigen ein Gesprächsangebot bieten.
Die Heilpraktikerin für Psychotherapie mit dem Schwerpunkt Gesprächstherapie, Mediatorin und Juristin hat die Erfahrung gemacht: „Menschen, die nicht mehr leben wollen, wollen meist SO in oder mit dieser Situation nicht mehr leben. In dieser Verzweiflung oder Angst möchten sie verständlicherweise möglichst schnell aus der Situation herauskommen und es entsteht ein Tunnelblick, bei dem andere Möglichkeiten oder die Konsequenzen eines Suizids vielleicht nicht mehr wahrgenommen werden.“ Dabei spielt auch das Thema assistierter Suizid eine zunehmende Rolle. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.02.2020 zum selbstbestimmten Sterben hat gezeigt, dass das Thema auch eine gesellschaftliche Bedeutung erlangt hat. Die Anzahl der assistierten Suizide in Deutschland hat sich nach Angaben des Nationalen Suizidpräventionsprogramms von 2022 auf 2023 mehr als verdoppelt.
Über den eigenen Todeswunsch zu sprechen, fällt den Betroffenen oft schwer, obwohl das Bedürfnis gerade in der sogenannten Ambivalenzphase - wenn Todeswunsch und Überlebenswille gleichzeitig vorherrschen – oft besteht. Doch auch wenn das Thema assistierter Suizid in der Gesellschaft angekommen ist, ist die Hemmschwelle möglicherweise zu hoch. Die Betroffenen möchten vielleicht das Umfeld nicht damit belasten oder finden keine geeignete Ansprechperson. Sehr oft werden nur indirekte Äußerungen über Suizidabsichten getätigt, die zum Beispiel mit geschultem Ohr und der nötigen Sensibilisierung erkannt werden können.
Wer in seinem privaten oder beruflichen Umfeld mit Todeswünschen konfrontiert wird, möchte in der Regel helfen. Dabei existieren viele Vorurteile und Mythen, wie Hanrieder weiß. „Ein direktes Ansprechen von Suizidabsichten muss den Gedanken nicht verstärken, sondern kann sogar im Gegenteil Erleichterung bei den Betroffenen schaffen, kann als hilfreich und entlastend erlebt werden oder sogar lebensrettend wirken“, erklärt sie. Auch wenn man keine spezielle Ausbildung hat, können Empathie, Wertschätzung, Zuhören, Ernstnehmen und füreinander Dasein wichtige Punkte sein, die wieder Halt geben und eine Beziehung aufbauen können. Daneben ist es wichtig, professionelle Hilfe hinzuzuziehen, damit keine eigene Überforderung entsteht. Denn bei den Menschen im Umfeld entsteht möglicherweise auch Angst. Sich dessen bewusst zu sein, ist bereits hilfreich. „Und niemand sollte sich schämen, in solchen Situationen Unterstützung und Hilfe zu suchen und Anlaufstellen zu kontaktieren“, betont Hanrieder.
Hier setzt das Gesprächsangebot der Malteser an. „Wenn erste Gedanken an den Tod als möglichen Ausweg aus der Situation aufkommen, wollen wir bereits ansetzen und ganz niederschwellig eine Gesprächsmöglichkeit bieten“, so Hanrieder. Das gelte für Betroffene und Angehörige oder als wertschätzende Ergänzung für bereits bestehende Angebote im Umfeld, wie zum Beispiel ambulante Pflege, Hospizarbeit und Palliativmedizin.
Die Gespräche können nach Vereinbarung in Räumen der Malteser oder im persönlichen Umfeld stattfinden. In Rosenheim gibt es seit dem Sommer zudem eine monatliche offene Sprechstunde, die auch ohne Voranmeldung besucht werden kann. Die nächsten Termine sind am 15. September, 13. Oktober, 17. November, 1. Dezember 2025, jeweils 10 - 13 Uhr, im Malteserhaus.
Was können wir als Gesellschaft tun? „Es ist wichtig, dass sich möglichst viele Menschen mit dem Thema Suizid / assistierter Suizid auseinandersetzen und das Thema sowohl für sich selbst reflektieren als auch im Umfeld darüber sprechen, um Tabus abzubauen“, erklärt Hanrieder. Außerdem solle man auf Andeutungen wie „Ich will nicht mehr.“, „Das hat doch alles keinen Sinn mehr.“, „Wenn es nur schon endlich vorbei wäre.“ achten.
Dafür zu sensibilisieren ist ein Ziel der offenen Schulung zum Umgang mit Todeswünschen, die die Malteser am Montag, 20. Oktober 2025 erstmalig in Rosenheim anbieten. Dabei werden sowohl die Hintergründe beleuchtet als auch konkrete Handlungsempfehlungen für den Umgang mit geäußerten Todeswünschen gegeben. Dazu gehört die Selbstreflexion (was es in einem selbst auslöst, wenn man von Todeswünschen erfährt) und ein Exkurs zum Thema Angst. Außerdem werden die rechtlichen Aspekte behandelt und die Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu § 217 StGB vom 26.02.2020 vorgestellt.
Die Schulung beginnt um 17 Uhr im Malteserhaus in Rosenheim, Rathausstraße 25, und dauert etwa drei Stunden. Es fallen keine Kursgebühren an, aber eine Anmeldung bis zum 13.10.2025 ist erforderlich.
Weitere Informationen sowie Anmeldung zur Schulung oder für einen Gesprächstermin gibt es telefonisch (Montag, Dienstag) unter der Nummer 08031 - 80 957–255 oder 0170 - 96 62 527, per Mail an claudia.hanrieder@malteser.org oder über die Webseite www.malteser-rosenheim.de. Das Projekt wird unterstützt durch den Erzbischöflichen Hospiz- und Palliativfonds.
Diese Verhaltensweisen können Warnsignale für Suizidpläne sein:
- Äußerungen über Suizid, Sterben, Selbstschädigung und Aussprüche wie „Wäre ich doch nie geboren“ oder „Es wäre besser, ich wäre tot“, „Es macht doch alles keinen Sinn mehr“
- Hoffnungslosigkeit; das Gefühl, in einer Falle zu stecken, ohne Aussicht auf irgendeine Besserung der scheinbar ausweglosen Situation
- Gefühle von Wertlosigkeit, Schuld oder Scham; das Gefühl, für die Umwelt eine Last zu sein; Selbsthass
- gedankliche Fixierung auf den Tod, Sterben oder Gewalt (als Ausweg aus der Situation)
- zunehmende soziale Isolation
- selbstschädigendes Verhalten mit vermehrtem Alkohol- und Drogenkonsum
- rücksichtsloses Autofahren, unnötige Risikobereitschaft
- Suche nach Suizidmitteln
- Ungewöhnliches Ordnen persönlicher Angelegenheiten, Verfassen eines Testaments, Regeln familiärer Angelegenheiten und das Verschenken wertvoller Dinge
- Unerwartetes Abschiednehmen von Freunden und Familienmitgliedern, als gäbe es kein Wiedersehen
- plötzlicher Gefühlszustand der Ruhe und des Glücks nach extremer Depressivität (als Hinweis auf den Entschluss der Person, Suizid begehen zu wollen)
Wichtig ist, dass ein Anzeichen allein noch nicht bedeuten muss, dass man auch suizidgefährdet ist. Es kommt immer auf den individuellen Einzelfall und den Gesamtkontext an.
INFO für akute Krisen:
- Krisendienst Bayern - jederzeit kostenlos erreichbar unter 0800 655 3000
- Telefonseelsorge - jederzeit kostenlos erreichbar unter 116 123
- 0800 111 0111 (evang.)
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