Ein Gespräch mit Ruth Heuckenkamp
Ruth Heuckenkamp begleitet seit über zehn Jahren Familien, in denen ein schwerkrankes Kind lebt. Die gebürtige Planeggerin ist klassische Homöopathin und hat viele Jahre in der internistischen Praxis ihres Mannes mitgearbeitet. Heute ist sie Großmutter und
freut sich auf ihr fünftes Enkelkind. Sie lebt mit ihrem Mann und dem Familienhund in Gräfelfing. Abschied nehmen von einem geliebten Menschen und mit dem Verlust zurechtkommen, hat Ruth Heuckenkamp schon früh erlebt. Zwei ihrer fünf Kinder sind
gestorben. Der Tod einer Tochter im Kindesalter und des älteren Sohnes vor sechs Jahren hat die ganze Familie in ihren Grundfesten erschüttert. Was bewegt Ruth Heuckenkamp, sich heute für Familien mit einem schwerkranken Kind zu engagieren?
Warum haben Sie sich für eine Ausbildung zur Hospizhelferin für Kinder entschieden?
Ich wollte schon immer lieber mit Familien arbeiten und für Eltern in ihrem Kummer da sein. Eltern von
einem kranken Kind sind oft sehr dankbar, wenn sie Hilfe bekommen. Seit über zehn Jahren bin ich in
einer Begleitung und unterstütze Familien, mal mehr und mal weniger intensiv.
Wie kommen die Familien zu Begleitungen durch Hospizhelfer?
Meistens geht es über Ärzte, sie kennen die Arbeit der Hospizdienste. Wenn die kranken Kinder ins Krankenhaus
kommen, brauchen vor allem auch die Geschwisterkinder Unterstützung. Die kranken Kinder sind
meist sehr gut versorgt.
Wie sieht eine Begleitung aus? Was sind Ihre Rollen und Aufgaben in der betroffenen Familie?
Ich begleite seit vier Jahren eine Familie mit zwei Kindern in Geretsried. Die jüngere Tochter leidet an einer
unheilbaren Krankheit und muss zuhause rund um die Uhr von einer Intensivschwester überwacht werden.
Ich nehme mir Zeit für die ältere Schwester und auch für die Mutter.
Wie sieht das konkret aus?
Manchmal machen wir einen Ausflug oder gehen in ein Café. Durch die Krankheit der Schwester erscheint
sie reifer als Kinder in ihrem Alter. Zu ihrem 13. Geburtstag war ich kürzlich mit ihr beim Bummeln
in einem Kaufhaus. Wir haben uns viel Zeit gelassen und so konnte sie in aller Ruhe alles anprobieren,
was ihr gefallen hat.
Hospizhelfer sind in erster Linie für die Geschwister Kinder da? Warum?
Die Mutter ist Tag und Nacht am Bett der kranken Tochter. Sie kann die Geräte so gut bedienen, wie eine
der Intensivschwestern. Auch mit den Gedanken ist die Mutter immer bei ihrem kranken Kind. Die Mutter
ist aber auch immer in großer Sorge, dass dem gesunden Kind etwas zustößt. Der Vater kümmert sich so
gut er kann auch um die ältere, gesunde Tochter und fährt auch mal mit ihr allein in Urlaub. Ich habe bisher
immer die Geschwisterkinder begleitet. Sie kommen auch bei aller Liebe der Eltern oft zu kurz. Sie nehmen
sich zurück und wollen den Eltern zudem keine weiteren Sorgen bereiten.
Rücksicht ist ein großes Thema in betroffenen Familien. Und wenn das kranke Kind stirbt?
Kinder sind stärker beim Sterben als Erwachsene und können Kraft geben. Viele Kinder sterben, wenn die
Eltern nicht im Raum sind, z.B. wenn die Mutter rausgeschickt wird um nach dem Lieblingsstofftier zu suchen.
Sie spüren viel und wollen es den Eltern leichter machen.
Und wie können Familien unterstützt werden, wenn ein Kind gestorben ist?
Das kann man so nicht allgemein sagen. Letztlich ist es jedes Mal anders, weil die Menschen ja auch individuell
sehr verschieden sind. Aber der Schmerz und das Leid (in der betroffenen Familie) kommen auf
jeden Fall – früher oder später. Dann muss jemand da sein und den Familien helfen. Da kann auch die eigene
Erfahrung helfen. Aber es ist nicht mein Schmerz. Das kann ich meistens von mir weghalten.
Fällt es Ihnen schwer, da die richtige Balance von Distanz und Nähe zu finden?
Mein Mitgefühl für die Eltern und die Familie ist groß und der Kummer sehr nachvollziehbar. Meine Gedanken
sind oft bei ihnen, haben mich aber bisher nicht aus dem Gleichgewicht gebracht. Auch die Beziehung der Eltern wird auf eine Probe gestellt. Viele Paare schaffen es nicht, diese Situation zu meistern. In meiner aktuellen Begleitung sind die Eltern die große Ausnahme. Sie gehen sehr liebevoll miteinander um. Ich habe in meinen Begleitungen auch erlebt, wie Paare sich getrennt haben. Vor einigen Jahren habe ich eine Familie begleitet mit vier Kindern. Das Jüngste war an Krebs erkrankt. Während dieser Zeit hat die Mutter festgestellt, dass mit ihrem Mann etwas nicht stimmt. Aber erst nach der schweren Diagnose des Kindes hat sie gemerkt, dass ihr Mann auch krank ist. Die Mutter fühlte sich mit ihren Problemen allein gelassen und stand alleine mit vier Kindern und einem schwerkranken Kind da.
Da habe ich mich schon gefragt, warum diese junge Frau so ein schweres Schicksal hat.
Eine Begleitung geht oft über viele Jahre und kann bereichernd und belastend zugleich sein. Wie werden sie vorbereitet und unterstützt?
Die Ausbildung bei den Maltesern finde ich sehr gut. Sie geht über mehrere Monate und ist sehr intensiv. Auch hinterher gibt es Praxisaustausch und Betreuung. Wir treffen uns einmal im Monat. Und hier kann
jeder von seiner Warte aus berichten, was er so erlebt hat und wo es nicht weitergeht. Da muss man manchmal
dann auch eine Grenze ziehen. Wenn es mal etwas ganz Extremes gibt, kann man auch immer einen externen
geschulten Supervisor dazuholen.
Wie reagiert die Umwelt / Ihre eigene Familie?
Meine Kinder und mein Mann haben mich immer unterstützt und es gut gefunden, dass ich mich hier engagiere.
Vielen Dank für das Gespräch!