Ich bin 41 Jahre alt und arbeite ehrenamtlich für die Malteser. Durch meine christliche Erziehung bin ich schon früh mit diesem Thema in Verbindung gekommen. Ich besuchte oft kranke Menschen und unterstützte musikalisch Trauerfeiern. Der Gedanke, dass viele Menschen Hilfe benötigen, verstärkte sich für mich in den letzten Jahren. Ich hatte in der Zeitung von der Arbeit der Malteser gelesen und kurze Zeit später schon meine erste Begegnung dort gehabt. Ich wurde mit solch einer Freude und Herzlichkeit empfangen, dass ich mich sofort wohlgefühlt habe. Mir wurden verschiedene ehrenamtliche Tätigkeiten vorgestellt. Die Trauer- und Sterbebegleitung hatte mein Interesse geweckt und ich bin mit einem Strahlen im Gesicht aus dem ersten Kennenlerngespräch gegangen. Auf dem Heimweg im Auto lief im Radio ein Bericht über genau diese Tätigkeit. Dieser Zufall, der vielleicht gar kein Zufall war, hat mich sehr berührt und ich wusste noch einmal mehr, dass es mein Weg ist. Nach einem weiteren Treffen startete bereits der Grundkurs für mein Ehrenamt als Sterbebegleiterin. Dieser erstreckt sich über sieben Monate und umfasst Praktikum und Praxisbegleitung sowie einen Vertiefungskurs. Besonders interessant sind die verschiedenen Charaktere, die in diesem Kurs aufeinandergetroffen sind. Ich habe mich immer auf die Treffen gefreut. Eine Zeit der Selbstreflexion, Weiterentwicklung, Erkenntnisse und vieler wertvoller Gedanken. Eine rücksichtsvolle und herzliche Teamleitung wurde uns geboten. Alle Fragen wurden beantwortet und „Self Care“ wird hier großgeschrieben. Schon jetzt wusste ich, dass das Thema Trauer- und Sterbebegleitung nicht nur traurig ist, sondern eine sehr positive Aufgabe.
Vor meiner ersten Begleitung fühlte ich alles auf einmal: Aufregung, Respekt, Unsicherheit, Neugier und Vorfreude. Ich wurde natürlich von dem Malteser Team begleitet. Wir hatten uns vor einem Pflegeheim getroffen, in Ruhe Gedanken ausgetauscht und meine noch offenen Fragen wurden beantwortet. Die Dame, die wir zunächst gemeinsam besuchten, hatte das stolze Alter von 99 Jahren erreicht. Sie lag im Bett, war schwach, hatte Schmerzmittel bekommen und war nicht mehr in der Lage zu sprechen. An der Wand hingen Bilder von den Kindern und Enkeln. Wir stellten uns leise vor und sprachen mit ihr. Es blieb bei einem einseitigen Gespräch, jedoch gab es so viel Gestik und Mimik zu beobachten und dies zu deuten. Es lag viel Ausdruck darin. Wir spürten gemeinsam den Zeitpunkt, uns zu verabschieden. Es war toll, dass mir im Anschluss wieder ein gemeinsames Gespräch geboten wurde und ich meine Empfindungen und Anliegen besprechen konnte. Es war ein positives Erlebnis und ich bin sehr dankbar dafür. Der Kurs hat mich gut vorbereitet und ich war bereit, das nächste Treffen allein zu begehen. Bei unserer zweiten Begegnung war der Zustand der alten Dame ähnlich. Zu jeder Begegnung brachte ich Blumen mit, was sie auch wahrgenommen hatte. Ich erzählte ihr viel und konnte sogar erleben, wie sie ihre Augen geöffnet hat. Ihre Gesichtsausdrücke waren sehr verschieden, von angestrengt bis entspannt. Genau erinnere ich mich an meinen Besuch am 11. Mai dieses Jahres. Ich hatte mir etwas zum Vorlesen mitgebracht, das zum Muttertag passte. Währenddessen schaute sie mich öfter an und nickte. Ich hielt und streichelte vorsichtig ihre Hand und befeuchtete mit Wasser ihre Lippen. Das tat ihr gut und wir hatten im Kurs gelernt, wie wichtig diese Zuwendung sein kann.
Zusehends wurde ihr Zustand schlechter. Ihr Körper wies blaue Flecken auf. Sie konnte keine Nahrung mehr zu sich nehmen und die Gesichtszüge wurden spitzer und veränderten sich. Ich war zweimal pro Woche bei ihr. Wir hörten zusammen Musik. Ich hatte Titel aus ihrer Jugendzeit ausgesucht. Wir hatten eine schöne Verbindung, auch wenn nur ich redete. Körpersprache kann so viel aussagen. Zufällig habe ich erfahren, dass wir am gleichen Tag Geburtstag haben. Eine schöne Verbindung. Ich fand es sehr schön, dass ich bei meinem nächsten Besuch zufällig auf ihren Sohn traf. Wir konnten uns kennenlernen, austauschen und ich konnte noch einiges aus dem Leben seiner Mutter erfahren. Ich hatte noch einige Momente allein mit ihr und trotz ihres schlechten Zustandes gab es einige Rückmeldungen durch Blicke und das Drücken meiner Hand. Mir ist das Losgehen immer schwerer gefallen. Ich wusste, dass der Zustand nicht mehr so viel Lebenszeit zulässt. Vier Tage später, an einem Sonntag, meldete ich mich im Pflegeheim an. Dort angekommen, wurde ich persönlich zum Zimmer gebracht. Sie war am Vortag verstorben. Ich konnte mich in Ruhe allein verabschieden. Wir saßen ein letztes Mal zusammen. Wie immer habe ich ihre Hand gehalten. Es sind Tränen geflossen. Ich bin dankbar für unsere gemeinsame Zeit. Sie hatte sich auf ihren neuen Weg gemacht.
Dieses besondere Ehrenamt bringt so viele wichtige Aspekte mit sich. Man unterstützt, entwickelt sich weiter, hat soziale Kontakte bis hin zur eigenen Selbsterfüllung. Ich freue mich auf meine nächste Begleitung.