Dossier: Wege aus der Sucht

Anfangen, wo andere aufhören

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Malteser Werke

Viele Jugendliche in Deutschland sammeln Erfahrungen mit Drogen. Und nicht alle schaffen es, vor der Grenze zur Sucht halt zu machen. So sind fast zehn Prozent der Alkoholabhängigen in Deutschland erst zwischen 12 und 25 Jahre alt. Fast 6.000 dieser Altersgruppe kamen 2021 als Drogen-Notfälle ins Krankenhaus. Nach Entzug clean zu bleiben, gelingt nur etwa jedem Fünften.

Das Auxilium der Malteser hat eine bessere Quote. Wir lassen einen ehemaligen Bewohner über seinen Weg aus der Sucht zu Wort kommen, geben Infos zu Hilfen für Betroffene und Tipps zum Umgang mit Drogenfällen im Freundeskreis.



Die „glorreichen Sieben“

Schnell fanden sich Ende der 1990er-Jahre sieben Freunde zusammen, die es brauchte, um jungen Menschen mit kritischem Suchtmittelkonsum weiterhin eine ausreichende stationäre Behandlung zu ermöglichen. Denn der Gesetzgeber hatte gerade gravierende Einschränkungen erlassen.

Diese „glorreichen Sieben“ fanden in Hamm eine Immobilie mit Potenzial und Charme, verhandelten mit dem Jugendamt, sammelten im Kollegenkreis Startkapital ein und gründeten am 1. August 1998 als Dach des Ganzen den Verein „Auxilium Hamm“, der inzwischen seinen Weg zu den Maltesern gefunden hat.

Immer ein offenes Ohr

„Ich habe mich hier immer sicher und geborgen gefühlt“, erinnert sich Eva, eine ehemalige Bewohnerin des Auxiliums, im Gespräch mit Einrichtungsleiter Markus Melis. Aus dem Süden Deutschlands ist sie im vergangenen Jahr zur Feier des 25-jährigen Bestehens angereist. Was hat ihr besonders geholfen in dieser für sie nicht leichten Zeit? „Die Nächte waren nicht so mein Ding“, bekennt sie offen. „Dann waren die Gespräche mit der Nachtwache für mich immer sehr wohltuend und hilfreich. Ich habe immer ein offenes Ohr gefunden.“

 

Leben ohne Drogen ist möglich

Zwischen 15 und 25 Jahre sind die jungen Menschen alt, die nach klinischem Entzug und medizinischer Rehabilitation ins Auxilium mit seinen 43 Behandlungsplätzen kommen. Viele von ihnen stammen aus zerrütteten Familien, haben Heimkarrieren hinter sich, sind straffällig geworden. Im ersten Schritt geht es nun darum, in eine feste Tagesstruktur zu kommen, Regeln und Absprachen einzuhalten und die Freizeit sinnvoll zu gestalten. Die zweite Phase erweitert in einer Wohngruppe die persönlichen Freiräume und verlangt mehr Selbstständigkeit. In der dritten Phase trainieren die jungen Erwachsenen das Leben in einer eigenen, vom Auxilium gemieteten Wohnung, bevor sie dann nach insgesamt zweieinhalb bis drei Jahren, ganz auf sich selbst gestellt, in eigene vier Wände ziehen.

Auf Augenhöhe

„Wer bei uns das Programm bis zum Ende durchläuft, und das sind in etwa die Hälfte, kommt nachher auch im Leben klar“, weiß Markus Melis. Und auch dann reißt der Kontakt oft nicht ganz ab. Was den Jugendlichen entscheidend hilft – und „Auxilium“ steht im Lateinischen ja für Hilfe –, findet zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern und ihren persönlichen therapeutischen Bezugspersonen statt. „Unsere jungen Leute brauchen Nähe, Verständnis, Beziehung auf Augenhöhe und verlässliche Beziehungsangebote. Dinge, die sie in ihrem Bezugskreis während der exzessiven Suchtjahre teilweise verloren haben und erst wieder aufbauen müssen“, beschreibt Melis, wofür die Arbeit und das Verständnis von Verantwortung aller im Auxilium stehen. „Wo andere aufhören, fangen wir an.“


„Ich war völlig am Ende“

Karl * war früh drogenabhängig, hat als Dealer gelebt, ist brutal abgestürzt und dann ins Auxilium gekommen. Vor fünf Jahren hat es der heute 28-Jährige verlassen und ist seitdem clean.
* Name von der Redaktion geändert

Wann haben Sie mit Drogen angefangen?
Mit zwölf Jahren habe ich in der Punkszene angefangen, mal eine Zigarette zu rauchen. Alkohol gehörte dazu. Mit vierzehn hat jemand mit mir gekifft. Mit sechzehn hatte ich alles ausprobiert und war abhängig vom Alkohol. Dann meinte jemand, er könne mir mehr Zeug geben, und ich könnte Geld damit verdienen.

Wie ist das, ohne Drogen nicht mehr leben zu können?
Es ist, als würde man in ein tiefes Loch fallen. Ein Ohnmachtsgefühl. Statt selbst zu entscheiden, sagt die kleine Stimme im Kopf, was man tun muss.

Wie sind sie da rausgekommen?
Als ich körperlich, geistig und finanziell völlig am Ende war, ist überraschend mein Vater erschienen, hat die Schulden bezahlt und gesagt: „Entweder, du änderst jetzt dein komplettes Leben oder du hast keine Familie mehr.“ Das war das Allerbeste, was mir passieren konnte. Ab da habe ich gesagt: Okay, das ziehe ich jetzt durch.

Was sagen Sie jungen Leuten, die schon abhängig sind?
Kopf hoch, es gibt immer einen Ausweg, man kann immer eine Entscheidung treffen. Und wenn es mal nicht funktioniert, trotzdem weitermachen!

Und denen, die vielleicht anfällig dafür sind?
Was hast du davon, wenn du dir in der Disco die Kante gibst, statt einen schönen Abend mit Freunden zu verbringen? Achte auf deine Gefühle und was du wirklich brauchst! Sieh dir die Junkies am Bahnhof an: Es dauert vielleicht ein Jahr, und da kannst genau du sitzen und dir Heroin drücken. Es geht wirklich ganz schnell.


Drogensucht: Wie kann ich Betroffenen in meinem Umfeld helfen?

  • Offen die eigenen Beobachtungen und Sorgen im nüchternen Zustand ansprechen – am besten unter vier Augen.
  • Vorwürfe oder Erwartungen vermeiden: „Wie kannst du …“, „Du musst jetzt aber …“.
  • Das Interesse an der Person und nicht an den Problemen in den Vordergrund stellen.
  • Bei Meinungsverschiedenheiten sachlich und bei den Fakten bleiben.
  • Auf Hilfsmöglichkeiten – eventuell behutsam – aufmerksam machen.
  • Wenn sinnvoll, Begleitung zur Drogenberatungsstelle anbieten.

Infos und Beratung

Jugendliche und Drogen in Deutschland

  • Zehn Prozent der jungen Menschen zwischen 12 und 25 Jahren nehmen Alkohol in gesundheitlich riskanter Menge zu sich.
  • Gut vier Prozent in dieser Altersgruppe konsumieren regelmäßig Cannabis.
  • 5.755 junge Menschen unter 25 Jahren wurden 2021 als drogenbezogene nicht-tödliche Notfälle stationär ins Krankenhaus aufgenommen.
     

Das Auxilium

  • Therapeutische Facheinrichtung für Jugendliche und junge Erwachsene mit Suchtmittelabhängigkeit oder schädlichem Konsumverhalten
  • 43 Behandlungsplätze für junge Menschen zwischen 15 und 25 Jahre
  • 43 Mitarbeitende
  • Therapeutisches Phasenmodell, an mehreren Standorten in Hamm
  • www.malteser-auxilium.de