Hunger und Dürre in Afrika: Fragen an einen Experten

Jeder zehnte Mensch auf der Welt hungert. Besonders gefährdet sind neben kranken und alten Menschen vor allem kleine Kinder unter fünf Jahren sowie schwangere und stillende Frauen. Die Malteser engagieren sich unermüdlich im Kampf gegen den Hunger. Roland Hansen ist „Head of Africa Team“ von Malteser International. Er weiß, warum die Situation momentan besonders dramatisch ist – und wie wir helfen können.


Wo ist die Situation gerade besonders brisant?

Besonders schlimm ist es momentan in Afghanistan, im Jemen und vor allem in mehreren Ländern in Afrika, wie Kenia und dem Südsudan. Dabei hatte sich die Situation in den letzten zehn Jahren weltweit sogar etwas verbessert. Doch dann kam Corona. Seitdem steigt die Zahl der Menschen, die hungern, erneut.

Wie hat sich Corona konkret ausgewirkt?

Die scharfen Lockdowns führten vielerorts zu Arbeitslosigkeit, die Wirtschaft brach teilweise zusammen. Außerdem wurden die Hilfsgelder für die Hilfsorganisationen deutlich reduziert. Gelder wurden in Corona-Maßnahmen gesteckt statt in die Gesundheitsprogramme in den von Hunger betroffenen Ländern. Auch durch den Krieg in der Ukraine wurden und werden in hohem Maße Mittel aus der humanitären Hilfe abgezogen. Dadurch gibt es riesige Einschnitte in der Versorgung vor Ort. Und das hat fatale Auswirkungen: So gibt es in einigen Ländern etwa wieder mehr Tuberkulose-Fälle, weil Anti-Tuberkulose-Programmen das Geld fehlt. Das Problem: Wer krank ist, ist besonders gefährdet, an Hunger zu sterben. Die Dürre tut ihr Übriges dazu und treibt Menschen in den Hunger. Gerade in Afrika verschärft sich die Situation derzeit extrem.

Was passiert gerade in Afrika?

In Kenia ist die vierte Regenzeit in Folge fast komplett ausgeblieben und laut Meteorologen droht auch die fünfte unterdurchschnittlich auszufallen. Dazu kam eine extreme Hitzewelle. Die Wasserstellen trocknen aus – und darunter leiden Menschen und Tiere. Die Menschen leben von der nomadischen Viehzucht, die Kinder brauchen die Milch der Tiere, um zu überleben. Doch die Tiere sterben. Die Menschen kämpfen dort derzeit verzweifelt ums Überleben und sind auf Hilfe angewiesen. Die Situation ist dramatisch, so etwas haben wir noch nicht erlebt. Die Gefahr ist groß, dass es zu einer offiziell erklärten Hungersnot kommt.

Was ist eine Hungersnot?

Offiziell wird eine Hungersnot von den Vereinten Nationen oder der jeweiligen Regierung eines Landes erklärt und es müssen dafür bestimmte Kriterien erfüllt sein. Denn in Sachen Hunger wird zwischen fünf sogenannten „IPC-Phasen“ unterschieden (IPC = Integrated Food Security Phase Classification). Phase 1: minimal, Phase 2: strapaziert, Phase 3: Krise, Phase 4: Notsituation, Phase 5: Hungersnot. Für Phase 5, eine Hungersnot, müssen mindestens jedem fünften Haushalt nahezu vollständig Lebensmittel und/oder andere lebenswichtige Dinge wie Trinkwasser fehlen. Zahlreiche Menschen in der Region hungern, sind unterernährt und sterben – mindestens zwei Menschen pro 10.000 Einwohner pro Tag. Ein weiteres Kriterium für eine Hungersnot ist, dass mehr als 30 Prozent der Kinder unter fünf Jahren an akuter Mangelernährung leiden.

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Auch im Südsudan ist die Lage angespannt

Ja. Im Südsudan ist die Lage durch den langen Bürgerkrieg ohnehin seit vielen Jahren dramatisch. Dann kam die Dürre hinzu und vor drei Jahren noch eine große Flutkatastrophe, die zu immensen Überschwemmungen führte. Das Gebiet liegt so tief, dass das Wasser nicht ablaufen kann. An vielen Stellen steht es bis heute – die Flächen sind landwirtschaftlich nicht mehr nutzbar. 8,3 Millionen Menschen, also 75 Prozent der Bevölkerung, brauchen im Südsudan Nahrungsmittelhilfen. Zwei Millionen von ihnen akut, davon 1,3 Millionen Kinder unter fünf Jahren und 660.000 schwangere und stillende Mütter. Das sind alarmierende Zahlen. Zumal der Südsudan nochmal deutlich ärmer als Kenia ist und dort kein funktionierendes Gesundheitssystem existiert. Die Menschen sind komplett auf internationale Hilfe angewiesen.

Wie engagieren sich die Malteser in Afrika?

Gemeinsam mit Partnerorganisationen vor Ort bauen und reparieren wir zum Beispiel Brunnen, um die Wasserversorgung zu verbessern. Wir verteilen Lebensmittel wie Mais, Hirse und Weizen sowie Spezialnahrung für die Kinder. Wenn es vor Ort Märkte gibt, verteilen wir auch Bargeld. So können sich die Menschen gezielt das kaufen, was sie wirklich benötigen. Damit wenigstens ein Kernteil der Herden überlebt, versorgen wir die Landwirte mit Spezialfutter für ihre Tiere. Und wir versuchen, die Gesundheitssituation zu verbessern. Wir bauen etwa Geburtsstationen und bieten Trainings für Notgeburten mit Hebammen an. An Orten, an denen es weit bis zum nächsten Krankenhaus ist, stellen wir Ambulanzen zur Verfügung, um Schwangere und schwer Erkrankte die 100 Kilometer durch die Wüste zu fahren. Gerade leisten wir vor allem Nothilfe. Aber wir müssen jetzt schon überlegen, wie man die Menschen besser für die Zukunft wappnen kann. Zum Beispiel, indem wir mit ihnen Techniken entwickeln, wie sie selbst Regenwasser auffangen und speichern können. Es gibt unglaublich viele Ansatzpunkte. Aber wir bräuchten viel mehr Gelder, um allen helfen zu können.

Einsatz in Afrika

Malteser International ist in vielen Krisenregionen Afrikas aktiv. Neben der Nothilfe und dem Engagement in Sachen Wasser- und Gesundheitsversorgung werden etwa Schulgärten angelegt, Schulspeisungen angeboten und Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in guten Anbaumethoden geschult und mit Saatgut versorgt. Ganz neu ist das Projekt „One Health“, das die Wechselwirkungen zwischen der Gesundheit von Tier, Mensch und Umwelt berücksichtigt, um künftig Epidemien zu verhindern. Mehr zum Engagement der Malteser unter www.malteser-international.org.

Wie wichtig sind Spenden für Ihre Arbeit?

Ohne Spenden geht es nicht. Wir müssen die Regierungsmittel durch Spenden kofinanzieren, sonst kriegen wir kein Geld. Geld ist also tatsächlich das Einzige, was uns bei unserer Arbeit hilft. Jede Spende zählt und wird direkt in Hilfe umgesetzt. Wir haben überall Büros vor Ort. Dort arbeiten Vollprofis, die genau wissen, was wo zu tun ist und was gebraucht wird.

Wie können Menschen in Deutschland darüber hinaus helfen?

Neben Spenden: Für Aufmerksamkeit sorgen. Hilfe kommt oft zu spät, weil es keine Medienaufmerksamkeit gibt. Es muss immer erst die offizielle Erklärung der Hungersnot und damit die passenden dramatischen Bilder geben, bevor die Medien – und damit die Menschen – auf das Leid in Afrika aufmerksam werden. Aber das ist zu spät. Die Schwächsten sterben schon früher. Es ist wichtig, dass wir hinschauen, rechtzeitig helfen und die Organisationen vor Ort unterstützen. Dass wir früher die Zeichen von Krisen wahrnehmen. Denn Krisen sind meistens absehbar. Deshalb mein Appell: Hört uns zu. Den Hilfsorganisationen, den Institutionen, die Krisen berechnen, der UN. Lasst es gar nicht so weit kommen, dass jemand verhungern muss. Das sind wir den Menschen in Afrika schuldig.

Was meinen Sie mit: „Das sind wir den Menschen in Afrika schuldig“?

Die Industrienationen tragen mit Schuld an der Hungerkrise in Afrika. Schäden durch den Klimawandel, der Ukraine-Krieg – dafür können die Menschen dort nichts. Das haben wir verschuldet und wir müssen ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass wir das kompensieren müssen. Dazu gehört zum Beispiel auch, Rohstoffe, die aus Afrika kommen, und die etwa in unseren Handys verbaut werden, endlich angemessen zu bezahlen. Es braucht mehr als Entwicklungshilfe, es braucht Gerechtigkeit.

Ein Ziel der Welthungerhilfe: „Zero Hunger by 2030“ – ist das noch möglich?

Nein, das ist unmöglich. Dafür bräuchte es gigantische Summen – und die zu zahlen, dafür ist die Weltgemeinschaft leider nicht bereit.

Deine Spende hilft

Du möchtest angesichts des sich zuspitzenden Welthungers etwas unternehmen? Spende hier für die Malteser, um den Menschen in Afrika zu helfen.


#Hilfe weltweit

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