Alzheimer und wir: Wie die Krankheit eine Familie prägt

Die Diagnose Alzheimer ist für Betroffene immer ein Schock. Journalistin Peggy Elfmann hat als Angehörige einen Blog ins Leben gerufen, zur Verarbeitung der unheilbaren Krankheit ihrer Mutter. Wir haben mit ihr darüber gesprochen.

Was ist Alzheimer?

Alzheimer ist eine der häufigsten Formen von Demenz und betrifft Menschen eher im hohen Lebensalter. In Deutschland leben etwa 1,5 Millionen Menschen mit Demenz, zwei Drittel davon sind von Alzheimer betroffen. Durch den Abbau von Nervenzellen bewegen sich die Betroffenen immer tiefer in einen Nebel des Vergessens, was zunehmend das Wahrnehmungsvermögen und die Fähigkeiten im Alltag einschränkt. Die Forschung geht davon aus, dass Alzheimer nicht über Nacht kommt, sondern ein Prozess von etwa 30 Jahren sein kann, bevor die klassischen Symptome spürbar und sichtbar werden. Die Krankheit bleibt für Betroffene und Angehörige oft lange unbemerkt.

Mythos: Frauen sind häufiger von Alzheimer betroffen als Männer

Tatsächlich sind Frauen und Männer gleichermaßen anfällig für Alzheimer. Der Grund, warum mehr Alzheimererkrankte weiblich sind (sie machen etwa 70 Prozent aus), ist der Umstand, dass Frauen durchschnittlich sechs Jahre länger leben als Männer und sich die Krankheit in den meisten Fällen erst im hohen Alter zeigt.

Unermüdlich wird nach Therapien zur Heilung der Demenz-Krankheiten geforscht. Im Jahr 1906 entdeckte der deutsche Psychiater und Neurologe Alois Alzheimer (1864 -1915) die Ursache des pathologischen Vergessens. Bei der mikroskopischen Untersuchung des Gehirns einer verstorbenen Patientin, die zuvor an Gedächtnisverlust gelitten hatte, erkannte Alzheimer den flächigen Abbau von Nervenzellen und Eiweißablagerungen in der Hirnrinde. 1907 veröffentlichte der Mediziner seine Forschungsergebnisse; später wurde das Krankheitsbild nach ihm benannt.

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7 Stufen: Alzheimer frühzeitig erkennen

Der schleichende Prozess von Alzheimer zeigt sich laut Expertinnen und Experten in sieben Stufen:

  1. Normale Funktion – ohne Beeinträchtigungen
  2. Sehr leicht gemindertes Wahrnehmungsvermögen
  3. Leicht gemindertes Wahrnehmungsvermögen 
  4. Mäßig gemindertes Wahrnehmungsvermögen 
  5. Mittelschwer gemindertes Wahrnehmungsvermögen
  6. Schwerwiegend gemindertes Wahrnehmungsvermögen
  7. Sehr schwerwiegend gemindertes Wahrnehmungsvermögen

Wenn Sie bei sich oder Angehörigen eine Wahrnehmungsveränderung feststellen und den Verdacht haben, dass es Alzheimer sein könnte, lassen Sie sich oder die betroffene Person umgehend zur Abklärung von einer Neurologin oder einem Neurologen untersuchen. Auch wenn Alzheimer aktuell nicht heilbar ist, kann der Krankheitsverlauf medikamentös und nicht medikamentös verlangsamt werden. Eine frühe Diagnose ermöglicht eine längerfristig hohe Lebensqualität. 

Wichtig: Haben Sie keine Angst vor dem Besuch bei Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt. Wahrnehmungsveränderungen und Vergesslichkeit kann auch andere Ursachen haben. Manche der typischen Symptome treten zum Beispiel auf, wenn Sie nicht ausreichend Wasser getrunken haben.

Im Gespräch mit einer Angehörigen: Peggy Elfmann

Peggy ist dreifache Mutter, selbstständige Journalistin und Bloggerin. Gesundheit, Gesellschaft und Familie sind die Kernkompetenzen der Autorin. Im Sommer 2011 kam ungewollt das Thema Alzheimer in das Leben von Peggy, als ihre Mutter plötzlich die Diagnose erhielt. In ihrem Blog berichtet Peggy über den Umgang und das Leben mit der unheilbaren Krankheit, die den Alltag der gesamten Familie verändert hat. Vor einem Jahr entstand dann noch ein Podcast zum Thema.

Peggy: Wie war es für Sie damals, als die Diagnose Alzheimer gestellt wurde?

„Das war ein ziemlicher Schock für uns alle, weil meine Mutter gerade erst 55 Jahre alt war. Natürlich hatten wir bemerkt, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist, – ich war aber felsenfest der Meinung, dass sie einfach überarbeitet sei oder vielleicht ein Burnout haben könnte. Zudem war mir auch gar nicht klar, dass Alzheimer oder Demenz in so einem jungen Alter schon aufkommen kann. Ich hatte mich zuvor noch nicht ernsthafter mit dem Thema beschäftigt, weil es einfach kein Thema war. Natürlich wussten wir, dass es die Krankheiten gibt, aber für mich waren das immer Senioren-Krankheiten, was uns in der Familie so noch nicht betraf. Die Diagnose hat die gesamte Familie seelisch einmal durchgeschüttelt.“

Welche Anzeichen gab es vor der Diagnose?

„Meine Mama war Sport- und Erdkundelehrerin. Sie war auch in ihrer Freizeit immer sehr sportlich und ist gerne gejoggt, aber auch gewandert und geschwommen. Sie war immer sehr leistungsfähig und ein fröhlicher, offener Mensch. Irgendwann war uns aufgefallen, dass sie länger für Unterrichtsvorbereitungen brauchte. Zudem zog sie sich plötzlich mehr zurück. Vergesslichkeit in dem Maße, dass Sie einen Namen vergisst oder Ähnliches, hatte sich noch nicht gezeigt. Das sind ja immer so typische Symptome, an die man im Zusammenhang mit Demenz oder Alzheimer denkt – aber so etwas war uns nicht aufgefallen. Wenn ich jetzt jedoch zurückdenke, war vor allem ihr sozialer Rückzug auffällig. Das wird ja anfangs auch häufig mit einer Depression verwechselt. Dann bemerkten wir zunehmend ihre Orientierungsschwierigkeiten. Sie hatte generell mehr Probleme bei komplexen Dingen.“

Wie geht es Ihrer Mutter heute?

„Meine Mutter lebt nun zehn Jahre mit der Krankheit und hat den überwiegenden Teil sehr gut damit zugebracht. Sie konnte auch immer noch sehr viel selbst erledigen. Seit etwa zwei Jahren benötigt sie nun sehr viel Unterstützung im Alltag.“

Wie war das damals für Sie, nach der Diagnose?

„Ich hatte damals in der ersten Überforderung zunächst einmal viel über Alzheimer gelesen und bekam Angst, dass meine Mutter ganz schnell hilflos wird, auch wegen der Bilder, die man im Bezug mit der Krankheit sieht. Die Berichte im Internet ließen außerdem meine Befürchtung wachsen, dass die Krankheit aufgrund der Diagnose in jüngeren Jahren besonders schnell voranschreiten könnte.“

So wie Peggy geht es übrigens vielen. Daher empfehlen wir, immer direkt einen professionellen ärztlichen Rat einzuholen, statt nur auf die Schilderungen im Internet zu vertrauen.

„Aber die Horrorvorstellung, dass alles ganz schnell vorbei sein könnte, hat sich Gott sei Dank nicht bewahrheitet“, erklärt Peggy sichtlich erleichtert. „Wir haben einen positiven Umgang mit Alzheimer gefunden und leben gut damit. Es ist wichtig zu erkennen, dass das Leben mit der Krankheit nicht so furchterregend ist, wie man zunächst annimmt.“

Hat sich der Umgang mit der Krankheit in den vergangenen zehn Jahren verändert?

„Unbedingt! Wenn ich bedenke, wie wir nach der Diagnose dasaßen – alle weinend, hilflos und auch ängstlich. Heute gibt es auch Probleme und schwierige Themen, aber diese Angst ist nicht mehr da. Obwohl meine Mutter inzwischen seit etwa zwei Jahren nicht mehr wirklich spricht, erkenne ich ihre Freude in den Augen, wenn ich da bin – ihre Augen leuchten dann richtig. Das habe ich früher nie so wahrgenommen. Damals hatte sie mich mit Worten begrüßt und in den Arm genommen. Aber dieses Leuchten in den Augen ist so intensiv und bedeutet mir sehr viel.“

Sie sind Mutter von drei Kindern. Wie sind die Begegnungen mit der Oma heute?

„Eigentlich kennen meine Kinder die Oma kaum anders, die älteste ist heute fast 13 Jahre alt. Jedes Kind geht anders auf die Oma zu, aber alle drei versuchen ihr immer etwas Gutes zu tun. Sie streicheln ihr den Nacken oder singen auch mal etwas vor. Weil die Rückmeldung nicht immer da ist, findet die Kleine etwas weniger Zugang, aber die größeren sind da sehr entspannt und zugewandt. Für meine Mama ist es aber spürbar schön, wenn die Kinder da sind.“

Sie schreiben einen Blog. Ist das ein Familienprojekt?

„Nein, den Blog schreibe ich allein, weil ich leider zu spät auf die Idee gekommen bin. Hätte ich früher begonnen, wäre meine Mutter sicherlich mit Begeisterung dabei gewesen. Ihr Blickwinkel über Alzheimer wäre sicher aufschlussreich gewesen, jetzt schreibe ich über meine Erfahrungen als Angehörige und hoffe, anderen Angehörigen damit eine Hilfestellung geben zu können. Ich bin mir sicher, dass meine Mutter das begrüßen würde, wenn Sie könnte. Sie war immer ein sehr hilfsbereiter Mensch und hat sich für andere eingesetzt, wenn auch etwas stiller als mit einem Blog. Ich habe die Idee aber mit meinem Bruder und meinem Vater besprochen, weil es auch ihre Geschichte ist, selbst wenn ich die zwei im Blog nicht erwähne.“

Bei der Bildauswahl geht Peggy mit viel Bedacht vor: „Ich achte sehr darauf, wie meine Mutter auf den Bildern ausschaut, weil ich dem Negativbild in der Gesellschaft entgegenwirken möchte. Auch wenn Alzheimer zunächst ein Schreckgespenst ist, gibt es auch viele glückliche Momente, die jede und jeder Betroffene und Angehörige genießen sollte.“ 

Der Blog: Aufarbeitung, Therapie und Hilfestellung für Angehörige

Peggy möchte mit dem Blog „Alzheimer und wir“ ein breites Spektrum im Umgang mit der Krankheit abbilden, um zu dokumentieren, wie sich das Leben in der Familie trotz Alzheimer weiterdreht. „Mir war es von Anfang an ein Bedürfnis, zu zeigen, wie es wirklich ist. Dazu gehört auch, dass das Leben mit Alzheimer manchmal schrecklich ist und schlimm, dass man viel vergisst und auch mal hilflos sein kann. Aber es gibt auch so viele schöne Momente, die entstehen können oder sich entwickeln, an denen man wachsen kann“, erzählt Peggy strahlend und ergänzt: „Meine Mama lacht noch immer sehr viel und vielleicht sogar mehr als früher. Wir genießen jeden Moment zusammen!“ Mit dem Blog möchte Peggy kein klassischer Ratgeber sein, der allgemeine Informationen über Alzheimer und Demenz weitergibt. Der Blog soll stattdessen nahbar sein: „Ich möchte der gesamten Thematik echtes Leben einhauchen, um auch die Angst vor dem Schreckensgespenst zu nehmen!“ Peggy hatte nach der Diagnose selbst nach Hilfestellungen gesucht und konnte mit vielen Angeboten nichts anfangen. Mit dem Blog möchte die Journalistin einen neuen Ansatz anbieten und Angehörigen mit ihrer eigenen Erfahrung eine Hilfestellung geben. Dazu ist jetzt auch ihr erstes Buch erschienen.

Briefe für Mama: Was Peggy gern noch alles mit ihrer Mutter besprochen hätte

Briefe statt Tagebuch: Mit dem Gedächtnis ging auch die Sprache und damit die Möglichkeit für gute Mutter-Tochter-Gespräche. Doch davon ließ sich Peggy nicht abhalten und begann Briefe zu schreiben, weil sie noch so viel zu besprechen hatte. Mit einer Reihe der „Briefe für Mama“, die auf dem Blog veröffentlicht wurden, hat sie einen sehr schönen Weg gefunden, uns an das bewegende Thema und ihren Umgang damit heranzuführen. 

Tipp: Lassen Sie sich von der Idee des Schreibens inspirieren, um Ihre ganz eigenen Antworten zu finden. Schreiben ist Therapie und hilft uns, mit schwierigen Dingen umzugehen.  

Leben, Lieben, Pflegen: Ein Podcast, der bewegt

Peggy hat nun auch einen Podcast! Wer also nicht nur lesen, sondern auch etwas hören möchte, kann sich nun über den Podcast „Leben, Lieben, Pflegen – Der Podcast zu Demenz und Familie“ informieren. Peggy Elfmann hat den Podcast gemeinsam mit Anja Kälin und Isabel Hartmann von Desideria Care e. V. entwickelt und über bewegende Themen rund um Demenz spricht. Ihr Ziel: Anderen Familien mit Demenz Mut machen und Möglichkeiten aufzeigen für diesen Weg mit der Krankheit.


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