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So engagieren sich die Malteser, um Armut zu lindern

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Amelie Niederbuchner
Die Malteser unterhalten verschiedene Lebensmittelservices, um Armutsbetroffene zu unterstützen.

Die Tafel der Malteser ist eine Institution im bayerischen Trostberg. Dreimal pro Woche können bedürftige Menschen sich im Tafelladen mit Dingen des täglichen Bedarfs versorgen. Und das schon seit 20 Jahren. Vor 15 Jahren ist eine Kindertafel an der Grundschule Trostberg hinzugekommen, die Frühstück und ein Pausenbrot für bedürftige Schülerinnen und Schüler anbietet. Eine Tiertafel mit Produkten für Haustiere und ein Lieferdienst für Tafelnutzer mit gesundheitlichen Einschränkungen runden das Angebot ab. Ulrike Bergmann-Fritz war von Anfang an als Leiterin dabei, seit 2016 ist sie hauptamtlich an Bord. Über das 20. Jubiläum kann sie sich aber nur bedingt freuen. „Eigentlich ist es traurig, dass es uns noch gibt“, sagt sie. „Aber leider ist die Tafel notwendiger denn je.“

Warum, zeigt ein Blick auf die Nutzerzahlen. Bis auf wenige Spitzen kamen jahrelang rund 250 Menschen pro Woche. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs sind es 400, Tendenz steigend. Neben Geflüchteten benötigen immer mehr einheimische Familien, die mit ihrem Einkommen bisher gut auskamen, die Unterstützung der Tafel. Auch die Zahl der Ruheständler unter den Nutzern steigt stetig an. In dieser Gruppe gäbe es sogar noch mehr Bedürftige, meint Ulrike Bergmann-Fritz. „Aber den Gang zur Tafel finden gerade ältere Menschen sehr beschämend.“

Mehr Not, weniger Spenden

Konstant so viele Menschen zu versorgen, ist eine Herausforderung für das Tafelteam. Auch, weil den steigenden Nutzerzahlen sinkende Lebensmittelspenden gegenüberstehen. Viele Geschäfte verkaufen Produkte, die sie früher gespendet hätten, heute als besonders günstige Angebote. Hamsterkäufe und Lieferengpässe verknappen das Spendenaufkommen weiter. Noch problematischer ist der Mitarbeitermangel bei der Tafel. Damit alles rundläuft, müssen rund 70 aktive Freiwillige am Start sein. Sie holen die Spenden bei teilnehmenden Läden in der Umgebung ab, sorgen dafür, dass alles ordnungsgemäß gelagert wird und geben die Produkte an die Tafelbesucher aus. Die notwendige Mitarbeiterzahl ist derzeit schwer zu halten. „Viele Menschen können sich ein Ehrenamt nicht mehr leisten“, schildert Ulrike Bergmann-Fritz. Auch Corona wirft weiter Schatten: Manche Freiwillige haben aus Angst vor Ansteckung ihr Ehrenamt beendet. Andere, die während der Pandemie Zeit für ein Engagement hatten, stecken nun wieder im Studien- und Arbeitsalltag.

„Niemand ist freiwillig arm. Und auch wer arm ist, hat Würde.“

Ulrike Bergmann-Fritz, Leiterin der Trostberger Tafel

Das Tafelteam begegnet diesen Schwierigkeiten mit noch mehr Engagement. Um Spenden bewirbt sich Leiterin Bergmann-Fritz beispielsweise auch über den Bundesverband der deutschen Tafeln. Dazu müssen immer wieder Konzepte erstellt werden, die den Verband und potenzielle Spender überzeugen. Ein größerer Aufwand, der sich aber lohnt. „In diesem Jahr können wir so zum Beispiel Warengutscheine als Weihnachtsgeschenk für unsere Nutzerinnen und Nutzer finanzieren“, erzählt Ulrike Bergmann-Fritz. Die Netzwerkarbeit mit lokalen Partnern hat sie weiter intensiviert. Und auch in den sozialen Medien und in der Tageszeitung ist die Trostberger Tafel sehr präsent. Das hilft, um mehr Unterstützung zu bekommen, aber auch beim Ausräumen von Vorurteilen. „Es kommt leider immer wieder vor, dass Menschen, die die Tafel nutzen, als Schmarotzer beschimpft werden“, sagt Ulrike Bergmann-Fritz. „Dagegen beziehen wir ganz klar Stellung. Niemand ist freiwillig arm. Und auch wer arm ist, hat Würde.“

 


Viermal pro Woche sammeln Freiwillige des Tafelteams Spenden ein. Unten
Amelie Niederbuchner
Viermal pro Woche sammeln Freiwillige des Tafelteams Spenden ein. Unten
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Konstant so viele Menschen zu versorgen, ist eine Herausforderung für das Tafelteam. Auch, weil den steigenden Nutzerzahlen sinkende Lebensmittelspenden gegenüberstehen
Amelie Niederbuchner
Konstant so viele Menschen zu versorgen, ist eine Herausforderung für das Tafelteam. Auch, weil den steigenden Nutzerzahlen sinkende Lebensmittelspenden gegenüberstehen
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Ulrike Bergmann-Fritz wirbt mit kreativen Konzepten um Unterstützung.
Amelie Niederbuchner
Ulrike Bergmann-Fritz wirbt mit kreativen Konzepten um Unterstützung.
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9 Tafeln der Malteser versorgen bedürftige Menschen mit Lebensmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs.

30 Kleiderkammern der Malteser bieten Bedürftigen Kleidung für jede Jahreszeit.

10 Kältebusse der Malteser sorgen dafür, dass wohnungslose Menschen gut durch den Winter kommen.

28 Verpflegungsangebote unterhalten die Malteser für arme Menschen. Dazu gehören Suppentreffs, Mittagstische, Verpflegungsangebote für Kinder, ein Mahlzeitenservice und Lebensmittelpakete.

Mehr Informationen zur Arbeit der Malteser Tafeln und zu den Unterstützungsmöglichkeiten gibt es hier. 

Von Armut betroffen: „Immer auf Sparflamme leben macht krank“

Wenn Elvira Ferchland aus der Haustür kommt, wird sie oft schon erwartet: Die herrenlose Katze, die die 67-jährige Magdeburgerin versorgt und durch die sie auch andere Tierfreunde im Viertel kennengelernt hat, sitzt dann erwartungsvoll auf dem Weg. In letzter Zeit muss sie das Tier aber manchmal enttäuschen. „Ich kann mir das Katzenfutter einfach nicht mehr regelmäßig leisten“, sagt die Rentnerin. „Das tut mir unglaublich leid.“

„Für andere etwas auf die Beine zu stellen, macht mir einfach großen Spaß“

Elvira Ferchland ist es gewohnt, mit wenig Geld auszukommen. Ihre drei Kinder hat die Magdeburgerin überwiegend allein großgezogen. Mehrere schwere Erkrankungen haben ihre Erwerbsfähigkeit eingeschränkt. In den Jahren vor der Rente lebte Elvira Ferchland deshalb von Hartz IV. Trotz ihrer schwierigen Lage hat sie sich immer für andere engagiert. In ihrem Stadtteil ist sie schon seit Jahren in der Gemeinwesenarbeit und im Bürgerverein „Nord e. V.“ aktiv, engagiert sich im Rahmen der Partei Tierschutzallianz und arbeitet als Freiwillige im Besuchsdienst der Malteser mit. Auch eine Schulung zur Malteser E-Werk-Moderatorin hat sie absolviert. „Für andere etwas auf die Beine zu stellen, macht mir einfach großen Spaß“, sagt sie. Klar, dass sie auch bei der „Momente der Nähe“-Aktion der Malteser im November mitgemacht und Geschenketaschen für bedürftige Familien gepackt hat.

Wie es mit ihrem Engagement und ihrem Leben weitergeht, steht aber in den Sternen. In den letzten Monaten ist die wirtschaftliche Situation von Elvira Ferchland deutlich prekärer geworden. So prekär, dass sie sogar die Wohnung, in der sie seit 47 Jahren lebt, verlieren könnte. Eine Perspektive, die ihr große Sorgen macht. „Ich kenne hier alle, fühle mich wohl in meinem Viertel und in meiner Wohnung. Woanders würde ich eingehen wie eine Primel.“ Eine deutliche Mieterhöhung und die rasant steigenden Preise für Lebensmittel und Energie haben die Situation für Elvira Ferchland so verschärft. Monatlich hat sie 737 Euro Rente zur Verfügung – bei 630 Euro festen Kosten.

Was die Rentnerin besonders verzweifelt und auch wütend macht: Schon Mitte Mai hat sie einen Antrag auf Wohngeld gestellt. Mitte Oktober gab es noch immer keine Entscheidung darüber. „Dass man Menschen, die so gut wie nichts haben, so lange warten lässt, ist einfach respektlos“, sagt sie und kämpft mit den Tränen. Im Alltag schränkt sie sich jetzt noch mehr ein: Den wöchentlichen Einkauf hat sie weiter reduziert und geht nun regelmäßig zur Tafel. Den kaputten Fernseher und den morschen Spülschrank kann sie nicht ersetzen. Und der große Wunsch nach einem Urlaub wird sich wohl nie erfüllen. Trotz allem gibt Elvira Ferchland nicht auf. Sie engagiert sich weiter, kämpft bei den Behörden für ihre Rechte und geht für mehr soziale Gerechtigkeit auf die Straße. Allerdings, so sagt sie, fällt das zunehmend schwer. „Immer auf Sparflamme leben, der ganze Stress mit Ämtern und Behörden, das macht einen auf Dauer mutlos und krank.“

Menschen ohne Krankenversicherung: "Der Bedarf ist riesig"

Zahnschmerzen? Herzprobleme? Komplikationen in der Schwangerschaft? Die meisten greifen in einem solchen Fall zu ihrer Gesundheitskarte und suchen den passenden Arzt auf. Doch nicht für alle ist die Sache so einfach: Zehntausende Menschen in Deutschland sind nicht oder nur schlecht krankenversichert. „Allein in Berlin betrifft das nach seriösen Schätzungen 50.000 bis 60.000 Personen“, sagt Felicitas von Wietersheim. Sie arbeitet als Praxismanagerin in der Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung (MMM) in Berlin-Wilmersdorf, einer von bundesweit 19 MMM-Praxen.Durch die Maschen des Gesundheitssystems fallen zum Beispiel Personen ohne legalen Aufenthaltsstatus und viele Geflüchtete,  aber auch Menschen, die legal nach Deutschland gekommen sind und hier keine sozialversicherungspflichtige Arbeit finden, sowie deutsche Staatsbürger, die ihre Versicherungsbeiträge nicht zahlen können.

Unbürokratische Hilfe für alle

In der MMM-Praxis finden alle ganz unbürokratisch Hilfe – auch die vielen Patienten, die keine Ausweisdokumente haben. Zurzeit gibt es Sprechstunden für Allgemein- und Zahnmedizin, Gynäkologie, Kinderheilkunde, Orthopädie und Dermatologie. Im vergangenen Jahr fanden mehr als 4.500 Behandlungen statt, 2019 sogar mehr als 7.000. „Auch jetzt würden wir gern mehr machen“, sagt Felicitas von Wietersheim. „Aber wir haben nicht genug Mitarbeiter.“ Aktuell besteht das Team aus 29 Ärztinnen und Ärzten sowie einer Sozialberaterin, die alle ehrenamtlich arbeiten. Nur die Praxismanagerin und die leitende Ärztin, Dr. Barbara Vonneguth-Günther, sind Hauptamtler.

Die Organisation der Praxis ist komplex. Beispiel Terminkoordination: „Wir versuchen, Patienten mit derselben Muttersprache um eine Dolmetscherin zu bündeln, damit es bei der Behandlung keine Sprachbarrieren gibt“, so von Wietersheim. Kompliziert ist auch die Abrechnung mit den verschiedenen Geldgebern. Wirklich zu schaffen machen den Mitarbeitenden aber andere Dinge. „Wir werden hier täglich mit Menschen konfrontiert, denen es schlecht geht, die traumatisiert sind“, sagt Felicitas von Wietersheim. „Manchmal fühlt man sich machtlos angesichts dieser Probleme.“ Dagegen helfen der Austausch im Team und der Dank der Patientinnen und Patienten.

Der Bedarf an den Leistungen von MMM wird weiter steigen, da ist sich Felicitas von Wietersheim sicher. „Wir wollen und müssen weiter helfen“, sagt die Praxismanagerin. „Dazu brauchen wir Unterstützung von noch mehr Freiwilligen und Spendern. Die Praxis ist kein Selbstläufer.“

Wer die Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung unterstützen möchte, findet Standorte in seiner Nähe unter: www.malteser.de/menschen-ohne-krankenversicherung