Vor Ort

Reisetagebuch Teil 6: Die Flut kam am Tag

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Diszipliniert und geduldig wird gewartet, bis der Name fällt. Die Lebensmittel können einen Haushalt circa 14 Tage lang versorgen.

Der nächste Tag beginnt für uns um 7 Uhr. Selten zuvor habe ich es so bewusst geschätzt, morgens in eine Dusche mit fließendem, warmem Wasser zu steigen und mir die Hände waschen zu können. Die drei Tage in North Horr haben Spuren hinterlassen.

Nach dem Frühstück machen wir uns auf den Weg in die Sololo Region nahe der äthiopischen Grenze. Hier verteilt PACIDA gemeinsam mit den Maltesern Lebensmittel an die Menschen, die durch die langen Dürreperioden und die darauffolgenden Überschwemmungen ihre gesamte Existenz verloren haben.

Fein säuberlich sortiert liegen die Lebensmittelpakete für 74 Haushalte bereit

Als wir ankommen, liegen die Lebensmittelpakete für 74 Haushalte bereits fein säuberlich sortiert vor einem Lkw jeweils 15 kg Maismehl, 20 kg Mais, 500g Salz, 2 Liter Öl, 20 kg Kidneybohnen und 1 Kilo Zucker. Nach und nach wird jede Familie einer Liste folgend aufgerufen, um die Säcke mitzunehmen. Ich bin beeindruckt, wie diszipliniert und geduldig gewartet wird, bis der eigene Name fällt. Kein Drängeln, keine Ungeduld. Und das, obwohl alle, die hier in der Hitze seit Langem warten, großen Hunger haben müssen.

In zwei Wochen ist das Essen aufgebraucht – für größere Portionen reichen die Spenden nicht

Da viele der Anwesenden nie eine Schule besucht haben und weder lesen noch schreiben können, quittieren sie den Erhalt der Lebensmittel per Stempelkissen und Daumenabdruck. Und dann erzählt Martin, dass die Lebensmittelpakete in spätestens zwei Wochen aufgebracht sind und die Menschen wieder ohne Notfallnahrung dastehen. Für größere Portionen reichen die Spenden nicht. Das zu hören macht mich als Fundraiserin betroffen und beschäftigt mich noch lange.

Alle Ziegen und Esel sind ertrunken

Wir treffen Racho, der uns in sein Haus einlädt, um das Ausmaß der letzten Flut anzusehen. Der kleine Garten und der bescheidene Bau gleichen einem Matschfeld, auf dem man kaum treten kann. Die Macht des Wassers zeigt sich besonders an einem sehr großen Tank, der neben dem Haus liegt. Umgefallen, als hätte er kaum Gewicht. Der kleine angrenzende Stall ist nun leer, alle Ziegen und Esel sind ertrunken.

Racho erzählt, dass er und seine Familie in der Hütte bei Freunden untergekommen sind. Ich weiß aus den bisherigen Erlebnissen dieser Reise, dass dies Leben mit vielen Leuten auf allerengstem Raum bedeutet. Der große Zusammenhalt der Menschen hier ist überall spürbar.

Als sie das Rauschen des Wasser hörten, flohen sie

Auch Daki, die in der Nähe wohnt, lädt uns in ihre Hütte ein. Von ihren damals 12 Kamelen hat nur eins überlebt. Nicht genug, um weiterhin von dem Verkauf der Milch leben zu können. Trotz allem ist sie dankbar, dass sie sich und ihre Familie retten konnte, denn die Flut kam am Tag. Als sie das Rauschen des Wassers hörten, flohen alle auf den nächsten Hügel. Wäre die Flut nachts gekommen, hätte sie wohl nicht überlebt.

Wir verabschieden uns von ihr und fahren zurück ins Hotel, um ein kurzes Mittagessen einzunehmen. Auf der Fahrt durch Moyale in Richtung äthiopischer Grenze sind wir alle etwas angespannt, nachdem das Visum im Vorfeld bereits eine Herausforderung war (Patrick berichtete).

Zwischen den Reisenden und Äthiopien steht nur noch die Grenzkontrolle

Um nach Äthiopien einreisen zu dürfen, werden wir zur Kontrolle in eine große Lagerhalle geführt. Vier kleine Schalter und einigen Stühlen zum Warten zieren die Halle – außer uns ist niemand da. Es macht fast den Anschein, als könnten wir auch ohne Visum einfach durch die Halle laufen. Doch wir stellen uns wie vorgesehen an den kenianischen Schalter, um offiziell aus Kenia auszureisen. Wie bei der Einreise werden Bilder und Fingerabdrücke von uns gemacht und dann sind wir offiziell ausgereist. So weit, so gut.

Am nächsten Schalter händigen wir wie gewünscht unsere Pässe und Visa für Äthiopien aus. Jetzt heißt es Daumen drücken. Der Mitarbeiter des Immigration Point inspiziert alle Unterlagen genaustens. Auch hier werden Fingerabdrücke genommen und Fotos gemacht. Und dann ist der Stempel im Pass. Geschafft, willkommen in Äthiopien!

Immer noch Moyale, aber ohne bunte Hütten und Linksverkehr

Auch wenn wir nun nach wie vor in Moyale sind, nur eben nicht mehr auf der kenianischen Seite, wirkt die Stadt ganz anders aus als noch vor 30 Minuten. Die farbenfrohen Hütten sind ebenso verschwunden wie der Linksverkehr. Überwiegend graue Hütten und kleine Läden säumen die Straßen, die gleichermaßen von Autos, Tuk Tuks, Eseln, Ziegen und Straßenhunden genutzt werden.

Einmal mehr bin ich dankbar für unseren Fahrer, der uns mit Gelassenheit durch das absolute Verkehrschaos sicher zu unserem Hotel fährt. Mittlerweile regnet es so heftig, dass wir zunächst im Auto sitzen bleiben, bis wir dank eines beschirmten Hotelmitarbeiters mehr oder weniger trocken im Hotel ankommen. Dann dürfen wir unsere Zimmer in der vierten Etage beziehen.

Der Blick vom Balkon der Zimmer über Moyale ist wunderschön. Mittlerweile neigt sich der Tag dem Abend und der Ruf des Muezzins zum Gebet schallt durch die Straßen. Ich werde ihn in dieser Nacht noch ein paar Mal hören, während ich im Bett liege und versuche, alle Eindrücke der letzten Tage zu verarbeiten. So viele Erlebnisse, Geräusche und Gerüche, die ich von Zuhause nicht kenne. Zuhause fühlt sich gerade so weit weg an.


Gute Aussicht: Patrick Pöhler macht vom Dach des Autos aus Fotos.
Malteser
Gute Aussicht: Patrick Pöhler macht vom Dach des Autos aus Fotos.
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Die Lebensmittelpakete stehen säuberlich sortiert bereit.
Patrick Pöhler/Malteser
Die Lebensmittelpakete stehen säuberlich sortiert bereit.
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Jedes Lebensmittelpaket umfasst 15 kg Maismehl, 20 kg Mais, 500g Salz, 2 Liter Öl, 20 kg Kidneybohnen und 1 Kilo Zucker.
Patrick Pöhler/Malteser
Jedes Lebensmittelpaket umfasst 15 kg Maismehl, 20 kg Mais, 500g Salz, 2 Liter Öl, 20 kg Kidneybohnen und 1 Kilo Zucker.
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Lange Dürre gefolgt von großen Wassermassen haben dem Boden massiv zugesetzt.
Patrick Pöhler/Malteser
Lange Dürre gefolgt von großen Wassermassen haben dem Boden massiv zugesetzt.
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Der Boden gleicht einem Matschfeld, auf dem man kaum treten kann.
Patrick Pöhler/Malteser
Der Boden gleicht einem Matschfeld, auf dem man kaum treten kann.
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Durch die Flut haben die Menschen vor Ort viel verloren, sind aber glücklich, noch am Leben zu sein.
Patrick Pöhler/Malteser
Durch die Flut haben die Menschen vor Ort viel verloren, sind aber glücklich, noch am Leben zu sein.
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