Der Anteil der Senioren im Straßenverkehr nimmt aufgrund der demographischen Faktoren wie auch einer teilweise hohen Fitness und Unabhängigkeit im Bereich der Activities of Life (Aktivitäten des täglichen Lebens) bis ins hohe Alter ständig zu. Parallel hierzu findet sich eine auch im Alter relativ hohe Pkw-Verfügbarkeit bei einer allerdings deutlich reduzierten jährlichen Fahrleistung in der Gruppe der über 65-Jährigen im Vergleich zu jüngeren Verkehrsteilnehmern. Obwohl die Zahl der Verkehrstoten seit Einführung der Strassenverkehrsunfallstatistik 1953 von einem Höchststand von 21.300 Toten im Jahr 1970 auf 2.782 im Jahr 2022 gesunken ist, stellen ältere Verkehrsteilnehmer eine fragile Gruppe dar, die teilweise Verkehrsunfälle verursacht aber auch einen überproportional hohen Anteil an Unfallopfern stellt.
Augenärzte schätzen, dass bis zu 300.000 Unfälle im Jahr auf schlechtes Sehen zurückzuführen sind
Unterschiedliche psychophysische Veränderungen im Alter haben Auswirkungen auf die Fähigkeit, ein Auto sicher zu steuern. Neben einem reduzierten Leistungstempo und einer eingeschränkten Fähigkeit, mit neuen Situationen umzugehen, schränken vor allen Dingen Veränderungen des Sehvermögens die Fahrtauglichkeit im Alter ein. Der Bundesverband der Augenärzte schätzt, dass bis zu 300.000 Verkehrsunfälle pro Jahr auf schlechtes Sehen zurückzuführen sind, und ab dem 60. Lebensjahr jeder dritte Autofahrer unfähig ist, nachts ein Auto zu steuern. Bedingt durch physiologische Veränderungen des Auges (Verengung der Pupille, Verdichtung der Linse, Trübung des Glaskörpers, etc.) kommt es zu einer Abnahme von Lichtempfindlichkeit, Akkommodationsleistung (die Fähigkeit, Gegenstände in unterschiedlichen Entfernungen scharf zu sehen) und Dunkeladaptation mit gesteigerter Blendungsempfindlichkeit. Weitere altersassoziierte Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Grauer Star oder Maculadegenerationen beeinträchtigen das Sehvermögen zusätzlich.
Da 90 Prozent der Informationen über das optische System aufgenommen werden, ist das Sehvermögen die Achillesferse der Fahreignung älterer Verkehrsteilnehmer. Der Bundesverband der Augenärzte (BVA) empfiehlt daher, augenärztliche Untersuchungen ab dem 60. Lebensjahr jährlich durchführen zu lassen. Müssen in anderen Ländern Führerscheininhaber zu regelmäßigen Wiederholungssehtests, setzt man in Deutschland auf das eigene Verantwortungsbewusstsein.
Schlechtes Hören, kognitive Einschränkungen
Neben visuellen Einschränkungen finden sich häufig auch Einschränkungen des Hörvermögens, dem häufigsten funktionellen Defizit im hohen Alter, sowie Einschränkungen des kognitiven Leistungsvermögens. Der Anteil relevanter kognitiver Einschränkungen im Sinne einer Demenz nimmt im hohen Alter deutlich zu. Von den über 90-Jährigen zum Beispiel leiden etwa 30 Prozent an einer Demenz. Etwa 20 Prozent aller Demenzpatienten fahren weiter Auto, obwohl zwei Drittel nur noch eingeschränkt fahrtauglich sind und ältere Autofahrer mit kognitiven Einschränkungen ein vierfach erhöhtes Unfallrisiko aufweisen.
Neben einer Abnahme von Vigilanz, Reaktions- und Verarbeitungsgeschwindigkeit sowie selektiver Aufmerksamkeit schränken eine Abnahme der Problemlösegeschwindigkeit sowie der räumlichen und zeitlichen Orientierungsgeschwindigkeit das Fahrvermögen im Alter ein. Dies führt auf operationaler Ebene zu einem gehäuften Auftreten von Verhaltensproblemen wie etwa beim Einordnen bei Spurwechseln und in Kreuzungssituationen, bei Wende- und Abbiegemanövern oder bei der Bewältigung von Verkehrskonfliktsituationen oder auch von Situationen, die eine Interaktion mit anderen Verkehrsteilnehmern erforderlich machen.
Älter heißt nicht zwingend gefährlicher
Trotz physiologischer Einschränkungen sind ältere Kraftfahrer nicht zwingend gefährlichere Verkehrsteilnehmer, sondern viele ältere Fahrer betreiben ein auf ihre Defizite zugeschnittenes Fahrtenmanagement, wie zum Beispiel das Vermeiden von Nachtfahrten aufgrund eingeschränkten Sehvermögens oder einer erhöhten Blendempfindlichkeit. Insbesondere ist bei älteren Personen das Dominanzstreben weniger stark ausgeprägt als bei jüngeren Verkehrsteilnehmern, und es findet sich eine weniger emotionale, mehr auf soziale Gewissenhaftigkeit ausgerichtete Teilnahme am Straßenverkehr.
Art und Ausmaß der physischen, physiologischen, psycho-physischen und psychischen Veränderungen, die mit dem Altern einhergehen und die auf die im Straßenverkehr benötigten Kompetenzen unter Umständen einen negativen Einfluss nehmen können, weisen insgesamt eine große interindividuelle Variation auf. Die Zugehörigkeit zu einem chronologischen oder kalendarischen Alter sagt per se noch nichts aus, da sich Individuen gleichen chronologischen oder kalendarischen Alters auf der Ebene ihres biologisch-funktionalen Alters erheblich voneinander unterscheiden können, und dies bedingt auch eine erhebliche Varianz in Bezug auf ihre Leistungsfähigkeit. Insofern sind immer wieder postulierte Forderungen nach Entzug des Führerscheins ab einem gewissen kalendarischen Alter eher als pauschale Altersdiskriminierungen einzustufen.
Individuelle Herangehensweise gefragt
Es bedarf vielmehr einer individuellen Herangehensweise unabhängig vom Alter der betreffenden Person. Finden sich Hinweise für eine fragliche Fahreignung wie zum Beispiel wiederholtes Snailing (Schleichen), Nicht-Beachten von roten Ampeln und STOP-Schildern oder Häufung von Bagatellunfällen, sollte zunächst ein direktes Gespräch mit dem älteren Menschen erfolgen. Im nächsten Schritt macht eine Einbeziehung der Angehörigen zwecks Fremdeinschätzung sowie Information über die Problemsituation Sinn. in allen zweifelhaften Fällen sollte den Betroffenen immer eine Fahrverhaltensprobe empfohlen werden. Diese kann durch spezialisierte Fahrschulen durchgeführt werden und gibt den Betroffenen wie auch Ihren Angehörigen Gewissheit bezüglich der Fahreignung.
Ansonsten macht eine Adaptation an funktionelle Einschränkungen im Alter immer Sinn. Dies kann bedeuten Gefahrensituationen wie Dämmerung und Dunkelheit oder Fahren bei schlechter Witterung zu meiden und Hilfsmittel wie Brillen und Hörgeräte zu tragen, oder im Auto auf Erleichterungen wie asphärische Spiegel, Einparkhilfen oder Abstandsradar zurückzugreifen.