Interview

Ein paar Körner beiseitelegen

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Ein Mann in seinen 60ern steht in Einsatzkleidung im Freien.
Joachim Gies
Generalleutnant a.D. Martin Schelleis ist Malteser Bundesbeauftragter für Krisenresilienz.

Herr Schelleis, im Operationsplan Deutschland hat die Bundeswehr festgelegt, wer im Krisen- und Verteidigungsfall welche Aufgabe hat. Nur weiß niemand, was in dem Plan steht. Wir auch nicht?

Ja, das gilt auch für uns. Der O-Plan Deutschland zeigt, wie das Militär die Lage bewertet und seine Aufgaben unter den aktuellen Bedingungen erfüllen will. Dabei wird klar: Vieles, was nötig ist – medizinisch, logistisch – kann die Bundeswehr allein nicht leisten. Sie ist auf zivile Unterstützung angewiesen: THW, Polizei, Behörden, Unternehmen, Hilfsorganisationen. Deshalb hat sie den Ländern und Kommunen Pakete übergeben: Achtung, das könnte in eurem Bereich gebraucht werden – zum Beispiel auf der Autobahn entlang der Ost-West-Achse ein Rastraum für die Truppen alle 200 Kilometer.

Und was ist konkret mit uns Maltesern?

Bisher sieht es so aus, als würden wir nur gebraucht, wenn der Plan nicht funktioniert, zum Beispiel, weil auf der genannten Autobahn eine Brücke zusammengekracht ist, es eine Umwegplanung gibt und die Truppe anders versorgt werden muss. Das ist in einer kriegerischen Situation sehr schnell möglich. Der O-Plan Deutschland ist ein lebendes Dokument. Aktuell werden Rückfalloptionen durchgeplant. Ich gehe davon aus, dass wir Malteser danach präziser wissen, wo wir im Plan B gefordert werden. Das wäre für uns schon sehr hilfreich.

Müssen Malteser Angst haben, an die Front gezogen zu werden?

Nein. Der Operationsplan Deutschland bezieht sich nur auf die Bundesrepublik. Aber natürlich müssen wir damit rechnen, dass es auch hierzulande kriegerische Handlungen oder Terrorismus gibt: Man sehe sich Russland an, das sich gar nicht mehr ans Völkerrecht hält. Da ist dann niemand völlig geschützt. Aber der Plan sieht nirgendwo vor, dass ziviles Personal an die Front muss.

Sondern?

Nehmen wir den Bereich Sanitätsdienst: Unser medizinisches Personal wird nicht im Kampfgebiet irgendwo ein Feldlazarett betreiben, dafür hat die Bundeswehr ausreichend eigenes Personal. Das heißt aber, dass sie ihr medizinisches Personal zum Beispiel aus Bundeswehrkrankenhäusern abzieht, die dann leer stehen – und mit qualifiziertem Personal gefüllt werden müssen. Oder man braucht uns beim Transport ins Krankenhaus, wenn ein Lazarettzug am Bahnhof ankommt.

Was ist mit Maltesern ohne medizinische Ausbildung?

Sie haben andere Fähigkeiten, zum Beispiel in der Unterbringung in Containern oder Zelten, wo Geflüchtete betreut und versorgt werden. Genau diese Fähigkeiten werden auch für Truppen auf dem Marsch oder Kriegsgefangene gebraucht. Wir können mit unseren Fähigkeiten logistische Aufgaben übernehmen. Und, ganz wichtig: Die Menschen, die in unseren sozialen Einrichtungen wie Altenheimen oder Werken arbeiten, werden nicht in der Unterstützung der Truppen oder der Zivilverteidigung gefordert. Aber sie müssen sich in einer Krise erst recht um die ihnen anvertrauten Menschen kümmern. Insofern sind alle Malteser in der einen oder anderen Form gefordert, sich vorzubereiten.

„Be prepared so you are not scared“ – bereite dich vor, damit du keine Angst haben musst.

Das klingt so, als würde das auf jeden Fall passieren. Müssen wir Angst vor einem Krieg haben?

Nein, das wäre eine ganz schlechte Schlussfolgerung. Ich zitiere den stellvertretenden finnischen Botschafter: „Be prepared so you are not scared“ – bereite dich vor, damit du keine Angst haben musst. Wir haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass Katastrophen auftreten als vor fünf oder zehn Jahren – aus den unterschiedlichsten Gründen. Die Hitze in diesem Sommer wäre früher eine Ausnahmesituation gewesen, und wer das jetzt nicht auf den Klimawandel zurückführt, dem ist nicht mehr zu helfen. Diese Hitze ist Fakt und damit muss man umgehen. In einem Altenheim ohne Klimatisierung stelle ich mir das ganz schlimm vor. Aber es ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass wir nicht von theoretischen Fällen, sondern praktischen Dingen reden. Wir haben erlebt, dass der Strom in Spanien und Portugal über Stunden ausgefallen ist. Auch wenn der Strom in kleinerem Umfang ausfällt, kann das ein Problem sein.

Was tun?

Das kann jeder Einrichtungsleiter und jede Schlüsselmitarbeiterin besser beurteilen als wir aus der Zentrale heraus. Sie wissen, was kaputt gehen kann, und wie man das verhindern kann. Oder wie man damit umgeht. Man kann einen Notfallplan entwickeln, den alle kennen und dann automatisch abspielen. Je besser wir vorbereitet sind, desto weniger Sorgen müssen wir uns machen, denn wir beherrschen unseren Teil. Und beim Rest hilft dann auch Gottvertrauen.

Was sollte jeder einzelne Malteser tun?

Sich persönlich vorbereiten. Physisch. Praktisch ein paar Körner auf die Sei­te legen. Vorräte schaffen, einen Not­fallrucksack packen und dafür sor­gen, dass man nicht schon im Grundbetrieb am Anschlag ist, son­dern physische und mentale Leis­tungsreserven hat. Dinge, die einen schon lange belasten – Stress mit dem Finanzamt, in der Beziehung oder in der Familie – jetzt ausräumen, sonst schleppt man es in einer Krise mit, und das belastet. Organisatorisch mal überlegen, ob unser dicht getakteter Alltag wirklich Sinn macht, denn der wird uns in der Form um die Ohren fliegen.

Was noch?

An die Menschen im Umfeld denken, die das für sich nicht machen können. Eltern, die vielleicht pflegebedürftig sind, Kinder, logischerweise, aber auch Nachbarn, die Dinge gar nicht mehr mitbekommen sich nicht vorbereiten können. Also für hilfsbedürftige Menschen im Umfeld mitdenken. Das sollte jeder Mensch machen, nicht nur Malteser.

Was gilt speziell für uns?

Die Malteser sind in ihrer Funktion gefordert, ob im Altenheim, im Sozialdienst, im Rettungsdienst oder im Katastrophenschutz. Da gilt, alles im privaten Bereich möglichst so zu entfrachten, dass man in einer Krisensituation aus einer Acht- eine 16-Stunden-Schicht machen kann, sollte die Ablösung wegen einer Krise nicht kommen. Führungskräfte müssen noch darüber hinaus für ihren gesamten Verantwortungsbereich denken. Was kann schiefgehen? Wie stelle ich meinen Bereich auf? Ein Beispiel: Ich überlege mal, ob ich Rollläden für meine Fenster beantrage, damit die Hitze abgehalten wird. Wenn wir darauf Antworten geben können, sind wir schon einen Riesenschritt vorangekommen.