Von einem gemütlichen Heiligabend unterm Christbaum kann Kerrin Wintschel-Peisker nur träumen. Auf der Intensivstation des Malteser Krankenhauses St. Franziskus-Hospital in Flensburg sind selbst an Weihnachten keine Tannenbäume erlaubt, freie Fluchtwege und Hygiene haben oberste Priorität. Das Team trägt deshalb Weihnachtsmützen und festliche Ohrringe, schmückt den Aufenthaltsraum und den Empfangstresen der Station, um zu zeigen: Heute ist ein besonderer Tag.
1999 absolvierte Kerrin Wintschel-Peisker ihr Freiwilliges Soziales Jahr im St. Franziskus-Hospital in Flensburg. Heute ist sie dort seit nunmehr fünf Jahren die stellvertretende pflegerische Leiterin der Intensivstation. Wer auf der Intensivstation arbeitet, ist entweder an Weihnachten oder an Silvester im Dienst. „Als mein Sohn zwei Jahre alt war, habe ich mich an Heiligabend für die Nachtschicht gemeldet. Ich war mir sicher, dass er sich später nicht daran erinnern würde. Jahre später schauten wir uns gemeinsam Fotos an und mein Sohn erkannte auf einem Bild die Playmobil-Eisenbahn, die er in diesem Jahr bekommen hatte. ,Ah, das war das Weihnachtsfest, als du abends arbeiten musstest‘, sagte er. Ich war sprachlos“, erinnert sich Kerrin Wintschel-Peisker.
"Ich habe noch nie jemanden an Weihnachten fluchen, sich über die Arbeit oder Kollegen beschweren hören."
Kerrin Wintschel-Peisker, stellvertretende pflegerische Leitung der Intensivstation des Franziskus-Hospitals
Eigentlich könnte man meinen, der 24. Dezember sei hier ein Tag wie jeder andere, doch die Grundstimmung ist anders als sonst: Heiterkeit und Ruhe liegen in der Luft der hell erleuchteten Gänge. „Alle sind besonnener. Ich habe noch nie jemanden an Weihnachten fluchen, sich über die Arbeit oder Kollegen beschweren hören. Das Fest der Liebe macht sich bei uns allen bemerkbar“, sagt Wintschel-Peisker. Sogar Notfälle verlaufen anders: Beklage man sich sonst untereinander über die Anstrengung, nehme das Team die weihnachtlichen Zwischenfälle gelassener. „Alle sind bemüht, die festliche Stimmung aufrechtzuerhalten. Niemand möchte sich an diesem Tag ärgern.“
Wenn Kerrin Wintschel-Peisker und ihre Kollegen Heiligabend auf der Station verbringen, ist das Team eine Art Ersatzfamilie: Sie essen zusammen, wichteln und tauschen Geschenke aus. Heidi, eine ehemalige Kollegin, die heute im Ruhestand ist, hat früher jedes Jahr einen Braten für das ganze Team zubereitet. Inzwischen bringt jeder etwas mit, und dann wird gemeinsam gegessen. Mit viel Liebe bastelt, backt oder kocht Kerrin Wintschel-Peisker vorab eine Kleinigkeit für ihre Kolleginnen und Kollegen: selbstgemachte Marmelade, Plätzchen oder Kinderriegellikör.
Jedes Jahr an Heiligabend kommt ein Chor unter der Leitung der Pastorin, begleitet von Gitarre und Querflöte, auf die Station und singt Weihnachtslieder. „Damit alle Patienten die Lieder hören können, öffnen wir die Türen zu den Fluren und Zimmern. Ich bekomme immer wieder eine Gänsehaut, wenn der Gesang die Station erfüllt.“
Zwischen Feststimmung und Trauer
Auch besonders schwere und anstrengende Weihnachtsdienste hat Kerrin Wintschel-Peisker schon gemeistert. „Es geht mir immer sehr nahe, wenn ein Patient an Heiligabend stirbt. Der Weihnachtsabend kommt jedes Jahr wieder, und so werden die Angehörigen immer wieder an den Tod erinnert, was mir unheimlich leidtut“, erzählt sie. „Manchmal ist es auch emotional herausfordernd, wenn die Angehörigen gerade von ihren Lieben Abschied nehmen und ich eigentlich noch in festlicher Stimmung bin. Dann erlaube ich mir nicht, fröhlich zu sein – das wird der Trauer der Angehörigen nicht gerecht.“
Doch neben den großen Emotionen, Widersprüchen und Belastungen gibt es auch immer wieder kleine Weihnachtswunder. Angehörige und Patienten sind an den Feiertagen viel herzlicher und dankbarer, und Wintschel-Peisker und ihre Kollegen bekommen viel Anerkennung für das, was sie tun – mal in Form von warmen Worten, mal in Form von Kaffee und Spekulatius. „Ich liebe meinen Beruf, mache ihn seit 24 Jahren und habe mich längst daran gewöhnt, mein Privatleben danach auszurichten“, stellt sie fest. „An Heiligabend zu arbeiten, macht mir nichts aus. Die besonderen Weihnachtsmomente überwiegen.“