Gastbeitrag

Was braucht der Rettungsdienst für die Zukunft?

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Die Zukunft kommt, das ist sicher. Und wie diese Zukunft aussehen wird, das haben wir selbst in der Hand – Handeln ist also gefragt. Das gilt auch für das Rettungswesen. Mit seiner aktuellen Situation haben sich schon mehrere Studien beschäftigt. Wie aber sieht es mit seiner Zukunft aus? Sehr viel positiver, als es ein oberflächlicher Blick nahelegt. Aber auch hier gilt: Am Handeln führt kein Weg vorbei, um die Rettung in eine wünschenswerte Zukunft zu führen. Was muss getan werden?

Genau das haben wir über 4.000 Rettungskräfte in unserer groß angelegten Studie über die Zukunft des Rettungswesens gefragt – wir, das sind die opta data Zukunfts-Stiftung und das Institut für Zukunftspsychologie und Zukunftsmanagement an der Sigmund Freud PrivatUniversität in Wien. Unsere Studie ist die erste zukunftspsychologische Studie, die jene zu Wort kommen lässt, die täglich Menschenleben retten: Notfall- und Rettungssanitäter, Notärzte, Leitstellendisponenten und viele mehr. Alle deutschen Rettungsorganisationen sind vertreten, so natürlich auch der Malteser Hilfsdienst. Unser Ansatz ist es, die Rettungskräfte selbst über ihre herausfordernde Arbeit, ihre Befindlichkeit und ihre Perspektiven sprechen zu lassen und ihre gedachte und gefühlte Zukunft kennenzulernen. Wie stellen sie sich eine positive Zukunft des Rettungswesens vor? Was muss aus ihrer Sicht getan werden? In 55 Experteninterviews und über 4.000 Fragebögen finden wir hochspannende Antworten – ein deutliches Zeichen eines überragenden Engagements der Rettungskräfte.

Patientensteuerung mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz

Die Probleme, mit denen Rettungsdienste zu kämpfen haben, sind längst bekannt: Vor allem die explodierende Zahl an Bagatelleinsätzen bringt sie an ihre Grenzen. Die Gesellschaft wächst und wird immer älter, die Zahl einsamer und multimorbider Menschen nimmt zu. Viele wissen bei Beschwerden nicht, wo sie Hilfe erhalten. Da Hausärzte und ambulante Dienste überlastet sind, wird der Notruf als Ausweg gesehen: „Wir sind sozusagen immer die Letzten, die dann kommen, wenn gar nichts mehr geht. Dann schickt man den Rettungsdienst“, so ein Interviewpartner. Ein Dilemma also – auf der einen Seite die Mission, jedem Menschen zu helfen, auf der anderen Seite das Wissen, dass dies zum Kollaps des Rettungswesens führen wird. Dass 44 Prozent der Rettungskräfte angeben, bereits am persönlichen Limit zu arbeiten, verwundert nicht. Dennoch gehen 67 Prozent motiviert ihrem Beruf nach, und 75 Prozent blicken optimistisch in die Zukunft – vorausgesetzt, es wird jetzt zukunftsgerichtet gehandelt.

Ein entscheidender Ansatz ist eine verbesserte Patientensteuerung. Wie könnte sie in Zukunft aussehen? In einer digitalen, mit Krankenhäusern und anderen Einrichtungen vernetzten Notrufleitstelle – einer „Gesundheitsleitstelle“ – wird KI-gestützt entschieden, ob ein Rettungsteam ausrückt oder der Patient weitergeleitet wird. Rettungslotsen steuern das System und treffen Entscheidungen. Bei Annahme des Anrufes weiß die Leitstelle schon, wer von wo anruft. Damit verfügt sie über viele Parameter wie geografische, soziale Daten und einen umfassenden Einblick in die Patientenakte. Über eine Gesichts-, Bild- und Tonerkennung können weitere Momentaufnahmen des Zustandes verwertet werden. Generell eröffnen Digitalisierung und künstliche Intelligenz eine Vielzahl an Möglichkeiten, zum Teil schon heute: Dazu zählen die Telemedizin, die digitale Übermittlung von Dokumentationen an das aufnehmende Krankenhaus, intelligente Navigationssysteme, die mit aktuellen Verkehrs- und Wetterdaten gespeist werden, oder eine digitale Patientenakte, der bislang datenschutzrechtliche Bedenken entgegenstehen, die die Retter aber ungemein unterstützen würde. Dies gilt auch für tragbare Diagnostikgeräte, Drohnen oder Virtual Reality – die Liste der Möglichkeiten, die neue Technologien eröffnen, ist lang.

Rettungskräfte wollen "Engel" sein

Doch die Zukunft der Rettung liegt ebenso in der Organisation, in der Ausbildung, Führung und Zusammenarbeit, in den von der Politik gesetzten Rahmenbedingungen und im gesellschaftlichen Mindset. Auch hier ist die Liste der von den Rettungskräften gemachten Vorschläge lang und facettenreich: So wird gefordert, bei der Besetzung von Ausbildungsstellen nicht mehr allein auf Schulnoten, sondern vor allem auf die Motivation und psychische Eignung der Bewerber zu achten. Zudem muss die Ausbildung eine realistischere Erwartungshaltung an den Beruf vermitteln – das in den Medien vermittelte Bild ist vielfach unangemessen. Neue Schichtsysteme können dem gestiegenen Bedürfnis nach einer besseren Work-Life-Balance entgegenkommen, und ein Ausbau der Weiterentwicklungsmöglichkeiten wird helfen, Rettungskräften neue Perspektiven zu bieten und ihre Zufriedenheit zu erhöhen. Dazu tragen auch ein kooperativer, auf Wertschätzung basierender Führungsstil sowie präventive Gesundheitsmaßnahmen und Hilfsangebote im Fall psychischer Belastungen bei. An Bewerbern besteht aktuell kein Mangel, entscheidend ist jedoch, Mitarbeiter langfristig zu binden und es ihnen zu ermöglichen, ihre hohe Qualifikation täglich zum Wohl der Patienten einzusetzen. So werden für Notfallsanitäter mehr Kompetenzen und mehr Rechts- und Handlungssicherheit im Einsatz gefordert, der Behandlungsvorbehalt der Notärzte setzt hier bislang enge Grenzen – nicht gerade motivierend für Mitarbeiter, die über eine solch hochqualifizierte Ausbildung verfügen.

Ein Vertreter des Malteser Hilfsdienstes hat es so ausgedrückt: Rettungskräfte wollen „Engel“ sein – ihr „Traumberuf“ ist es, im Notfall verantwortungsvoll agieren zu können. Damit sie dieser wichtigen Mission auch weiterhin nachkommen können, sind die Politik, die Rettungskräfte selbst sowie die Gesellschaft gefragt. Will sich diese weiterhin auf die lebenswichtige Arbeit der Rettungsdienste verlassen können, muss sie sich an deren Unterstützung beteiligen – mehr Wertschätzung sowie ein Umdenken, eine Veränderung des Mindsets sind gefragt. Die Rettung des Rettungswesens, die Sicherstellung einer wünschenswerten Zukunft ist eine gemeinschaftliche Aufgabe, die sich uns allen stellt.


Zum Autoren

Prof. Dr. Thomas Druyen ist Wissenschaftler, Autor, Redner, Manager und Publizist. Als ordentlicher Universitätsprofessor in den Bereichen Alters- und Generationssoziologie, Zukunftspsychologie, Vermögenspsychologie, Gesundheitsmanagement und Familienunternehmen an der Sigmund Freud PrivatUniversität in Wien und der Universität Witten/Herdecke in Witten widmet er sich seit über zwanzig Jahren intensiv der gesellschaftlichen und psychologischen Entwicklung. In verschiedenen Institutionen brachte er sein Wissen zum kulturellen Wandel ein und übernahm bedeutende Positionen, wie zum Beispiel die Vizepräsidentschaft des Internationalen Club of Budapest. Als CEO und Präsident der opta data Zukunfts-Stiftung gGmbH setzt er sich für die Transformation im Gesundheitswesen ein. Die systemrelevante Bedeutung der Gesundheitsfachberufe, wie die Rettung oder die Pflege, und deren Reputation in der Öffentlichkeit stehen dabei im Fokus. Seine Forschungen und Publikationen zu Themen wie demografischer Wandel, Generationenbeziehungen, Vermögenspsychologie und digitale Transformation tragen zur Weiterentwicklung der Gesellschaft bei.