Erdbeben in der Türkei und in Syrien

Interview: Ohne Bilder keine Krisen

/

Rebekka Goeke/Malteser International
Katharina Kiecol mit Oliver Hochedez im Einsatz in der Türkei. Fotos von ihr gibt es kaum - sie stand immer hinter der Kamera.

Ist es üblich, als Pressesprecherin in ein Krisengebiet zu reisen?

Tatsächlich haben wir festgestellt, dass es absolut sinnvoll ist, wenn eine von uns mit dem Nothilfe-Team in den Einsatz geht. Wir haben auch beide eine Zusatzausbildung in der Nothilfeabteilung gemacht. Denn: Krisen existieren quasi nur dann, wenn es Fotos davon gibt. Das Nothilfe-Team ist natürlich damit beschäftigt, den Menschen direkt zu helfen, sodass sie für Fotos und Interviews keinen Kopf und keine Zeit haben. Wenn die Nothilfekolleginnen und -kollegen das leisten müssten, kämen sie nicht mehr zu ihrer eigentlichen Arbeit direkt am Menschen. Gleichzeitig ist es aber so, dass wir das – in diesen Zeiten sehr hohe – Medieninteresse nutzen wollen und müssen, um über diese Arbeit zu berichten.

Konntest du dich auf deine Reise vorbereiten?

Ja, anders als in anderen Fällen hatte ich tatsächlich abends zwei Stunden, um zu packen, mich zu sortieren, zu überlegen: Was brauche ich alles? Und auch am Flughafen hatten wir letztendlich noch so viel Zeit, dass ich auch ein ordentliches Briefing vom Nothilfe-Leiter bekommen und mich über die aktuelle Situation informieren konnte. Aber bei einer Naturkatastrophe ist es natürlich so, dass alles permanent im Prozess ist – die Lage verändert sich stetig, man muss immer am Ball bleiben.

Die Reise ins Katastrophengebiet hat sich etwas verzögert und hielt einige Herausforderungen bereit, oder?

Das ist normal nach einer Naturkatastrophe. Die ganze Infrastruktur ist mitzerstört, man muss einen Flughafen finden, der überhaupt in Betrieb ist. In diesem Fall war es super, dass wir gemeinsam mit dem THW rausfliegen konnten, denn der ursprünglich geplante Linienflug durfte am Ziel im türkischen Gaziantep nicht mehr landen.

Wie war dein erster Eindruck vor Ort?

Als wir morgens um etwa 6 Uhr in Gaziantep gelandet waren, habe ich direkt aus dem Fenster geschaut und Fotos gemacht. Ich hatte eine Zerstörung erwartet, die ich aus dem Flugzeug heraus nicht wahrnehmen konnte. Allerdings ist es so, dass viele Häuser zwar noch stehen, aber auf den zweiten Blick zerstört oder nicht mehr bewohnbar sind. Die meisten Menschen trauen sich nicht mehr in die noch stehenden Häuser zurück, solange diese nicht von den Behörden als sicher freigegeben werden. Die Menschen leben in Zelten oder in provisorischen Unterkünften auf der Straße, um sicher zu sein. Es ist bitterkalt, es herrscht eine ganz seltsame Stimmung, es gibt kein warmes Wasser, keine Heizung. Und erst nach und nach ist uns klar geworden, dass die Menschen trotzdem nicht in ihre Häuser zurückkehren, weil diese eben nicht mehr sicher sind.

Du hast es mit eigenen Augen gesehen. Kann man sich als jemand, der in Deutschland wohnt, überhaupt vorstellen und begreifen, wie es dort ist?

Es ist in seiner kompletten Dimension absolut unbegreiflich. Wir haben nur einige Gebiete gesehen, wir waren zum Beispiel in einer Stadt mit 400.000 Einwohnern, dort waren schätzungsweise 85 Prozent der Häuser zerstört. Das war eine Stadt in einem Gebiet, das fast so groß ist wie Deutschland. Die ganze Dimension dieser Katastrophe ist unermesslich.

Gab es Ereignisse, die dich überrascht haben?

Wir haben auch mitbekommen, wie lange noch Lebendrettungen stattgefunden haben. Das THW hat zum Beispiel vor einigen Tagen noch eine 88-jährige Frau geborgen. Das sind so überraschende, schöne Meldungen, die uns zwischendurch aufgerichtet haben.

Du hast gesagt, die Stimmung vor Ort war komisch. Hast du dich sicher gefühlt?

Absolut sicher. Ich weiß nicht, wie es sich weiter entwickeln wird – ich glaube, es könnte noch einen großen Knackpunkt geben, wenn die Suche eingestellt wird. Dann werden viele Menschen noch verzweifelter sein, als sie es ohnehin schon sind. Es war eine sehr stille, gedrückte und bedrückende Stimmung, die Menschen sind unfassbar verzweifelt, es sind Familien an mir vorbeigelaufen, die nur geweint haben.

Wie geht man mit so einer Ausnahmesituation um?

Ich habe die ganze Zeit versucht, mich selbst nicht so wichtig zu nehmen, sondern auf die Menschen zu schauen, denen wir helfen. Und mich selbst in den Hintergrund zu stellen.

Wie ist es für dich jetzt wieder in Deutschland zu sein?

Ein Stück surreal. Das ist oft so nach einem Nothilfeeinsatz. Man ist sehr eng mit dem Team und rund um die Uhr zusammen. Es ist dann erst mal komisch wieder Abstand zu bekommen und zu sagen: „Das jetzt hier, das ist auch Realität und das ist meine Lebenswelt.“ Ich muss bewusst versuchen, wieder hier anzukommen. Und ich glaube, nach diesem Einsatz wird es dauern. Das war nach meinen Erlebnissen an der polnisch-ukrainischen Grenze zu Anfang des russischen Überfalls auf die Ukraine im vergangenen Jahr auch so. Man muss in eine scheinbare Normalität umschalten, und das ist gar nicht so einfach.

Viele Menschen fragen sich, wie sie helfen können.

So eine extreme Lage ist im Fluss – unsere syrischen Partner haben berichtet, dass anfangs vor allem Verbandsmaterial und Medikamente benötigt wurden. Nach einer Woche sieht das Bild dann anders aus, es werden mehr Zelte, Betten und so weiter gebraucht. Für uns wäre es aus zum Beispiel hygienischen, logistischen und Kosten-Gründen nicht sinnvoll, gebrauchtes Material von Menschen entgegenzunehmen und dieses zu verteilen. Daher ist es am besten, Geld zu spenden, egal ob über eine zertifizierte Hilfsorganisation oder direkt an betroffene Verwandte.


Nur wenige Häuser stehen noch - unbewohnbar und einsturzgefährdet.
Malteser International
Nur wenige Häuser stehen noch - unbewohnbar und einsturzgefährdet.
1 / 9
Malteser International unterstützt die Partnerorganisationen vor Ort.
Katharina Kiecol/Malteser International
Malteser International unterstützt die Partnerorganisationen vor Ort.
2 / 9
Die Menschen versuchen zwischen den Trümmern noch Überlebende zu finden.
HIHFAD
Die Menschen versuchen zwischen den Trümmern noch Überlebende zu finden.
3 / 9
Sie sind verzweifelt, das Ausmaß der Katastrophe ist unermesslich.
HIHFAD
Sie sind verzweifelt, das Ausmaß der Katastrophe ist unermesslich.
4 / 9
In den Häusern ist kein normales Leben mehr möglich.
HIHFAD
In den Häusern ist kein normales Leben mehr möglich.
5 / 9
Weil die Menschen zu viel verloren haben, mangelt es jetzt an allem.
HIHFAD
Weil die Menschen zu viel verloren haben, mangelt es jetzt an allem.
6 / 9
Das Ausmaß der Zerstörung stellt die Helfenden vor große Herausforderungen.
Katharina Kiecol/Malteser International
Das Ausmaß der Zerstörung stellt die Helfenden vor große Herausforderungen.
7 / 9
Durch das Erdbeben sind Hunderttausende obdachlos geworden.
HIHFAD
Durch das Erdbeben sind Hunderttausende obdachlos geworden.
8 / 9
Viele Menschen trauern um tote oder noch vermisste Angehörige.
HIHFAD
Viele Menschen trauern um tote oder noch vermisste Angehörige.
9 / 9