Ukraine-Hilfe

Ukrainerin kümmert sich um Geflüchtete in Deutschland: "Ich helfe, wo ich kann"

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Christian Vierfuß

„Das finde ich spannend“ steht auf der großen Leinwand des Unterrichtssaals. Nun soll das Gegenteil gebildet werden. „Das finde ich langweilig“ nennt eine der Schülerinnen eine Lösung. Doch Langeweile kommt in dieser ungewöhnlichen Unterrichtseinheit der Malteser in Schwäbisch Gmünd nicht auf. Denn die 20 Schülerinnen sind höchst engagierte erwachsene Frauen aus der Ukraine, die hier als Einstieg in eine Ausbildung zur Pflegehilfskraft Deutsch lernen, und die ukrainische Deutschlehrerin ist online per Video aus Lwiw zugeschaltet.

Dieses Hybrid-Modell aus Online- und Präsenzunterricht wurde aus der Not geboren. Denn weder Volkshochschulen noch Sprachschulen konnten kurzfristig Deutschunterricht in ukrainischer Sprache anbieten. „Keine Chance“ hörte Heiko Born, Bezirksgeschäftsführer der Malteser für Nord-Ost-Württemberg und einer der Väter dieses Ausbildungsprojekts für Menschen aus der Ukraine, überall. „Und dann kam Victoriia Shchur ins Spiel“, berichtet er. „Sie hat sich einen halben Tag ans Telefon gesetzt, eine Lösung gesucht und die beiden ukrainischen Deutschlehrerinnen gefunden.“

Anfang März ist sie mit ihren beiden Kindern nach Deutschland gekommen

Anfang März ist Victoriia Shchur in Deutschland, im württembergischen Ellwangen, angekommen. Im Privatwagen mit ihren beiden Kindern, hinter sich einen großen Bus aus Kiew mit kriegsverletzten und schwerkranken Kindern zur teils lebensrettenden Behandlung in deutschen Krankenhäusern, vermittelt von deutschen Partnern. Mit ihren vielen Kontakten zu diversen Einrichtungen des Gesundheitswesens hatte die 36-jährige stellvertretende Leiterin eines großen staatlichen Krankenhauses in der Region Kiew die Evakuierung organisiert und die viertägige Fahrt geleitet: „Es waren die ersten Kriegstage, und wir wussten nicht, welche Strecke sicher vor Bomben war.“

Schon im Bus war ein Malteser aus Aalen zugestiegen, um weitere Hilfe zu organisieren und medizinisch zu unterstützen. Ihm erzählt Victoriia Shchur von ihren Plänen, so viele Kinder wie möglich in ähnlicher Lage zu evakuieren. Der gibt es weiter nach Deutschland, und als sie am 6. März um 23 Uhr in Ellwangen die Wagentür aufmacht, steht Bernd Schiele vor ihr, der Stadtbeauftragte der Malteser in Aalen, um mit ihr zu besprechen, was man für die Kinder tun könne, die diesmal nicht das Glück hatten mitzukommen. „Wir haben dann mit ihr einen Hilfstransport als Gemeinschaftsaktion der Aalener und Stuttgarter Malteser organisiert, der schon sechs Tage später unterwegs war“, erinnert sich Bernd Schiele.

Ihr Lieblingswort? "Vielleicht Heimat"

Bereits in der Ukraine gehört ehrenamtliches Engagement für Victoriia Shchur zum Lebensinhalt. Und in Deutschland nun nicht minder: „Als ich hierher kam, habe ich sofort angefangen zu helfen, wo ich kann.“ Sie organisiert Hilfstransporte, unterstützt bei Kontakten, bei Übersetzungen, bei der Kommunikation mit und für die Menschen aus der Ukraine und bekommt bald von Heiko Born das Angebot, das hauptamtlich für die Malteser zu tun. Ein Volltreffer, denn mit ihr kann Born, zu dessen Bezirk vier ambulante Pflegedienste gehören, diesen speziellen Pflegekurs realisieren. Pate stehen dabei die Trierer Malteser in Person von Juliane Heck und Werner Krämer, die ein ähnliches Konzept aus den Zeiten des Syrienkriegs nun für Geflüchtete aus der Ukraine weiterentwickeln und die Referenten für die pflegerische Qualifizierung stellen, die am 14. September startet. Wenn alles gut läuft, sollen am 22. Dezember die Abschusszertifikate für die tariflich gut eingruppierte Tätigkeit als Pflegehilfskraft übergeben werden.

Victoriia Shchur organisiert den Deutschkurs nicht nur, sondern ist selbst in der ihr eigenen Zielstrebigkeit und Energie schon recht weit in der Fremdsprache gekommen. Was ist ihr Lieblingswort im Deutschen? Sie überlegt ein wenig und sagt dann „vielleicht Heimat“. Denn das Wort habe für sie zwei Seiten: „Da ist meine Heimat in der Ukraine, die ich sehr vermisse.“ Und doch sei Deutschland nun auch Heimat geworden, denn hier könne sie sich – anders als derzeit an jedem Ort der Ukraine – sicher fühlen. „Und das ist das Wichtigste für alle aus unserem Land.“